Nach Fukushima: China setzt auf Wasserkraft und Atomstrom

Trotz der Katastrophe in Japan hat der Volkskongress den massiven Ausbau der Atomenergie beschlossen. Noch ist die Diskussion um die Sicherheit verhalten, aber ganz unterbinden lässt sie sich nicht. ➤ Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen über und aus Asien.

In Chinas Energiemix spielt Nuklearenergie bisher kaum eine Rolle. Fast 70 % der Energie werden aus Kohle gewonnen, weniger als 2 % aus Kernenergie. Vor dem Hintergrund gravierender Umweltprobleme, eines rapide steigenden Ressourcen- und Energiebedarfs und den Herausforderungen durch den Klimawandel, setzt China auf den Ausbau und die Förderung „sauberer” Energien. China versteht darunter neben Erneuerbaren Energien auch Atomkraft. Um die gesetzten Klimaziele zu erreichen, verfolgt China den Bau riesiger Wasserkraft- und einer Vielzahl von Atomkraftwerke. Beide Formen sind fragwürdig, und das nicht nur weil China ein erdbebengefährdetes Land ist, in dem die Gefahren durch Naturkatastrophen und Auswirkungen auf solche Megaprojekte schwer abzuschätzen oder zu kalkulieren sind.

Cover Perspectives Asien

Perspectives Asien ist eine Publikationsreihe, die einem deutschen und europäischen Publikum asiatische Perspektiven vorstellt, Analysen zu globalen Trends liefert sowie vertiefte Einblicke in die Entwicklungen und politischen Debatten in Asien gibt. 

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China beschließt Ausbau der Nuklearenergie

Ungeachtet der Nuklearkatastrophe in Japan verabschiedete der Nationale Volkskongress am 14. März 2011 den 12. Fünfjahresplan (2011-2015) und damit den Ausbau der Nuklearenergie in großem Stil. 13 Atomreaktoren sind derzeit in Betrieb, mehr als 25 im Bau und weitere sind in Planung. Die Kapazitäten sollen von derzeit ca. 10,8 GW bis 2020 um das Achtfache auf 80 GW erhöht werden. Im Januar 2011 meldete China außerdem einen Durchbruch in der Technologie zur Wiederaufbereitung von nuklearen Brennelementen, die in der Zukunft die Abhängigkeit von Uranimporten reduzieren soll.

Als eine der ersten offiziellen Reaktionen nach dem Unglück in Japan verkündete Vizeumweltminister Zhang Lijun, dass in allen 13 Kraftwerken Sicherheitstests durchgeführt wurden und es keine Sicherheitsbedenken gebe. Außerdem wurden entlang Chinas Ostküste Messstationen eingerichtet und die Messwerte auf der Internetseite des Umweltministeriums veröffentlicht. China werde aus den Vorfällen in Japan-Fukushima lernen, jedoch ohne von seinen Nuklearplänen abzuweichen, so Zhang.

Mit Ausweitung der nuklearen Krise in Japan und nach zum Teil panikartigen Reaktionen innerhalb der chinesischen Gesellschaft lenkte die Regierung wenige Tage später ein und kündigte einen vorübergehenden Genehmigungsstopp sämtlicher geplanter Atomkraftwerke an. Darüber hinaus sollen alle in Betrieb und im Bau befindlichen Anlagen einer weiteren Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden.

Offizielle chinesische Medien berichten ausführlich über die Katastrophe, einschließlich der dadurch weltweit ausgelösten Reaktionen in Bezug auf die Atomkraftpläne einzelner Länder.

Risiken von Atomkraft nicht im Blickfeld der Umweltgruppen

In China gab es bisher keine öffentliche Debatte zu den Themen Atomkraft, nukleare Sicherheit oder dem Problem der Endlagerung von Nuklearabfällen. Zum Einen ist Nuklearenergie ein politisch höchst sensibles Thema, das unmittelbar mit Fragen der nationalen Sicherheit verknüpft ist. Zum Anderen haben Chinesen insgesamt eine eher positive Haltung zu „moderner“ Technologie. Angesichts der massiven Umweltprobleme in China sehen selbst fortschrittliche Umweltgruppen das Thema nicht als Priorität ihrer Arbeit an und haben sich bislang kaum mit den Risiken beschäftigt.

Nachdem Anfang Juli 2010 Hongkonger Medien über Störfälle im Atomkraftwerk Daya Bay im Süden Chinas berichtet haben, griff die bekannte Chinesische Wochenzeitung “Southern Weekend” das Thema erstmals auf und veröffentlichte sowohl einen Hintergrundbericht als auch ein Interview mit dem stellvertretenden Direktor für Nukleare Sicherheit im Umweltministerium. Er thematisiert offen die Herausforderungen und Risiken in Verbindung mit den ambitionierten Nuklearenergieplänen Chinas. Doch die Artikelserie wurde kaum wahrgenommen und löste keine größere, öffentliche Debatte aus.

Tragödie in Fukushima führt zu kontroversen Diskussionen im Netz

Erst durch den Vorfall in Japan ist die chinesische Öffentlichkeit alarmiert.

Vor allem im Internet wird kontrovers debattiert. Das Argument, Chinas Atomtechnik sei moderner und damit sicherer als die Anlagen in Japan, hat sich unter einem Teil der Internetcommunity schnell verbreitet. Andere Beiträge sind skeptischer und viele Blogger flüchten sich in Sarkasmus: „Wenn schon das hochentwickelte Japan diese Krise nicht abwenden konnte, wie soll ein großes Land, das nicht einmal die eigene Milchpulverproduktion kontrollieren kann, die Sicherheit seiner AKWs garantieren?“, fragt einer in Anspielung auf den letzten großen Lebensmittelskandal in China.

Dass relevante Suchbegriffe und Internetseiten zeitweise blockiert wurden, zeigt, wie sensibel die Diskussion um Chinas eigene Nuklearpläne ist. Jedoch zeichnet sich der Beginn einer breiteren Debatte auch um Chinas eigene zivile Nutzung von Kernenergie ab. Viele umgehen die Zensur im Internet und es erscheinen täglich kontroverse Beiträge. Binnen weniger Tage nach der Katastrophe in Japan erhielt das Chinabüro der Heinrich-Böll-Stiftung mehrere Anfragen von chinesischen Journalisten und NGOs nach Informationen zum Thema Nuklearenergie und den Erfahrungen Deutschlands auf diesem Gebiet. Es bleibt abzuwarten, ob das derzeitige Interesse tatsächlich zu einer anhaltenden und vertieften Auseinandersetzung über die Risiken im Umgang mit Kernenergie führen wird.


Katrin Altmeyer und Christina Sadeler, Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Peking