Die Spur der Avocado

Die Graphic Novel „Die Spur der Avocado“, mit Texten von Annette Maennel und illustriert von Magdalena Kaszuba, erschien im Jahr 2016 und zeigt auf eindrucksvolle Weise, welche Folgen der Großanbau von Avocados für die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Chile hat. Neun Jahre später erklärt Gitte Cullmann, die Leiterin des Heinrich-Böll-Büros in Santiago de Chile, warum sich deren Hoffnungen trotz der Reform des Wassergesetzes nicht erfüllt haben. 

Wie eine unscheinbare Frucht den Menschen im nördlichen Chile das Wasser zum Leben entzieht und wie die Bürgerinnen und Bürger versuchen, ihr Menschenrecht auf Wasser durchzusetzen.
 

Illustration: Avocado im Supermarkt
Wir kaufen die beliebte Avocado im Supermarkt. Sie ist gesund, enthält viele Nährstoffe, schmeckt gut und ist vielfältig einsetzbar. Derzeit werden in Deutschland etwa 35.000 Tonnen pro Jahr verbraucht. Die Nachfrage steigt Jahr für Jahr.
Illustration: Wachstum der Avocado
Der Avocado-Baum wird heute weltweit in über 400 Kultursorten angebaut, und zwar in den Tropen, Südafrika, Israel, Kalifornien, Chile, Peru, Australien, Neuseeland und Südspanien. Die Avocado braucht sehr viel Sonne und Wasser, um zu wachsen und zu gedeihen. Auch in Chile wird sie in einem sehr gemäßigten Klima angebaut.
Illustration: Staatschefs diskutieren
Chile ist aber das einzige Land auf der Welt, in dem das Wasser und die Versorgung mit Wasser privatisiert ist. Das wurde in der Verfassung 1980 festgelegt. Das bedeutet:
Illustration: Wasser in Chile
Das Wasser befindet sich zu 84 Prozent in den Händen von großen Agrar- und Bergbauunternehmen. Die Versorgung der Bevölkerung mit Trink- und Nutzwasser ist nicht sichergestellt.
Illustration: Avocado-Plantage
So wurden in der Provinz Petorca nördlich der Hauptstadt riesige Plantagen auf Hängen angelegt. Die Großgrundbesitzer pumpen über unterirdische Drainagesysteme so viel Wasser in die Hänge, dass die beiden Flüsse ausgetrocknet sind.
Illustration: Kleinbauern und Kleinbäuerinnen
Dieser Diebstahl hat inzwischen 40 000 Kleinbauern in die Armut getrieben. Sie können ihre Plantagen mit Zitrusfrüchten und Avocados nicht mehr bewässern. Und mehr als 5.000 Nachbarn haben keinen Zugang zu Wasser.
Illustration: Landschaft mit Bergen und Feldern
Viele Jahre Dürre und der Klimawandel spitzen das Problem zu. Auch der Bergbau hat dazu beigetragen, dass die Gletscher schmelzen, die wichtigste Wasserquelle.
Illustration: Menschen protestieren
Aus purer Not haben sich die Menschen in der Bewegung MODATIMA zusammengeschlossen, um für ihr „Menschenrecht auf Wasser“ zu kämpfen. Sie decken illegal gelegte Brunnen, Wasserspeicher und Drainagesysteme zur Bewässerung der Plantagen auf. Bei ihren Protestmärschen bekommen sie Unterstützung von anderen sozialen Organisationen und aus den Nachbarregionen.
Illustration: Polizei und Gericht
Sie werden aber auch von der Polizei und der Staatsgewalt brutal unterdrückt. Die Protestierenden werden wie Kriminelle, gar Terroristen behandelt. Die Heinrich-Böll-Stiftung will MODATIMA mit politischen und zivilen Akteuren weltweit vernetzen und mit juristischem Beistand unterstützen.
Illustration: Gericht und Männer in Roben
Ende 2015 reichte MODATIMA eine Klage wegen Wasserraubs in der Provinz Petorca ein. Die Klage wurde angeblich aus Mangel an Beweisen abgewiesen, ohne dass die Zeugen gehört wurden. Sobald alle nationalen Rechtsmittel erschöpft sind, besteht die Möglichkeit, interamerikanische oder internationale Gerichte anzurufen, um das Grundrecht auf Wasser zu verteidigen.

Mein Wort dazu: Nicht mehr auf der politischen Agenda


Gitte Cullmann, 2025 Seit der Graphic Novel von 2016 hat sich die Lage in Petorca kaum verbessert – im Gegenteil: Chile erlebt mittlerweile über 15 Jahre Dürre. Flüsse sind ausgetrocknet und viele Gemeinden werden weiterhin per Tankwagen versorgt. Die Reform des Wassergesetzes 2022 setzte zwar neue Prinzipien, ließ aber bestehende private Wasserrechte unangetastet – davon profitieren nach wie vor große Avocadoplantagen, während umliegende Dörfer unter Wasserknappheit leiden und Kleinbauern ihre Flächen aufgeben müssen. 

Das Menschenrecht auf Wasser war ein Hoffnungsschimmer im Verfassungsprozess und unter der progressiven Regierung von Gabriel Boric. Jedoch waren die Kräfte des neoliberalen Modells stärker und haben das Thema Wasser von der politischen Agenda verdrängt: Der Export boomt weiter, die Wasserkrise auch.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem Böll.Thema 1/2022: Klima, Gesellschaft, Politik – Verantwortung übernehmen! Zum Download der Ausgabe.



Gitte Cullmann ist Soziologin und Wirtschafts­wissenschaftlerin. Sie hat an der Universität Münster studiert. Seit 2020 leitet sie das Internationale Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Santiago de Chile (Regionalbüro für Bolivien, Chile and Peru).

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