Demokratische Außenpolitik unter Stress

Sitzung des Europäisches Parlaments, 2008
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Trotz aller Krisen und Fehlentwicklungen muss sich der demokratische Westen nicht verstecken, sondern sollte seine Werte offensiv vertreten

Ein neuer selbstbewusster Autoritarismus bedroht die Demokratie. Ralf Fücks plädiert in der Eröffnungsrede zur 16. Außenpolitischen Jahrestagung für Demokratieförderung als außenpolitisches Ziel.

Vom "Ende der Geschichte" kündete vor fast genau 25 Jahren ein Artikel, der weltweit Furore und seinen Autor Francis Fukuyama berühmt machen sollte. Knapp zusammengefasst lautete die These: Der Kampf der Ideologien ist vorbei. Faschismus und Kommunismus sind auf der Müllhalde der Geschichte gelandet; der Sieg gehört dem liberalen Kapitalismus, also der Kombination von Demokratie und Marktwirtschaft. Die künftige Entwicklung der Staatenwelt wird sich innerhalb dieses Paradigmas abspielen.

"Ende der Geschichte" hieß also: Ende der Systemkonkurrenz. So ganz aus der Luft gegriffen war diese These nicht. Die Berliner Mauer war gefallen. Mit ihr gingen das sowjetische Imperium und das Reich des bürokratisch-autoritären Sozialismus unter. Schon in den 70er Jahren waren Spanien und Portugal ins demokratische Lager gewechselt, hatten die Griechen ihre Obristen abgeschüttelt. Eine neue demokratische Welle rollte durch Lateinamerika. Der damalige amerikanische Präsident George Bush (Senior) proklamierte:

"Die Zeit der Diktatoren ist vorbei. Wir wissen, was funktioniert – die Demokratie. Und wir wissen, was zählt – die Freiheit."

So optimistisch würde vermutlich heute kein westlicher Staatsmann reden. Die Geschichte ist zurück. Die liberalen Demokratien werden aus zwei Richtungen herausgefordert: von einem neuen, selbstbewusst auftrumpfenden Autoritarismus und von einer neuen, religiös unterfütterten Ideologie, dem islamischen Fundamentalismus, der offen erklärt: eure Werte sind nicht unsere Werte, eure Moderne ist unser Gegner.  

Was ist eine liberale Demokratie?

Es ist hier nicht der Ort, in eine wissenschaftliche Erörterung einzutreten, was die Kennzeichen von autoritären Regimes sind. Der Begriff ist dehnbar, und es gibt eine ganze Grauzone von Übergängen zwischen Demokratie und Diktatur. Dazu schwirren diverse Begriffe durch die politikwissenschaftliche Diskussion: defekte Demokratien, von oben gelenkte Halbdemokratien, Fassadendemokratien, in denen die demokratischen Institutionen – Wahlen, Parlamente, konkurrierende Parteien – nur noch als Potemkinsche Dörfer weiterbestehen. Wo ordnen wir die Türkei auf dieser Skala ein, wo Ungarn, Ägypten oder Russland? Darüber kann man trefflich streiten. Aber wir wissen doch ganz gut, was letztlich die Unterscheidungsmerkmale zwischen liberaler Demokratie und Autoritarismus sind: Freie und faire Wahlen, politischer Pluralismus, Gewaltenteilung, kritische Öffentlichkeit, unabhängige Justiz, freie Zivilgesellschaft. Es ist diese Kombination zwischen institutioneller Ordnung und einer freiheitlichen politischen Kultur, die eine liberale Demokratie ausmachen.

Der arabische Frühling erschien vielen von uns als eine Neuauflage der demokratischen Welle, die 1989/90 Europa erfasste: ein großer Aufbruch für Würde und Selbstbestimmung. Inzwischen stehen wir fast überall vor den Trümmern dieser Hoffnung. Ähnliches lässt sich für Russland sagen. Präsident Putin beschränkt sich nicht darauf, das eigene Land wieder in den Schraubstock absoluter Macht zu nehmen – die Intervention in der Ukraine ist zu guten Teilen auch eine präventive Konterrevolution gegen die Ausbreitung des Demokratie-Virus in der Nachbarschaft Russlands. Östlich der EU spannt sich ein Gürtel mehr oder weniger autoritärer Regimes: Russland, Weißrussland, die zentralasiatischen Republiken, Azerbeidjan, in gewissem Grad auch Armenien.

Der größte und wichtigste Gegenspier zur liberalen Demokratie aber heißt China, dessen regierende Elite ihr Modell eines autoritären Modernisierungsregimes offensiv vertritt. Alle Kritik wird zurückgewiesen mit Verweis auf die unbestreitbaren ökonomischen und sozialen Erfolge des chinesischen Wegs, alle Forderungen nach Demokratisierung als Bedrohung für die Stabilität des Landes abgewehrt. Wir oder das Chaos: In dieser Formel treffen sich heute die Regierenden in Peking, Moskau oder Kairo. Und damit finden sie durchaus weiten Rückhalt in ihren Gesellschaften. Für die meisten antidemokratischen Regimes gilt, dass sie nicht nur mit Furcht und Unterdrückung herrschen, sondern von der Loyalität eines mehr oder weniger großen Teils der Bevölkerung getragen werden. Steigender Wohlstand, sozialer Aufstieg, staatliche Dienstleistungen, öffentliche Ordnung und Patriotismus sind Quellen der Legitimation, die fehlende Freiheitsrechte kompensieren können.

Autoritäre Regime verschwinden nicht von heute auf morgen

Mehr oder weniger autoritäre Regimes sind also keine bloßen Übergangserscheinungen auf dem Weg zur Demokratie. Sie bilden Herrschaftsformen sui generis, und sie bekennen sich ohne Scham dazu. Das heißt auch: Wir können nicht so tun, als würden sie schon morgen verschwinden. Das ist der Ausgangspunkt unserer Konferenz. Gleichzeitig hat, auch das gehört zu einer nüchternen Bilanz, die Ausstrahlung und Anziehungskraft der Demokratie gelitten – bis in unsere eigenen Gesellschaften hinein. Sinkende Wahlbeteiligung und der Vormarsch populistischer Bewegungen sind Indizien dafür.

Die Gründe für den Selbstzweifel der Demokratien sind vielfältig:

  • Die bewaffnete Regime Change-Politik der USA ist krachend gescheitert. Die Intervention im Irak war ein Sündenfall mit dramatischen Folgen, Guantanamo und die überbordende Überwachungstätigkeit der NSA stehen für die Glaubwürdigkeitskrise Amerikas als Vormacht der Demokratie.
  • Gleichzeitig wachsen die Zweifel am Konzept des Demokratieexports und an der Fähigkeit zum "State Building" von außen. Die Bilanz der entsprechenden Unternehmungen ist nicht gerade ermutigend, von Afghanistan bis zum Kosovo.
  • Auch die Finanzkrise von 2008/9 (die in den USA und Europa ausgebrütet wurde) mit ihren verheerenden, bis heute nachwirkenden sozialen Folgen hat das Ansehen des Westens in der Welt nachhaltig beschädigt.
  • Dazu kommt die geringe wirtschaftliche Dynamik der meisten westlichen Demokratien, ganz im Kontrast zur Aufbruchstimmung in den "emerging economies".
  • In Europa breitet sich das Gefühl aus, dass die Gestaltungskraft demokratischer Politik gegenüber dem Eigenleben der globalisierten Ökonomie schrumpft. Die wachsenden zentrifugalen Tendenzen innerhalb der EU, ihre Unfähigkeit, die Finanzkrise zu bewältigen oder sich auf eine solidarische Flüchtlingspolitik zu verständigen, lähmt Europas Handlungsfähigkeit nach innen und außen.

Wie selbstbewusst können und wollen wir die Werte von Demokratie und Freiheit vor diesem Hintergrund global vertreten? Und welche Instrumente stehen uns dafür zu Verfügung?

Die Spielräume für zivilgesellschaftliche Demokratieförderung in autoritären Staaten werden ja zunehmend eingeschränkt – die politischen Stiftungen können ein Lied davon singen. Unterstützung demokratischer Zivilgesellschaft wird zunehmend als unerwünschte Einmischung in die politische Souveränität der jeweiligen Staaten zurückgewiesen, und die autoritären Machthaber lernen sehr schnell voneinander, wie man Nichtregierungsorganisationen unter Kontrolle bringt und die letzten Freiheitsräume versperrt.

Gleichzeitig gibt es begründete Zweifel, ob das Konzept "Wandel durch Annäherung" funktioniert: die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung und politische Kooperation mit Staaten wie Russland oder China hatte zumindest keine positive Rückwirkung auf ihre innere Verfassung. Manchmal scheint es sogar, dass wachsender Austausch nach außen zum Ausbau des Kontrollregimes nach innen führt.

Demokratiförderung als außenpolitisches Ziel?

Das führt uns zur nächsten Kontroverse: Sollte Demokratieförderung überhaupt ein Ziel unserer Außenpolitik sein? Oder gehen wir zurück zu einer Außenpolitik, die sich nicht um die innere Verfasstheit von Staaten kümmert, sondern allein auf zwischenstaatliche Interessen abhebt, wie es uns die hyperrealistische Schule empfiehlt?

Dagegen möchte ich halten, dass Demokratieförderung kein idealistisch-naives Klimbim ist: Es liegt in unserem ureigenen Interesse, den Kreis demokratischer Staaten zu erweitern. Das gilt auch mit Blick auf die langfristige globale Sicherheit und Stabilität.

Es ist eben doch etwas dran an der Feststellung, dass Demokratien keine Kriege gegeneinander führen. Der empirische Befund zeigt, dass es eine starke Korrelation zwischen fundamentalistischen Ideologien, terroristischen Bewegungen oder die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen mit autoritären Regimes gibt.

Das außenpolitische Verhalten von Regierungen wird nicht zuletzt vom Charakter des Herrschaftssystems im Inneren bestimmt. Daher ist es für die Stabilität und die Berechenbarkeit internationaler Politik nicht unerheblich, wie Staaten im Inneren verfasst und regiert sind.
Kompromisse im Umgang mit autoritären Regimes sind unvermeidlich. Worauf es ankommt, ist einen Weg zu finden, der Kooperation  und Interessenausgleich ermöglicht, ohne sich mit Willkürherrschaft und Unterdrückung zu arrangieren.

Liberale Demokratie muss man im Übrigen auch niemandem aufzwingen. Wenn Menschen die Wahl haben, entscheiden sie sich eben nur in den seltensten Fällen für diktatorische Herrscher, die die  Ressourcen des Landes zu privaten Zwecken unter Einsatz von Gewalt ausbeuten. Der Wunsch, "anständig" regiert zu werden, ist universal.

Universelle Werte statt Kulturrelativismus

Es ist wohl wahr, dass wir nach außen nur überzeugend auftreten können, wenn wir unser eigenes Haus in Ordnung bringen. Aber trotz aller Krisen und Fehlentwicklungen muss sich der demokratische Westen nicht verstecken, sondern sollte seine Werte offensiv vertreten, statt dem Kulturrelativismus zu huldigen. Auch wenn sie im Westen entstanden sind, handelt es sich um universelle Werte. Überall berufen sich Menschenrechtsaktivisten auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Sie sind die Antwort auf das Jahrhundert der Kriege und Massenmorde, die letzte gemeinsame Utopie der Menschheit.

Wir sollten uns jedenfalls nicht in eine falsche Alternative zwischen kalter Realpolitik und naivem Idealismus treiben lassen. Eine nüchterne Analyse von Interessen und Handlungsmöglichkeiten, Kompromissbereitschaft und Verzicht auf Belehrungen von oben herab sind ebenso notwendig wie eine klare Wertorientierung und das Bestehen auf universell gültigen Normen internationaler Politik. Die Herausforderung besteht also darin, eine demokratische Realpolitik zu entwickeln, die Prinzipienfestigkeit mit Pragmatismus kombiniert.

 

Dies ist die Eröffnungsrede vom 18.06.2015 zur 16. Außenpolitische Jahrestagung. Weitere Beiträge und Informationen zu der Veranstaltung finden Sie in unserem Konferenzdossier.
 

 

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