Zwischen Scheitern und Erfolgen: Globale Umweltpolitik – 50 Jahre nach Stockholm 1972

Was lernen wir aus den letzten 50 Jahren? Dieser Rückblick zeigt einige wichtige Meilensteine der globalen Umweltpolitik auf. 

Die internationale Umweltpolitik wird 50. Die Stockholmer Konferenz (UN Conference on Human Environment) von 1972 gilt als ihre Geburtsstunde im Rahmen der UNO. Dort wurde auch mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen der Grundstein für institutionalisierte Umweltpolitik auf internationaler Ebene geschaffen. Die schwedische Regierung lädt im Juni dieses Jahres gemeinsam mit Kenia, dem Sitz von UNEP, zum 50. Geburtstag ein.

Grund zum Feiern? Auf 50 Jahre zurückzublicken ist hier unmöglich. Es sind viele Facetten und komplexe Faktoren, die für Erfolge und Scheitern der UN-Umwelt- und Entwicklungspolitik der vergangenen 50 Jahre relevant sind, die im Folgenden nicht alle analysiert werden können – zum Beispiel, wie sich macht- und geopolitische Einflusssphären und die Interessen mächtiger Wirtschaftslobbys durchgesetzt haben.

Dass «wir» es viel, viel besser hätten machen müssen, wissen wir: Die Klimakatastrophe ist für Abermillionen Menschen real. Alle UN-Berichte zum Zustand des Klimas, der Meere, der Böden, der Wälder, der Gewässer, der biologischen Vielfalt zeigen, wie sehr wir die Natur, die Ökosysteme übernutzen oder zerstören. Im Rückblick geht es nicht um einen moralischen Fingerzeig oder um Besserwisserei. Menschen haben sich immer gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zur Wehr gesetzt, die ersten Anfänge auch grenzüberschreitender Umweltbewegungen lassen sich auf die 60 und 70er Jahre zurückdatieren. Menschen haben rund um den Globus gegen die Atomkraft, die  Klimaerhitzung, die Zerstörung von Wäldern, für den Erhalt von Ökosystemen und damit unseren Lebensgrundlagen (livelihoods), für Frieden, gegen Hunger und Armut in der Welt demonstriert, getagt, publiziert, lobbyiert und dabei auch über die Jahre hinweg die eine oder andere Hoffnung auf UN-Konferenzen und multilaterale Verabredungen gesetzt.

Was lernen wir aus den letzten 50 Jahren? Es ist wichtig, wenigstens einige wesentliche Gründe in Erinnerung zu rufen, um zu verstehen, warum wir von der Großen Transformation noch weit entfernt sind, warum wir immer mehr den multiplen Krisen hinterherlaufen, anstatt ihnen vorzubeugen. Was waren wichtige Meilensteine globaler Umweltpolitik, und an welchen entscheidenden Stationen sind die politischen Entscheidungsträger*innen und ökonomischen und Funktionseliten einem «Weiter so» gefolgt – allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, alternativen Lösungsansätzen und Mahnungen in wesentlichen Punkten zum Trotz? Dieser kurze Rückblick kann höchstens ein paar Muster, Narrative und politikökonomische Weichenstellungen der vergangenen Jahrzehnte aufzeigen. Vielleicht ein Lernfeld.

Umweltschutz ja – der Globale Süden aber wollte Entwicklung durch Industrialisierung nachholen

Mitte der 60er Jahre war die Welt noch stark in harte Gegensätze und Blöcke – Ost-West und Nord-Süd – aufgeteilt. Gleichwohl entwickelte sich ein Bewusstsein dafür, dass Umwelt- und Naturzerstörung vor den nationalen Grenzen nicht haltmacht. Die skandinavischen Länder waren zum Beispiel massiv vom sauren Regen, also der Umweltlast aus anderen Regionen Europas, betroffen. Insektizide wie DDT, seit den 40er Jahren eingesetzt, reicherten sich grenzüberschreitend in Nahrungsketten an und töteten viele Arten («Stummer Frühling»). Smog in Ballungszentren wie London, Tokio, New York oder den Städten des Ruhrgebiets (Krupphusten), schwere Tankerunglücke mit verheerenden Ölpesten, verschmutzte Flüsse wie der Rhein, die zu Abwasserkanälen wurden, zeigten die Umwelt- und Gesundheitsfolgen ungebremster Industrialisierung. Es gab erste Studien und Berichte; der wirkungsmächtigste mit großer Resonanz war sicherlich der erste Bericht des Club of Rome («Die Grenzen des WachstumsWachstums») 1972. Er prognostizierte zusätzlich zur Umweltverschmutzung vor allem eine Verknappung von Ressourcen. Verschmutzung und Verknappung (und damit einhergehende Verteilungskämpfe) – das wurde allmählich sogar als Gefährdung des nördlichen Produktionsmodells erkannt. Der Norden hatte also vor allem Interesse an grenzüberschreitenden Verabredungen zum Umweltschutz und besserem Ressourcenmanagement, ohne daraus Wettbewerbsnachteile zu ziehen.

Die UNO – bislang in Umweltfragen nicht wirklich aktiv – sollte für das globale Umweltthema als Akteurin gewonnen werden. Das implizierte, dass alle Länder des damaligen Ostblocks (in Stockholm waren sie nicht durchgängig vertreten) und die Länder des globalen Südens einbezogen werden mussten. Die Interessens- und Ausgangslagen waren damit sehr verschieden. Für die Länder des globalen Südens stand die Bekämpfung der Armut auf der Prioritätenliste. Stockholm 1972 war somit nicht nur die Geburtsstunde globaler Umweltverhandlungen, sondern auch eine neue Etappe der Verhandlungen um Entwicklung und – so hatte es den Anschein – auch um gerechtere Verteilung der Zugänge zu Geld und Ressourcen.

Böll.Thema Umweltpolitik: Klima-Demonstration

Um die industrielle Umweltverschmutzung zu begrenzen, waren für die Industrieländer technischer Umweltschutz, Ressourcenmanagement für ökonomisch wichtige Ökosysteme (Gewässer und Wälder) und eine bessere Datenerhebung (z. B. erste Umweltsatelliten) die Mittel der Wahl. Zu dieser ersten Etappe der nationalen wie internationalen Umweltpolitik gehörten staatliche Regulierungen und Gesetzesinitiativen, Grenzwerte und Verbote. Die 70er Jahre zählen zum Beispiel in den USA zu den erfolgreichsten Jahren staatlicher Umweltpolitik. Verbote und die Begrenzung verschiedenster Emissionen (Gifte, Abwässer, Müll, Schwefeldioxids) oder auf globaler Ebene (Verbot des Handels mit gefährdeten Arten, später von Fluorkohlenwasserstoffen) erzielten wirksame und sichtbare Erfolge in der Umweltpolitik. Die Luft wurde besser, Flüsse (auf den ersten Blick) sauberer.

Der globale Süden hat die Armutsbekämpfung, Arbeitsplätze, Gesundheit und Bildung ins Zentrum gerückt. Hier zählte vor allem der Wunsch, die Entwicklung durch Industrialisierung nachzuholen. Umweltschutz wurde damals schon als Oktroi des Westens und als Entwicklungshemmnis betrachtet. Die Ostblockstaaten glaubten geschlossen daran, dass die Umweltzerstörung ein Problem des Kapitalismus sei (was ja stimmt, aber eben nicht nur), und wollten nichts damit zu tun haben. Die «unverbrauchte Natur» und Umwelt des globalen Südens wurde gar «als komparativer ökonomischer Vorteil» betrachtet. Verschmutzung sei ein Zeichen des Fortschritts, und Indira Ghandis Aussage im Jahr 1972 «Armut ist die größte Umweltverschmutzung» hat zu einigen Missverständnissen geführt. Stockholm`72 hat den Grundstein dafür gelegt, dass nachholende, industrialisierte Entwicklung endgültig das «weltpolitische Programm der postkolonialen Ära» (Wolfgang Sachs) wurde. Industrialisierung, globale Arbeitsteilung (billige Arbeitskräfte im globalen Süden) und Wachstum führen aus der Armut, und hohe Wachstumsraten sind die Voraussetzung für (soziale) Umverteilung. Das war das Mantra.

Keiner der «Verhandlungsblöcke» stellte die Verheißungen des nördlichen Industrialisierungs- und Konsummodells infrage. Mehr Umweltschutz, ja. Mehr Wachstum auf jeden Fall, nur so lässt sich umverteilen und Umweltschutz bezahlen. Entsprechend verhandelte der Süden fortan in allen UN-Konferenzen vor allem über Finanz- und Technologietransfers.

Ohne Zweifel gab es durch alle globalen Umwelt-, Klima- und Entwicklungsverhandlungen hindurch politisch scharfe Nord-Süd-Gegensätze. Zu Recht hat der «Süden» darauf gepocht, dass der Norden seine Emissionen massiv reduzieren muss, damit dort noch Spielraum bleibt. Die politischen und Funktionseliten des Nordens und des Südens waren sich zudem uneinig, wie eine gerechte Weltwirtschaftsordnung aussehen sollte. Mit der Wende zum Neoliberalismus Anfang der 80er Jahre (Reagan-Ära) drückte der industrialisierte Norden seine Vorstellungen von globaler Marktliberalisierung über von ihm bis dato dominierte Organisationen wie den IWF, der Weltbank und später der WTO durch. Bei allen Differenzen drehten sie sich wesentlich um den Anteil am jeweiligen Kuchen, aber nicht um die ökonomische Leittheorie kapitalistischer Produktionsweise mit ihren verheerenden ökologischen und sozialen Folgen. Die wurden verdrängt. Umweltpolitik war der Weltwirtschaftspolitik absolut nachgeordnet, sie war Sektor- und nicht Querschnittspolitik, Umweltschutz wurde darüber hinaus vor allem als technologische Aufgabe verstanden. Konzepte wie Eco-Development oder die Befreiungstheologien, die vor allem Rechte für die Armen und die Befriedigung der Grundbedürfnisse auf eigener Ressourcenbasis forderten, Ernst F. Schumachers (1972) Plädoyer für die Rückkehr zum menschlichen Maß und seine Kritik an der zunehmenden Machtkonzentration in der Ökonomie oder Konzepte ökologischer Ökonomik, sie alle wurden in die Nische abgedrängt, nicht politisch aufgegriffen, zum Teil belächelt und mit Häme überzogen. Das

Problem ist größer – aber die Weichen wurden nicht gestellt

Die 80er Jahre sind voller widersprüchlicher Entwicklungen. Das Wissen um die globalen Bedrohungen wächst, und gleichzeitig bricht das Zeitalter der neoliberalen Globalisierung an. Die ersten globalen Berichte einer sich anbahnenden Klimakatastrophe (Global 2000) werden veröffentlicht, Handlungsbedarf identifiziert: Die UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung wird gegründet (1983). Und zwischen der Entdeckung des Ozonlochs und der Verabschiedung des Montrealer Protokolls mit einem Fahrplan zum Ausstieg aus den verursachenden Fluorkohlenwasserstoffen verging nur ganz wenig Zeit.

«In den Industrieländern müssen wir schnellstmöglich unsere Produktions- und Konsumstile verändern. Nicht nur, aber vor allem unser Energieverbrauch erscheint aus globaler Perspektive unverantwortlich. Wir sind unzweifelhaft die Hauptverursacher der sich bereits andeutenden Klimakatastrophe», so Willy Brandt 1989.

Diese Erkenntnis Willy Brandts steht paradigmatisch für alle, die wussten oder ahnten, dass es eine wirkliche Kehrtwende in der Art des Wirtschaftens und des Konsumierens brauchte. Im Deutschen Bundestag wurde 1987 eine Enquete- Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre eingesetzt. 1988 gründete sich der Weltklimarat, es wurde eine UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung beschlossen, die dann 1992 in Rio de Janeiro stattfand.

Es bestand Hoffnung, dass es mit dem Ende des Ost-West-Konflikts einen Aufbruch für einen neuen Typus globaler Zusammenarbeit zu den großen Menschheitsthemen geben könnte. Manche träumten gar von einem Paradigmenwechsel in der Weltwirtschaftsordnung. Bemerkenswerterweise hat der industrialisierte Norden in Rio tatsächlich seine historische Hauptverantwortung für die ökologischen Krisen anerkannt; in der Rio-Erklärung wurde festgehalten, dass das nördliche Modell nicht globalisierbar sei und es keinen Planeten B gebe. Das Verursacher- und Vorsorgeprinzip wurde verankert und mit der Agenda 21 ein Handlungsleitfaden für Umwelt- und Entwicklungspolitik verabredet, der durchaus viele wichtige Forderungen von NGOs und sozialen Bewegungen aufgriff.

Das schien wie ein programmatischer Durchbruch. Doch das neoliberale Dogma – massiv von der US-Regierung vertreten – hat seine tiefen und folgenreichen Spuren hinterlassen. US-Präsident Bush verkündete, dass der amerikanische Way of Life nicht verhandelbar sei, was sich deutlich in der in Rio verabschiedeten Klimarahmenkonvention niederschlug. Die USA setzten alles daran, jede klare Aussage zu CO₂-Reduktionen aus dem Text zu streichen, drohten, andernfalls nicht zu unterzeichnen. Die Hegemonialmacht jener Zeit setzte sich durch. Die Konvention zur biologischen Vielfalt haben die USA erst gar nicht unterzeichnet, weil sie den Interessen US-amerikanischer Konzerne in der Biotechnologie und Pharmazie zuwiderliefen.

Die (Nicht-)Verabredungen im UN-Klimaregime der Jahre nach 1992 sind sicher die folgenschwersten. Mit klaren Reduktionszielen und zeitlichen Vorgaben wären Anreize geschaffen worden für einen systematischen Ausbau von erneuerbaren Energien und einer Kreislaufwirtschaft, die den Namen verdient. Folgenschwer auch die Verabredungen zum Kyoto-Protokoll 1997, das fatalerweise nicht für alle Länder eine differenzierte Klimaschutzverpflichtung vorsah. Damit ging nicht nur, aber vor allem China weiter auf dem Pfad Richtung fossile statt erneuerbarer Energien. Der große Erfolg der Gruppe der Entwicklungsländer (G77) in Kyoto wurde zu einem Pyrrhussieg.

Der historisch für den Klimawandel verantwortliche Westen hat gleichzeitig versagt und sich voll und ganz den Versprechen der neoliberalen Globalisierung verschrieben. Die ökonomischen Interessen der Finanzindustrie, der fossilen und Agrarmultis waren die Treiber der großen neoliberalen Wende, die keine Verbote, Grenzwerte und staatliche Regulierungen wollten. Mit Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) 1994, die zum Sinnbild der weiteren Liberalisierung, Privatisierung und Finanzialisierung, der Sicherung geistiger Eigentumsrechte wurde, haben sich Staaten mehrheitlich aus einer regulierenden, dem Allgemeinwohl verpflichteten Umweltpolitik verabschiedet. Marrakesch (Ort der WTO-Gründung) schlägt Rio. Emissionshandel, Bepreisung von CO₂, Finanzialisierung der Natur, technologische Innovation – ausschließlich ökonomische Instrumente wurden die Kernelemente der grünen Ökonomie, wie sie vor allem 2012 beim letzten UN-Rio-Gipfel ins Zentrum der Lösungen und Antworten auf die sich zuspitzenden Krisen rückten.

»Noch einmal 50 Jahre haben wir nicht.«

Das Pariser Klimaabkommen von 2015, die Verständigung darauf, die mittlere Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad zu halten, ist gleichwohl ein Meilenstein globaler Klima- und Umweltpolitik. Mehr denn je kommt es nun aufs Tempo und natürlich auch auf das Wie in allen Politikbereichen an. Klimapolitik ist jetzt eine Querschnittsaufgabe der Ampelkoalition: Das ist ein großer paradigmatischer Wechsel. Das könnte und müsste Vorbild für nationales und multilaterales Regierungshandeln sein. Soll es wirklich eine Transformation und keine Disruption beim Umbau unseres Produktions- und Zivilisationsmodells werden, dann müssen wir schnell handeln. Noch mal 50 Jahre haben wir nicht.


Barbara Unmüßig war bis zum April 2022 Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. 

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