«Die Märkte der Zukunft sind klimaneutral und widerstandsfähig.»

Wie geht es voran? Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschafts- und Klimaministerium, über den Plan für die sozial-ökologische Transformation, die Erfahrungen der ersten Regierungsphase und ihr Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger. 

Franziska Brantner trägt einen lilanen Schal und blickt in die Kamera

Peter Unfried: Was lief gut im ersten Regierungsjahr 2022, Frau Staats­sekretärin?

Franziska Brantner: Viel! Auch wenn ‚gut‘ in Zeiten des russischen Angriffskrieges natürlich nicht richtig passt. Aber wir haben entschlossen agiert und viel umgesetzt.

Ja?

Ende Februar im zurückliegenden Jahr hatte ich keine gute Vorstellung davon, wo wir heute stehen würden. Wir haben es geschafft, uns aus der Abhängigkeit des russischen Gases zu lösen, die Energieversorgung zu sichern, die Gasspeicher zu füllen, viele Milliarden Euro für die Stabilisierung der Wirtschaft und der Energiepreise bereitzustellen. Wir haben entgegen mancher Schreckensszenarien die Krise beherrschbar gemacht. Gleichzeitig haben wir die Weichen für die Zukunft gestellt: die Erneuerbaren und wasserstofffähige Infrastruktur vorangebracht, unsere Handelspolitik neu ausgerichtet und uns der Welt zugewandt, um Abhängigkeiten zu reduzieren.

Ich habe mit der Klimapolitik-Aktivistin Luisa Neubauer gesprochen, und die sieht eine dramatische Refossilisierung, die 2022 vom Wirtschafts- und Klimaministerium vorangetrieben worden sei.

Richtig ist, dass wir bei den erneuerbaren Energien natürlich noch viel schneller und besser werden müssen. Und die ausgeweitete Nutzung der Kohle gehört auf jeden Fall zu den Dingen, die keinem von uns gefallen haben. Das steht außer Frage. Aber um diesen Winter zu bestehen, bevor das LNG (Liquefied Natural Gas – verflüssigtes Erdgas, Anm. d. Redaktion) ankommt, mussten wir auch wieder mehr Kohle verstromen, leider. Gleichzeitig haben wir den vorzeitigen Kohleausstieg von 2038 auf 2030 im Westen verhandelt – das hätte es ohne uns Grüne nicht gegeben.

Im Braunkohleort Lützerath wurde im Januar ein Protest-Klassiker aufgeführt: Aktivisten und auch Grüne im trutzigen Widerstand gegen den Staat und die grüne Landes- und Bundesregierung. Wie beurteilen Sie das als Mitglied der Regierung?

Mit Lützerath ist der Braunkohletagebau im Rheinischen Revier vorbei, den Ausstieg konnten wir vorziehen, Millionen Tonnen Kohle bleiben im Boden und fünf Ortschaften und Höfe für mehrere Hundert Bewohner erhalten. Aber klar müssen wir beim Klima­schutz vorankommen. Deswegen kann ich die Beweggründe für die Proteste, solange sie friedlich sind, verstehen. Wir streiten beide für Klimaschutz, aber haben unterschiedliche Rollen.

Wozu die Grünen, war der übliche Vorwurf, wenn sie den Kohleabbau intensivieren?

Jede Regierung hätte angesichts der ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland Kohleverstromung genutzt. Aber nur die Grünen haben gleichzeitig den Kohleausstieg dadurch vorgezogen und massiv den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigt. Zurückblickend denkt man da aber natürlich: Warum haben wir es nicht früher geschafft, ein Teil der Bundesregierung zu sein?

Das ist eine interessante Frage, aber die hilft bei der Transformation jetzt nicht weiter.

Ja, aber Herr Unfried: Wenn wir darüber reden, was für unschöne Entscheidungen wir treffen mussten, dann gehört auch dazu, dass wir die ausgebremste Energiewende und die fossile Abhängigkeit leider so vorgefunden haben.

Das ist so, aber es ist eben auch «hätte, hätte Fahrradkette».

Wir müssen uns damit befassen, warum wir es 16 Jahre lang trotz Klimakrise nicht in die Bundesregierung geschafft haben, um daraus zu lernen und es in Zukunft besser zu machen. Gerade, wenn man bereit ist, Verantwortung für die Menschen in diesem Land zu übernehmen.

Ein zentrales Problem scheint mir folgendes zu sein: Es ist schnell gesagt, wir machen beides – Sicherheit und Fortschritt, Gegenwartssozialpolitik und Transformation. Aber geht wirklich beides nebeneinander?

Meine Überzeugung ist: Das geht und es muss gehen. Wir können das Gas leider noch nicht durch grünen Wasserstoff ersetzen, trotzdem stellen wir jetzt die Weichen für Klimaneutralität bis spätestens 2045. Die neue LNG-Infrastruktur wird auch auf grünen Wasserstoff umrüstbar sein. Der Ausbau der Erneuerbaren ist zwar auch eine Frage von Investitionen, aber gerade bei der Windenergie müssen mehr Flächen bereitgestellt werden. Wir bringen den Netzausbau und die Einführung von Smartmetern, also intelligenten Messystemen, voran, um die Netze noch stärker auf die Erneuerbaren auszurichten. Und wir beschleunigen die Verfahren für die Netze.

Wie kriegen Sie Netzausbau und Planungsverfahren beschleunigt?

Das ist vor allem eine politische Frage, die viele Menschen in Tausenden Kommunen Deutschlands entscheiden. Es geht auch um Bürgerbeteiligung: Wie nehmen wir alle vor Ort mit? Ich kenne das aus Baden-Württemberg gut genug und weiß, wie herausfordernd es ist.

Ein besonders schöner Illusionismus scheint mir auch: Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger besser beteiligen, dann geht es auch schneller.

Es kommt darauf an, wie man sie beteiligt. Ich bin von der baden-württembergischen Gisela-Erler-Perspektive überzeugt. Sie hat als Staatsrätin für Bürgerbeteiligung die Politik des Gehörtwerdens vorangebracht mit der Einbindung zufällig ausgewählter, die Breite der Bevölkerung abbildender Bürgerinnen und Bürger.

Wir brauchen eine liberale Perspektive, eine ökologische, eine sozialdemokratische. Die Zukunft der Politik besteht darin, das zusammenzubekommen.

Da sagt der Kretschmann-Kritiker sofort: Es gibt kaum Windradzubau in Baden-Württemberg.

Das liegt nicht an der Bürgerbeteiligung. Es gab die Schwierigkeiten mit den Bundesregeln und der fehlenden Flächenverfügbarkeit. Diese Fesseln haben wir gelöst, das Tal ist durchschritten. In Baden-Württemberg wurde deutlich, dass eine gute Bürgerbeteiligung herausfordernde Fragen etwa zu psychiatri­schen Kliniken, Gefängnissen und so weiter erfolgreich lösen kann. Bürgerbeteiligung bedeutet eben nicht, dass die bestimmen, die am lautesten schreien.

Wie läuft das genau?

Das sind moderierte Prozesse der Beteiligung.

Dauert aber auch seine Zeit.

Das ist schneller, als es am Ende vor dem Oberlandesgericht auszuhandeln. Aber Sie wollen nicht behaupten, dass nun in Rekordmengen und Rekordzeit Windräder aufgestellt werden? Jetzt gehen die Ausschreibungen raus, dann die Projektierungen und so weiter. Natürlich stehen die geplanten Windräder noch nicht alle 2023, aber vor allem 2024 und 2025 werden viele dazukommen. Es wird voraussichtlich nicht mehr fünf Jahre oder länger dauern.

Sondern?

Zielvorgabe sind 18 Monate.

Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie verletzlich unsere soziale Marktwirtschaft ist. Wie abhängig von Wachstum und - als dessen bisherige Voraussetzung - von billigem Öl und Gas. Steigen die fossilen Preise, ist für viele Leute und Betriebe alles zu Ende. Was sind konkrete Schritte, um diese Abhängigkeit zu vermeiden? LNG stützt ja beispielsweise im Moment viele Sektoren, die so nicht weiter wirtschaften können.

Die Dekarbonisierung der Industrie geht voran und wird an Tempo gewinnen. Deswegen haben wir die Gas- und Strompreisbremse so ausgestaltet, dass es Spar- und Umstellungsanreize gibt. Gleichzeitig unterstützen wir Innovationen und den Markthochlauf grüner Technologien.

Um die Kollateralfolgen der Transformation abzufedern, wird Sozialpolitik ausgebaut.  Das ist notwendig, aber es wird mit einem ängstlichen Sprechen verknüpft, das eine sozial-ökologische Zukunft als unfassbare Zumutung in der Gegenwart erscheinen lässt. Und so haut man schnell einen Tankrabatt raus, damit das Motzen aufhört.

Wenn wir diese Transformation gestalten wollen, müssen wir die Menschen mitnehmen. Wir wollen, dass sie Teil dieses wunderbaren Projektes sind und befähigt werden, an erneuertem Wohlstand teilzuhaben. Dafür haben wir etwa das Bürgergeld mit Weiterbildungsmaßnahmen eingeführt und bringen ein Weiterbildungsgesetz voran.

In meinem Umfeld sagten Leute gern: «Also, ich hätte die 300 Euro Energiepauschale ja nicht gebraucht!» Aber natürlich haben sie sie genommen.

Ja, kaum einer, der sie nicht gebraucht hätte, hat sie gespendet, das wäre auch eine gute Option gewesen. Wir unterstützen etwa mit der Ausweitung des Wohngeldes diejenigen, die besonders von steigenden Energiekosten betroffen sind. Klar ist trotzdem: Es gibt bislang nicht die Datengrundlage und die Instrumente, um bei den Entlastungspaketen gezielter unterstützen zu können. Daran arbeiten wir jetzt.

Worauf ich grundsätzlich hinaus will: Die Kanzlerpartei SPD hat ein sozialdemokratisches Jahrzehnt angedroht. Das bedeutet doch eine Politik und eine sozialdemokratische Kultur, die per definitionem nicht transformationsfähig ist – weil sie die Potenziale der Gesellschaft weder fordert noch fördert.

Das bedeutet, dass wir Grüne bei der nächsten Wahl stärkste Partei werden sollten. Das Gute an einer Koalition ist, dass jede Partei ihre Sichtweisen einbringen kann. Wir setzen auf Innovation und wissen, dass dafür viel Freiheit nötig ist. Andererseits verlangt die aktuelle Krisensituation der Gesellschaft viel ab. Wir müssen die soziale Sicherheit schaffen, damit diese Freiheit für alle gilt und nicht nur für wenige. Und dann ist die Frage natürlich auch immer: Machen wir das national oder europäisch? Wie kann der gesamten EU eine faire Transformation ermöglicht werden und welche Anforderungen stellt das an uns? Nicht nur wir sollten uns das leisten können.

Ihr großer europäischer Traum scheint mir ausgeträumt, Frau Brantner.

Nein, im Gegenteil. Die EU ist durch den Ukraine-Krieg und die Energiekrise stärker und geeinter geworden.

Sie seufzen aber ganz schön.

Es ist doch positiv zu sehen, wie die osteuropäischen Länder gerade ihre Rolle in Europa neu definieren. Mit einem anderen Selbstbewusstsein in ihrem Agieren, einem stärkeren Engagement für das Gemeinsame.

Um es mal hart zu sagen: Das verdanken wir Putin.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist immer noch unfassbar und verursacht jeden Tag unermessliches Leid. Europa und auch die G7 haben gezeigt, dass sie sich geschlossen und konsequent gegen diesen Krieg stellen. Der Krieg hat eine neue Dynamik in der EU ausgelöst. Erinnern Sie sich an die Blockade der Visegrád-Staaten? Orban ist isoliert mit der Nähe zu Putin. Auch Slowenien ist wieder auf einem anderen Pfad. Es sind nicht mehr nur die gleichen Länder, die gehört werden. Da hat sich einiges bewegt. Meine Sorge ist eher, ob wir Deutsche das genügend wahrnehmen und etwas daraus machen.

Beides nicht zu tun, ist ein klassischer Vorwurf, gerade der Osteuropäer.

Ich bin viel im Baltikum und habe den Eindruck gewonnen, es wäre ein Fehler, wenn wir es jetzt nicht schaffen, die neuen Dynamiken dieser Länder in der EU zu unterstützen. Aber ich bin optimistischer als Sie. Mein Punkt ist, dass wir Deutsche oft nicht wertschätzen, wie viel Solidarität uns in dieser Krise entgegengebracht wird, obwohl wir jahrelang vor den Abhängigkeiten von Russland gewarnt wurden.

Wo konkretisiert sich diese Solidarität?

Zum Beispiel in der brandenburgischen Raffinerie Schwedt. Ohne Polen ginge da nichts. Wir kriegen auch Gas aus Frankreich, die Belgier und Niederländer helfen auch mit LNG. Wir nehmen das als selbstverständlich hin, und das wundert mich manchmal, denn, wie gesagt, die haben uns immer vor der Abhängigkeit von Russland gewarnt.

Hat aber keinen interessiert.

Deshalb hätten sie auch sagen können: Schaut, wie ihr da selbst rauskommt. Wenn das gemeinsame Handeln aufgrund fehlender Wertschätzung europäischer Solidarität schwieriger wird, könnten Probleme entstehen.

Wo zum Beispiel?

Gerade mit Blick auf China müssen wir europäisch agieren und eine gemeinsame Industriepolitik voranbringen.

Allein schon in der Bundesregierung finden sich drei verschiedene Politikansätze. Die SPD schmeißt Geld drauf, die Grünen versuchen, eine irgendwie postfossile und resilientere Wirtschaft durch mehr Staat zu organisieren, und die FDP ist mit sich selbst beschäftigt. So sieht es zumindest aus. Das drückt zwar genau die Unentschlossenheit der Gesellschaft aus, aber wie kann man so vorankommen?

Uns geht es um die ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Wir Grüne wollen bessere Rahmenbedingungen, nicht einfach «mehr Staat».

Das ist ein zentraler Teil sozial-ökologischer Umsteuerung.

Wir alle stehen vor der Herausforderung, in den verschiedenen andauernden Krisen das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft permanent neu zu verhandeln. Wir arbeiten daran, vieles in eine neue Balance zu bringen, mit dem Ziel, in Zukunft besser auf Krisen vorbereitet zu sein. Die Beschaffung von Rohstoffen ist klassischerweise eine unternehmerische Aufgabe. Die Unternehmen sagen jetzt selbst, dass sie vom Staat einen besseren Rahmen für resiliente Lieferketten brauchen. Auch bei der Uniper-Verstaatlichung ist die Frage: Für wie lange soll es so sein? Während der Pandemie haben wir diskutiert, wem die Krankenhäuser gehören sollen. Gerade definieren wir genauer kritische Infrastruktur und ihren Schutz. Es ist eine internationale Tendenz, Wertschöpfung vor Ort haben zu wollen und Lieferketten zu diversifizieren, um widerstandsfähiger zu werden. Die USA greifen dabei auch in den Markt ein, aber da wird auch nicht «communism» gerufen.

Wir alle stehen vor der Herausforderung, in den verschiedenen Krisen das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft neu zu verhandeln.

Sie thematisieren hier den Widerspruch der Krisengegenwart: Politik soll nachhaltig und resilient werden, aber ständig wird sie mit neuen Problemen konfrontiert. Gerade die Grünen haben immer so getan, als hätten sie alle Antworten in der Oppositionsschublade. Mag sein, dass das, was da liegt, aber nun nicht zur Realität passt.

Es ist «work in progress», und nicht nur wir arbeiten daran, sondern auch die USA und alle demokratischen Länder. Wie ich es sagte: In der Demokratie wird jetzt das Verhältnis Markt und Gesellschaft neu ausgelotet. Beispiel: Konzeptionell ist es eine Herausforderung, wenn wir sagen, wir wollen keine nationalen Produktionsvorgaben, keine nationalen Preise in der Handelspolitik, aber gleichzeitig mehr Wertschöpfung durch Weiterverarbeitung in den rohstoffreichen Ländern. Letzteres ist unter internationalem Preiswettbewerb kaum möglich. Wir arbeiten daran, eine faire und freie Handelspolitik, die grünen Wertschöpfungsketten der Zukunft partnerschaftlich aufzubauen. Mit Wertschöpfung vor Ort, die trotzdem nicht abschottend wirkt. Dafür liegt nicht einfach die eine Lösung in der Schublade.

Aber etwas konkreter wäre schon schön. Wenn Degrowth keine Option ist, wie geht dann selektives Wachstum in Krisenzeiten? Offene Märkte und dennoch mehr regionale Produktionsketten: Was heißt das für den EU-Binnenmarkt, für Außenzölle, Wettbewerb und Kartellrecht?

Grüne Technologien und Innovationen bringen wir am besten gemeinsam im fairen Wettbewerb voran, nicht durch Protektionismus oder einen Subventionswettlauf. Bis jetzt fördern wir finanziell die Anwendung grüner Technologien, etwa die Windkraft, egal wo das Windrad gebaut wurde. Wir wollen eine starke klimaneutrale Industrie in Europa, dafür überlegen wir uns neue Wege. Man kann Vorgaben machen, dass national oder europäisch produziert werden muss, verbunden mit Geld für die Produktion oder nicht. Die USA machen das. Man kann auch nur nationale Produktion subventionieren, ohne Einfuhrbegrenzungen. Das ist aber auch marktverzerrend und potenziell für den EU-Binnenmarkt gefährlich.

Warum?

Welches Land kann es sich zusätzlich zur Anwendungssubventionierung leisten, die Produktion zu finanzieren? Oder man definiert qualitative Kriterien für einen faireren Wettbewerb. Dazu kommen natürlich Fragen der Energiepreise, der Fachkräfte und der Beschleunigung der Beihilfeverfahren. Es ist daher gut, dass die europäische Industriestrategie neu aufgestellt wird. Auch die Versorgung mit Rohstoffen wie Seltene Erden, der Grundlage der Energiewende und Digitalisierung, müssen wir sichern. Wir wollen Unternehmen bei nachhaltiger Rohstoffgewinnung, der Diversifizierung ihrer Lieferketten und mehr Recycling unterstützen.

Probieren und immer wieder auch korrigieren ist eine notwendige Tugend in einer neuen Situation ohne erprobte Antworten. Gleichzeitig gibt es eine extrem nervöse Mediengesellschaft, in der trotz der Erfahrungen der letzten Jahre reflexhaft negativ auf Fehlerkorrektur reagiert wird.

Mein Eindruck ist, und dafür steht Robert Habeck, dass es schon weite Teile der Gesellschaft gibt, die es sympathisch finden, wenn man angesichts einer sich stark verändernden Welt Fragen stellt, reflektiert handelt und das auch kommuniziert.

Eine Zeit lang kam der Vizekanzler damit super an, dann wieder nicht mehr so.

Ich finde, dass wir mehr Menschen brauchen, die helfen, Antworten zu finden. Dafür muss man Fragen stellen.

Wie geht ein Sprechen, das Handlungsfähigkeit von Politik mit einer ehrlichen Beschreibung der Lage verknüpft?

Es gibt Beispiele, wo das gut gelungen ist. Stichwort: Sanktionen. Hier wurde eine Debatte geführt, wie sich ein Gasembargo auf den Kriegsverlauf und auf unsere Wirtschaft auswirken würde. Dabei ging es nicht um ideologische Ablehnung, sondern um Offenheit und das Abwägen von Befürchtungen und unterschiedlichen Annahmen. Es werden viele Debatten geführt, wo sich dann jede Seite ihre passenden Argumente aus dem eigenen politischen Lager zurechtlegt, und das Ende ist sehr vorhersehbar.

Oder?

Oder man sagt, wir debattieren zielorientiert: Wir wollen den Kampf gegen Putin unterstützen, aber wir wollen auch, dass Deutschland und damit die EU wirtschaftlich nicht zusammenbricht. Wir müssen beides zusammenbringen. Die Debatte wurde hier gut geführt. Niemand von uns wusste vorher, welche Sanktionen am besten passen.

Ich würde angesichts der Lage sagen, dass mit dem zweiten Eintritt der Grünen in die Bundesregierung die Politik der alten Bundesrepublik abgeschlossen sein muss. Wie sehen Sie das?

Ich bin überzeugt, dass wir vieles zum Besseren verändern, gleichzeitig verändert sich auch die Welt sehr stark. Die alte Bundesrepublik hatte das Modell «Sicherheit ist garantiert durch die USA und Frankreich» und «Unsere wirtschaftlichen Interessen setzen wir mit politischen Allianzen durch». Das ist überholt. Das haben nicht wir Grünen bewirkt, aber wir haben einen Anteil daran.

Jetzt ist auch der Moment, in dem man verstehen muss, dass Zukunft auch Härte bedeutet, um sich gegen Viren und Zumutungen zu behaupten, um sich verteidigen zu können, wenn jemand angreift, um sich auch unter neuen Bedingungen auf dem Weltmarkt zu behaupten. Dafür wurden die Grünen aber nicht gegründet. Wie sehen Sie das?

Dass Externalisieren von allem Unschönen ist vorbei. Geopolitische Risiken und die ökologischen Kosten unseres Wirtschaftens lassen sich nicht mehr ignorieren. Viele Grüne und uns nahestehende Initiativen haben seit Jahren darauf hingewiesen. Es ist nun deutlich, dass Resilienz und Klimaschutz wirtschaftliche Faktoren sind. Bei der Handelspolitik ermöglicht uns der Moment, beides zusammenzubringen, Globalisierung und Klimaschutz. Die Märkte der Zukunft sind klimaneutral und widerstandsfähig.

Ich glaube ja, dass Robert Habeck die Grünen ins Zentrum der Gesellschaft gebracht hat mit dem Satz: «Bessere Politik, nicht bessere Menschen.» Jetzt ist man aber in der Situation, dass man republikanisches Bürgerengagement eben doch braucht, Leute, die weniger duschen, vor allem Leute, die nicht nur protestieren, sondern gemeinsame Zukunft erfinden und gestalten.

Dass Bürger sich bürgerlich verhalten, also als Teil einer demokratischen Gemeinschaft, erfüllt für mich nicht das Kriterium «besserer Mensch». Das ist das demokratische Zusammenleben. In einer Krisensituation ist die demokratische Gemeinschaft auch von dem abhängig, was der Einzelne tut. Das ist kein besseres Menschentum, sondern das, was uns von Diktaturen unterscheidet. Wir bauen keine Kameras ein, um das Duschen zu überprüfen, sondern wir vertrauen darauf, dass die Einzelnen sich als Teil der Gemeinschaft verstehen und selbstbestimmt ihre Verantwortung als Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen.


Franziska Brantner, 43, ist Parlamentarische Staats­sekretärin im Wirtschafts- und Klimaministerium von Robert Habeck, zuständig für Außenwirtschaft, Europa-, Digital- und Innovationspolitik. Sie ist direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für die Region Heidelberg Neckar-Bergstraße. Das Gespräch fand im Wirtschaftsministerium in Berlin-Mitte statt.

Peter Unfried ist Chefreporter der taz und Chefredakteur von taz FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik.

This article is licensed under Creative Commons License