Die militärische Überlegenheit der USA und die Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle

Protestaktion gegen nukleare Massenvernichtungswaffen vor der Nordseite des Weißen Hauses in Washington
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Protestaktion gegen nukleare Massenvernichtungswaffen vor der Nordseite des Weißen Hauses in Washington

Die Vereinigten Staaten und Russland setzen den New START-Vertrag um, der vorsieht, dass beide Seiten bis 2018 ihr Waffenarsenal auf nicht mehr als 1550 strategische Gefechtsköpfe, stationiert auf nicht mehr als 700 strategischen Raketen und Bombern reduzieren. Gerne würde die Regierung von Barack Obama noch weiter gehen, jedoch müsste Washington dazu eine Reihe verwandter Probleme angehen, allen voran die Frage der Raketenabwehr. Vorausgesetzt, Washington und Moskau befassen sich mit diesen Fragen ernsthaft, dann sind betreffende Lösungen möglich.

Im Juni 2003 hatte Präsident Obama in Berlin vorgeschlagen, die New START-Obergrenze von 1550 stationierten Gefechtsköpfen um ein Drittel zu reduzieren, und er forderte „kühne“, wenn auch nicht näher ausgeführte Senkungen bei der Zahl der nicht-strategischen Nuklearwaffen (NSNW, auch als taktische Atomwaffen bezeichnet). Inoffiziell sagten Regierungsvertreter, Washington sei bereit, entsprechende Kürzungen bei seinen stationierten Raketen und Bombern vorzunehmen, sowie auch bei der durch New START festgesetzten Obergrenze für die Zahl der stationierten und nicht stationierten Abschusssysteme für Flugkörper und bei den Bombern.

Nachdem der New START-Vertrag 2011 in Kraft getreten war, erklärten Vertreter der US-Regierung, man sei daran interessiert, über ein Abkommen zu verhandeln, das eine gemeinsame Obergrenze für sämtliche amerikanischen und russischen Nuklearwaffen festlege – strategische wie taktische, stationierte wie nicht stationierte –, eventuell mit einem gesonderten Limit für die stationierten strategischen Gefechtsköpfe. Dies würde bedeuten, erstmals wären sämtliche amerikanischen und russischen Nuklearwaffen Gegenstand von Verhandlungen.

In jüngster Zeit haben sich US-Regierungsvertreter an einer solchen Herangehensweise jedoch weniger interessiert gezeigt, gehen sie doch davon aus, dass ein solcher, „großer“ Vertrag viel Zeit in Anspruch nehmen würde – mehr Zeit als Präsident Obama im Amt verbleiben. (Es wäre am besten, einen Vertrag dem Senat zur Beratung vor 2016 vorzulegen, dem Jahr der Präsidentschaftswahlen, was bedeutet, ein solcher Vertrag müsste 2015 ausverhandelt werden.) US-Vertreter sind mittlerweile der Ansicht, man solle versuchen, über unterschiedliche Klassen von Nuklearwaffen getrennt zu verhandeln. Während die US-Regierung versucht, die in New START festgelegten Obergrenzen zu senken, berät sie im Rahmen der NATO über Transparenz und vertrauensbildende Maßnahmen bei taktischen Nuklearwaffen, denn dies könnte ein notwendiger erster Schritt sein, um Russland dazu zu bewegen, diese Waffen abzubauen.

Moskau seinerseits zeigt sich wenig interessiert, Atomwaffen über die durch New START festgelegten Obergrenzen hinaus abzubauen, und verlangt, im Rahmen einer Diskussion über einen weitergehenden Abbau, auch andere Probleme zu verhandeln. Dazu gehören unterschiedliche Ansichten zur Raketenabwehr, der Behandlung von konventionellen Global-Strike-Systemen, der Multilateralisierung des Abbaus von Nuklearwaffen sowie die Begrenzung konventioneller Waffen in Europa und im Weltraum. Was taktische Nuklearwaffen angeht, haben russische Offizielle gefordert, vor Verhandlungsbeginn müssten alle diese Waffen auf das jeweilige Staatsgebiet zurückgezogen werden. Dies würde den Abzug von 200 US- Nuklearwaffen aus Europa bedeuten. US-Vertreter lehnen diese Vorbedingung ab, räumen aber ein, es sei möglich, dass die Verhandlungen über ein solches Abkommen zu einem derartigen Ergebnis führen könnten.

Die Art und Weise, in der Moskau hier Fragen miteinander verknüpft, spiegelt die russischen Sorgen über die Überlegenheit der USA in jenen Bereichen wider, die, aus russischer Sicht, das durch New START hergestellte Gleichgewicht bei den strategischen Nuklearwaffen sabotieren könnte. Manche zweifeln an Russlands prinzipieller Bereitschaft, weiter abzurüsten, und glauben, Moskau benutze diesen Konnex nur als Vorwand, keine Kürzungen unter die durch New START festgelegten Obergrenzen vornehmen zu müssen, jedenfalls nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Zwar hat das US-Militär bei der Raketenabwehr und bei konventionellen High-Tech-Waffen zweifellos einen gewissen Vorsprung,  man sollte die militärische Überlegenheit der USA aber auch nicht überbewerten. Das US-Militär hat sich gerade nach langem Einsatz aus dem Irak zurückgezogen, ist im Begriff den noch längeren Einsatz in Afghanistan zurückzufahren, muss erhebliche Haushaltskürzungen verkraften und seinen Bestand an Kriegsgerät rekapitalisieren. Auch die meisten US-Verbündeten in Europa nehmen erhebliche Einschnitte bei den Verteidigungsausgaben vor, wohingegen das russische Militär ein umfangreiches Modernisierungsprogramm aufgelegt hat.

Alles in allem scheint Washington klar zu sein, dass es wenigstens einige der von Moskau benannten, miteinander verflochtenen Fragen angehen muss, will man weitere Fortschritte bei der atomaren Abrüstung machen. Das sollte möglich sein. Im Folgenden soll untersucht werden, was hierzu getan werden muss.

Raketenabwehr

Zugrunde liegt den russischen Befürchtungen bei der Raketenabwehr die Wechselbeziehung zwischen Verteidigungs- und Angriffswaffen, etwas, was bereits in der Präambel des New START-Vertrags angesprochen wird. Moskau befürchtet, dass, sollten die USA eine größere Anzahl weiterentwickelter, wirksamer Abfangraketen stationieren, dies das strategische Gleichgewicht bei den atomaren Angriffswaffen gefährden könnte. Im Prinzip ist diese Befürchtung nachvollziehbar.

Seit 2011 haben die Russen auf eine gesetzlich verbindliche Garantie – d.h., auf einen Vertrag – dafür gepocht, dass sich die Abwehrraketen der USA nicht gegen Russlands strategische Waffen richten. Eine solche Garantie soll einhergehen mit „objektiven Kriterien“, womit eine Begrenzung bei Zahl, Geschwindigkeit und Position der Abfangraketen gemeint ist. Dies würde die Wiederbelebung des 1972 geschlossenen ABM-Vertrags (Anti-Ballistic Missile Treaty) bedeuten, aus dem sich die Regierung von George W. Bush 2002 zurückgezogen hatte.

Derzeit würden die Republikaner im Senat unter keinen Umständen dem Abschluss eines solchen Vertrags zustimmen. Diskussionen im Kongress über die Raketenabwehr werden gegenwärtig leider mindestens ebenso sehr von der Ideologie bestimmt wie vom Verständnis für strategische Fragen oder den tatsächlichen Fähigkeiten einzelner Raketenabwehrsysteme. Während russische Offizielle ganz richtig darauf hinweisen, dies sei ein „inneramerikanisches“ Problem, macht es doch einen Vertrag zur Raketenabwehr, wie Moskau ihn wünscht, derzeit unmöglich.

Ein gesetzlich bindender Vertrag zur Raketenabwehr mag in Zukunft einmal notwendig und zweckmäßig sein, dann nämlich, wenn sich die Zahl von Angriffs- und Abfangraketen angleicht. Zurzeit ist dies jedoch nicht der Fall, und das wird es auch in absehbarer Zukunft nicht sein. Zwischen strategischen Angriffswaffen und strategischen Abwehrwaffen klafft eine gewaltige Lücke.

New START sieht vor, dass sowohl die USA wie auch Russland ab Februar 2018 über nicht mehr als 1550 stationierte strategische Gefechtsköpfe verfügen. Bis dahin wird das US-Militär – maximal – 44 Abwehrraketen stationiert haben, deren Geschwindigkeit ausreicht, einen strategischen Gefechtskopf abzufangen – das ist etwa zwei Drittel desjenigen, was das russische Militär aktuell rund um Moskau stationiert hat. Seien es nun 44 oder 68 Abfangraketen – in keinem Fall würde dies selbst bei einer Trefferquote von unwahrscheinlichen 100 Prozent für die strategische Offensivkraft der jeweils anderen Seite eine große Bedrohung darstellen.

Obwohl die Entscheidung der USA vom März 2013, Phase 4 des European Phased Adaptive Approach (EPAA) der Raketenabwehr aufzugeben, in erster Linie aus Kostengründen und wegen technischer Probleme fiel und nicht der Bedenken Russlands wegen, war dies das Ende jenes Teils der Raketenabwehr, die Moskau die größte Sorge bereitete, nämlich der SM-3 Abwehrraketen, die in der Lage gewesen wären, eine angreifende Rakete auf ihrer ballistischen Flugbahn abzufangen. Im April schlugen US-Vertreter ein bilaterales Übereinkommen auf Regierungsebene vor, das beide Seiten dazu verpflichten würde, die andere über ihre aktuellen und zukünftigen Raketenabwehrprogramme aufzuklären. Transparenz in dieser Frage gäbe beiden Seiten die Möglichkeit einzuschätzen, ob die eigenen strategischen Offensivkräfte gefährdet sind sowie ausreichend Zeit, auf eine solche mögliche Bedrohung zu reagieren.

Russische Offizielle wissen sehr wohl, dass ein gesetzlich bindender Vertrag derzeit nicht möglich ist. Würde Moskau seine Forderung nach einer gesetzlich bindenden Garantie und nach Obergrenzen fallen lassen – während es sich zugleich das Recht vorbehielte, auf diese Fragen zurückzukommen, sollte sich die Lücke zwischen Angriffs- und Abwehrkraft wesentlich schließen –, dann wäre der Weg frei für eine Lösung in Sachen Raketenabwehr.

Darüber hinaus öffnete dies den Weg für eine gemeinsame Raketenabwehr von NATO und Russland für Europa, ein Ansatz, den zu sondieren NATO und Russland im November 2010 vereinbart hatten. Washington und Moskau könnten dabei auf Ideen aufbauen, die bereits in der offiziellen (Pentagon) wie in der inoffiziellen Diplomatie diskutiert worden sind – Ideen dazu, wie die unabhängigen Raketenabwehrsysteme der NATO und Russlands, denn zumindest anfangs wäre keine Seite dazu bereit, unter Führung der anderen zu arbeiten, einander ergänzen könnten. Zu diesen Ideen zählen:

  • Transparenz bei aktuellen und geplanten Systemen zur Raketenabwehr;
  • gemeinsame Manöver zur Raketenabwehr (die USA, NATO und Russland haben mit solchen Übungen bereits Erfahrungen);
  • eine von NATO und Russland gemeinsam betriebene Datenzentrale zur Frühwarnung und um die Daten des amerikanischen, russischen und des NATO-Radars sowie anderer Sensoren zu empfangen, zusammenzuführen und die Ergebnisse an die Kommandoebenen der russischen und der NATO-Raketenabwehr zurückzugeben;
  • eine von NATO und Russland gemeinsam besetzte Planungs- und Einsatzzentrale, um Szenarien einer möglichen Bedrohung Europas durch Raketen durchzuspielen und sich über mögliche Angriffsszenarien und Pläne und Regeln für eine Raketenabwehr auszutauschen.

Solche Ansätze könnten den russischen Bedenken in Sachen Raketenabwehr ein großes Stück entgegenkommen – vorausgesetzt, Moskau will eine Lösung für diese Probleme finden und sie nicht am Leben erhalten als Vorwand, einer Debatte über den weiteren Abbau von Nuklearwaffen aus dem Weg zu gehen.

Conventional Prompt Global Strike (CPGS)

Die Russen zeigen sich besorgt über die steigende Genauigkeit und Zerstörungskraft amerikanischer konventioneller Angriffswaffen mit großer Reichweite, befürchten sie doch, dass mit solchen Systemen Ziele in Russland angegriffen werden könnten, darunter auch strategische Ziele, für deren Zerstörung früher Atomwaffen erforderlich gewesen wären. Das Problem CPGS lässt sich in drei Teile zergliedern, die jeweils anders behandelt werden müssen.

Erstens: Sollten entweder die USA oder Russland erwägen, ballistische Raketen mit konventionellen Gefechtsköpfen zu bestücken, wären solche Gefechtsköpfe durch New START abgedeckt. Die Obergrenze von 1550 stationierten strategischen Gefechtsköpfen macht zwischen nuklearen und konventionellen Sprengköpfen keinen Unterschied. Wenn eine Seite eine ballistische Interkontinentalrakete (ICBM) oder eine U-Boot-gestützte ballistische Rakete (SLBM) mit einem konventionellen Gefechtskopf ausrüstet, muss sie die Zahl der nuklearen Gefechtsköpfe entsprechend senken.

Zweitens: Hyperschallgleiter folgen, obwohl sie mit einer ballistischen Rakete starten, keiner ballistischen Flugbahn und werden von New START deshalb nicht erfasst. Das US-amerikanische Militär arbeitet an einem Hyperschallgleiter, der einen konventionellen Sprengkopf bei einer Reichweite von knapp 10.000 km innerhalb einer Stunde nach dem Start ins Ziel bringen kann. Sollte das Pentagon hier ernsthaft Fortschritte machen, wäre das Ergebnis eine Waffe, die beinahe das Potential einer ICBM erreicht. Für solche Fälle sieht New START vor, dass die Bilaterale Beratungskommission über diese Systeme, ihre Folgen für die Anwendbarkeit des Vertrages und den Umgang mit ihnen verhandelt. (Erwähnt werden muss, dass auch das russische Militär an einem Hyperschallgleiter arbeitet.) Die USA sehen nur einen sehr begrenzten Bedarf für solche Hyperschallgleiter – die Rede ist von einem „schmalen Segment“ von höchstens einigen Dutzend Sprengköpfen. Einen konventionellen Gefechtskopf per Hyperschallgleiter auf ein weit entferntes Ziel zu schießen, wäre sehr teuer und würde unter Umständen pro Geschoss einen zwei- oder gar dreistelligen Millionen-Dollar-Betrag kosten. Das knappe Verteidigungsbudget würde die Zahl der Hyperschallgleiter, die die USA, sollte ihre Entwicklung gelingen, stationieren könnten, stark beschränken. Geht man von einer geringen Zahl dieser Waffen aus, wäre eine mögliche Lösung, sie in das Limit, welches New START für Gefechtsköpfe vorsieht, einzuberechnen – in eben der Weise wie sich die Regierung von Präsident Obama damit einverstanden erklärt hat, konventionelle Sprengköpfe auf ICBMs oder SLBMs in die vereinbarte Obergrenze von 1550 mit einzubeziehen.

Drittens: Einigen russischen Experten zufolge sind konventionell bewaffnete luft- und seegestützte Marschflugkörper eine Bedrohung für die strategischen Atomstreitkräfte, ICBM-Silos eingeschlossen. Für beide Seiten wäre es jedoch sehr schwierig, eine ausreichende Zahl von Trägersystemen für Marschflugkörper in die Nähe des Gegners zu bringen, ohne dabei entdeckt zu werden. Die Sorge der Russen scheint besonders konventionell bewaffneten, U-Boot-gestützten Marschflugkörpern zu gelten, darunter auch die vier früheren U-Boote der Ohio-Klasse, die mit ballistischen Raketen bewaffnet waren, und auf Marschflugkörper umgerüstet wurden. Hier, fürchten die Russen, wäre es möglich, dass sich solche U-Boote unbemerkt Russlands Küsten nähern.

Darüber hinaus scheinen amerikanische und russische Experten die Möglichkeiten, konventionell bewaffnete Marschflugkörper könnten bestimmte Ziele, insbesondere gepanzerte ICBM-Silos zerstören, unterschiedlich einzuschätzen. Russische Experten glauben US- Marschflugkörper könnten ICBM-Silos ausschalten, während US-Militärs die Wahrscheinlichkeit, mit einem konventionell bestückten Marschflugkörper ein Raketensilo zu zerstören, gering einschätzen.

Konventionell bewaffnete Marschflugkörper spielen in der amerikanischen Militärstrategie eine Schlüsselrolle, und es ist kaum anzunehmen, das US-Militär werde sich hier auf eine merkliche Begrenzung einlassen (dasselbe gilt vielleicht auch für das russische Militär, das versucht, seine Marschflugkörper zu verbessern). Washington und Moskau könnten jedoch eine gemeinsame militärische Arbeitsgruppe aufstellen, deren Aufgabe es wäre, zu untersuchen, wie sich konventionell bewaffnete Marschflugkörper auf das strategische atomare Gleichgewicht auswirken.

Multilateralisierung der nuklearen Abrüstung

Washington und Moskau verfügen zusammen über mehr als 90 Prozent aller Nuklearwaffen – und dies auch dann noch, wenn die Obergrenzen von New START 2018 voll greifen. Entsprechend tragen die USA und Russland die größte Verantwortung für eine nukleare Abrüstung. Doch für immer kann dieser Prozess keine rein amerikanisch-russische Angelegenheit bleiben. Allerdings haben die beiden nuklearen Supermächte gegenüber anderen Ländern einen gewaltigen Vorsprung. Schätzungen gehen davon aus, dass die USA und Russlands jeweils etwa 4500 nukleare Sprengköpfe besitzen, verglichen mit 300 bei der nächstgrößten Atommacht. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Drittländer heute, unter diesen Voraussetzungen, dazu bereit sind, über den Abbau ihrer wesentlich kleineren Atomstreitkräfte zu verhandeln.

Unter den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates wird diskutiert, wie man den Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) nachkommen kann. Washington und Moskau könnten sich auf eine gemeinsame Strategie verständigen, um die anderen drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats dazu zu bewegen, sich an der atomaren Abrüstung zu beteiligen. Beispielsweise könnten diese Staaten die Zahl ihrer Atomsprengköpfe offenlegen. Darüber hinaus könnten sie sich dazu verpflichten, die Zahl ihrer Nuklearwaffen solange nicht zu erhöhen, wie die USA und Russland die Zahl ihrer Sprengköpfe reduzieren. Die anstehende Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Jahr 2015 könnte für Staaten ohne Atomwaffen der Ort sein, auf diplomatischem Wege Großbritannien, Frankreich und China wenigstens zu kleinen Schritten zu bewegen.

Ein Aspekt für Moskau und Washington ist, dass viele chinesische und einige französische Nuklearwaffen nicht „strategisch“ im Sinne von New START sind. Auch die Nuklearwaffen anderer Drittstaaten sind nicht „strategisch“. Dies ist für die USA und Russland ein zusätzlicher Grund, im Bereich der NSNW (der taktischen Nuklearwaffen) etwas zu unternehmen: Es wäre schwierig, von Drittstaaten zu verlangen, ihre taktischen Nuklearwaffen abzubauen, wenn die NSNW der USA und Russlands unbegrenzt bleiben.

Konventionelle Streitkräfte und Waffen in Europa

Im Jahr 2008 hat Russland den 1990 geschlossenen Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (CFE, deutsch: KSE) ausgesetzt, da die NATO sich nicht bemühe, das 1999 geschlossene Übereinkommen über die Anpassung des KSE-Vertrages zu ratifizieren. Nachdem der Versuch scheiterte, Russland hier zur Umkehr zu bewegen, setzten die NATO-Staaten 2011 bestimmte, Russland betreffende Verpflichtungen aus dem KSE-Vertrag aus. Gegenwärtig ist nicht abzusehen, ob der KSE-Vertrag wieder aufleben kann, geschweige denn, wie es gelingen könnte, das Übereinkommen über die Anpassung des KSE-Vertrages in Kraft zu setzen.

Wie seine Vorgänger legte der KSE-Vertrag Obergrenzen für fünf Waffenkategorien fest (sog. „treaty-limited equipment“, TLE), nämlich für Kampfpanzer, gepanzerte Truppentransporter, Artillerie, Kampfhubschrauber und Kampfflugzeuge. Die meisten Vertragsteilnehmer inklusive der NATO-Staaten und Russlands bewegen sich weit unter den im KSE-Vertrag oder im angepassten KSE-Vertrag festgeschriebenen Grenzen. Beispielsweise haben die USA 2013 ihre letzten Kampfpanzer aus Europa abgezogen. (Ob die Waffenkategorien des KSE-Vertrags in Zeiten neuer Technologien wie der Drohnentechnik ein sinnvolles Maß sind, um die Kampfkraft der jeweiligen Truppen zu bemessen, sei dahingestellt.)

Da die meisten NATO-Staaten ihre Verteidigungshaushalte spürbar kürzen, werden auf Seite der NATO die im KSE-Vertrag benannten Waffenkategorien vermutlich weiter schrumpfen. Russland erhöht zwar seine Verteidigungsausgaben und versucht, seine Streitkräfte erheblich zu modernisieren, jedoch scheint man damit nicht so rasch voranzukommen wie gedacht. Es wird noch einige Zeit vergehen, bevor das russische Militär wieder über Fähigkeiten verfügt, die für die NATO eine ernsthafte Bedrohung darstellen würden.

Obwohl der KSE-Vertrag also praktisch gestorben ist, hat er sein Grundziel doch erreicht. Weder die NATO noch Russland scheinen heute oder in absehbarer Zukunft in der Lage, eine überraschende Bodenoffensive zu führen, und größere Abschnitte gegnerischen Territoriums zu erobern oder zu besetzen.

Für die NATO, Russland oder andere europäische Länder ist es deshalb sinnvoll, sich auf vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen bei den konventionellen Streitkräften zu konzentrieren, das heißt: Manöver oder größere militärische Bewegungen werden der anderen Seite angekündigt, Manöver dürfen beobachtet und die Truppen der anderen Seite inspiziert werden. Dabei können sämtliche Parteien auf das Wiener Dokument über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (2011) aufbauen sowie auf den Vertrag über den Offenen Himmel (2002), den die NATO-Staaten und Russland weiterhin einhalten.

Durch derartige Maßnahmen kann Vertrauen gestärkt werden, weiß man doch welche Kampfkraft und Absichten die jeweils andere Seite hat, besonders was ihre Fähigkeit zu groß angelegten Überraschungsangriffen betrifft. Fortschritte bei solchen vertrauensbildenden Maßnahmen könnten die Grundlage sein, zu einem späteren Zeitpunkt wieder über die Begrenzung bestimmter Arten von konventionellen Waffen zu verhandeln.

Der Weltraum

Moskau hat über viele Jahre die Gefahr beschworen, der Weltraum könne aufgerüstet werden, und Verhandlungen gefordert, dies zu verhindern. Es ist jedoch nicht klar, welche Art von weltraumgestützten Systemen die Russen umtreiben. Das US-Militär plant derzeit nicht konkret, Angriffswaffen im Weltraum zu stationieren.

Dennoch nutzen die USA den Weltraum intensiv für militärische Operationen, unter anderem für deren Planung und Durchführung, die Kommunikation, Überwachung, Aufklärung und Zielbestimmung. Das US-Verteidigungsministerium fürchtet, jedes Abkommen, das militärische Aktivitäten im Weltraum einschränkt, könne sich negativ auf diese Fähigkeiten auswirken.

Die EU hat vorgeschlagen, für Operationen im All Verhaltensregeln zu vereinbaren, und die US-Regierung ist dafür offen. Auf diesem Wege ließen sich vielleicht Fortschritte erzielen. Zwar geht dies viel weniger weit als der Vorschlag Russlands, es wäre jedoch ein guter Ausgangspunkt für Gespräche über Fragen, die mit dem Weltraum zu tun haben.

Fazit

Leider erschweren die zahlreichen Bedingungen, welche die Russen setzen, eine weitere atomare Abrüstung. Wie gezeigt, gibt es Wege, die von Moskau mit einer atomaren Abrüstung in Verbindung gebrachten Fragen anzugehen und zu lösen – und so vielleicht wieder Bewegung in die Sache zu bringen. Die US-Regierung hat sich bei der Raketenabwehr gesprächsbereit gezeigt und wäre sicher willens, auch die Lösung anderer Fragen anzugehen. Hierzu wäre es jedoch wichtig, verlässlich zu wissen, dass, sollte Washington sich bewegen, Moskau seinerseits zu ernsthaften Verhandlungen über einen weiteren Abbau von Atomwaffen bereit ist.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Jochen Schimmang.

 

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Die Zukunft der Rüstungskontrolle: Kooperative Rüstungsbegrenzung und Abrüstung in Zeiten des globalen Wandels
Die internationale Expertenkonferenz der Heinrich-Böll-Stiftung fand statt am 9. und 10. September 2013 in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin, und dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Weitere Informationen und Hintergründe zur Thematik finden Sie auch in unserer englischsprachigen Publikation The Future of Arms Control im Rahmen unserer Publikationsreihe Schriften zur Demokratie.