Von Wien nach New York in Richtung Atomwaffenverbot

Die Kluft zwischen Atomwaffenstaaten und Nichtatomwaffenstaaten hat sich nach der dritten Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen nicht geschlossen. Die Debatte wird nun bei der nächsten Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Mai weiter geführt.

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Vor der Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Kernwaffen, die am 8. und 9. Dezember in Wien stattfand

Es ist schon ein bemerkenswerter Zufall, dass sich die Staatengemeinschaft in ein und derselben Woche gleich zu zwei internationalen Konferenzen zusammenfand, die sich jeweils mit einem der beiden existentiellen Probleme unseres Planeten befassten. In Lima diskutierten über 190 Staaten, wie die desaströsen Folgen des Klimawandels noch verhindert oder abgemildert werden können. In Wien setzten sich 158 Staaten mit den katastrophalen Folgen einer Atomwaffenexplosion und dem apokalyptischen Szenario eines Atomkrieges auseinander. Während die Weltöffentlichkeit auf Lima schaute, blieb die Konferenz in Wien jedoch vom medialen Auge weitgehend unbemerkt.

Dabei waren die Konflikte nicht weniger drastisch und die Schlussfolgerungen nicht minder bahnbrechend. An beiden Orten zeichnete sich ab, dass es einen neuen Vertrag braucht, um die Erde zu retten. In beiden Fällen müssen sich die Regierungen endlich zusammenraffen. Denn das Zeitfenster ist eng. 2015 scheint die Welt gleich zweimal am Scheideweg zu stehen: in Paris wird entschieden, ob sich die Staatengemeinschaft zu einem Weltklimavertrag durchringen kann. In New York wird unter dem Dach der Vereinten Nationen um einen Verbotsvertrag von Atomwaffen gestritten.

Die Wiener Konferenz war der Abschluss einer dreiteiligen Konferenzserie zu den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen, die im März 2013 in Oslo begann und im Februar 2014 in Nayarit ihre erste Fortsetzung fand. Hintergrund ist ein schon lange währendes Zerwürfnis zwischen Atomwaffenstaaten und Nichtatomwaffenstaaten. Die Nichtatomwaffenstaaten haben es satt, dass es auch 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges noch keine signifikanten Fortschritte in der nuklearen Abrüstung gibt. Zwar wurden die Arsenale kräftig abgebaut. Sie überschreiten jedoch immer noch alle Dimensionen sicherheitspolitischer ratio.

Höchst instabile Atomwaffenstaaten

Derzeit existieren weltweit noch ca. 16 300 Atomwaffen. Jede einzelne mit der vielfachen Sprengkraft der Bombe von Hiroshima. Ein Bruchteil dieses Arsenals würde schon ausreichen, um alles Leben auf der Erde gleich mehrfach auszulöschen. Es ist die Tragödie eines falschen Verständnisses von Größe. Wer Atomwaffen hat, gilt als groß und unverwundbar. Deshalb streben immer mehr Staaten danach. Doch gerade indem sie so nach Sicherheit streben, schaffen sie die größte planetare Bedrohung. Die USA, Russland und China modernisieren zurzeit ihre Arsenale und steigern damit noch deren Schlagkraft. Dieser Mix aus Verbreitung und Modernisierung, aus Streuung und Steigerung, verleiht der nuklearen Bedrohung im 21. Jahrhundert eine neue Dimension. Zumal einige der heutigen Atomwaffenstaaten wirtschaftlich und politisch höchst instabil sind, eine Vielzahl von ihnen gar in Krisenregionen zu finden ist.

Das untragbare Risiko, das von Atomwaffen ausgeht, wurde in Wien von allen Staaten anerkannt. Auch in der Formulierung des Ziels einer atomwaffenfreien Welt waren sich alle einig. Doch die Glaubwürdigkeit der Atomwaffenstaaten hat inzwischen schwer gelitten. Ihnen kauft kaum noch jemand ab, dass sie es ernst meinen mit ihrem Bekenntnis zu einer Zukunft ohne Atomwaffen. Zu groß ist die Enttäuschung über die gescheiterte Global-Zero-Initiative Obamas von 2009. Fünf Jahre danach besitzen Russland und die USA noch immer über 90% der weltweiten Atomwaffenarsenale. Es wäre ungerecht, den amerikanischen Präsidenten dafür allein verantwortlich zu machen. Die Nichtatomwaffenstaaten wollen sich jedoch nicht länger mit innenpolitischen Erklärungen und dem Verweis auf den ungünstigen strategischen Kontext abfinden.

Menschliches Leid und strategische Erwägungen

Nach Jahrzehnten mangelnden Fortschritts in der nuklearen Abrüstung ist für die Nichtatomwaffenstaaten klar, dass sie sich nicht mehr auf den good will der Atomwaffenstaaten verlassen können. Und sei dieser noch so aufrichtig vorhanden. Ihre unüberwindbare Abhängigkeit von Atomwaffen gleicht einem Suchtverhalten. Einsicht allein reicht nicht aus, um sich daraus zu befreien. Es braucht die Unterstützung von außen. 44 Staaten kamen in Wien daher zu dem Schluss, dass ein völkerrechtliches Verbot dringend notwendig ist. Im Zweifelsfall auch ohne die Beteiligung der Atomwaffenstaaten. So lange sich letztere darauf berufen können, dass der Besitz von Atomwaffen nicht illegal ist, haben sie es leicht, jedem Druck von außen zu entweichen. Dies würde sich mit einer neuen völkerrechtlichen Norm schlagartig ändern.

In Wien nahmen mit den USA und Großbritannien zum ersten Mal zwei Atomwaffenstaaten an einer Konferenz zu Atomwaffen teil, bei der die menschliche Sicherheit im Mittelpunkt stand. Schon das allein ist ein großer Erfolg. Es macht deutlich, dass die humanitären Argumente dem rein militärstrategischen Denken die Deutungshoheit abgerungen haben. Die Delegierten wurden mit den Berichten von Opfern des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und von Atomwaffentests konfrontiert. Angesichts des unermesslichen menschlichen Leids konnte eine auf strategische Erwägungen basierende Gegenrede nur noch ins Leere verhallen.

Die deutsche Position, die im Kern ein business as usual propagierte, wirkte in diesem Rahmen zynisch und abgehängt. Geradezu deplatziert. Die Mahnung der Bundesregierung, die vertrauten Pfade nicht zu verlassen, offenbart, dass sie den außenpolitischen Horizont der Wiener Konferenz nicht fassen kann. Österreich hat sich am Ende dazu verpflichtet, auf ein Verbot von Atomwaffen hinzuwirken. Der Gastgeber rief alle Staaten dazu auf, sich diesem Prozess anzuschließen. Die nächste Wegmarke zeigt nach New York, zur 9. Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Mai nächsten Jahres. Will die Bundesregierung den Anschluss nicht verpassen, muss sie jetzt ihren abrüstungspolitischen Kurs ändern.