Probleme des Freihandels und Bedingungen für fairen Handel

Freihandel und Freihandelsabkommen sind nicht per se schlecht, vielmehr gilt es sie so auszugestalten, dass gesellschaftliche Standards und beteiligte Akteure schützen. Zu unseren aktuellen Inhalten zu Wirtschaft & Finanzen.

Freihandel: Container im Hafen
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Freihäfen sind klassische Freihandelszonen

Obwohl Freihandel in der ökonomischen Theorie allgemein breite Zustimmung findet und in der Regel als wohlfahrtssteigernd betrachtet wird, betreiben so gut wie alle Länder einen gewissen Protektionismus. Dies spiegelt wider, dass auch eine Reihe potenzieller negativer Auswirkungen existieren. Besonders Entwicklungsländer befürchten oft Nachteile einer zu starken Öffnung für den Weltmarkt, und es gibt zahlreiche Freihandelsgegner, die das Konzept in seiner gegenwärtigen politischen Ausgestaltung oder auch fundamental ablehnen.

Bei der Kritik ist zu beachten, dass Freihandel nicht mit dem Prozess der Globalisierung gleichzusetzen ist. Sondern neben vielen anderen, lediglich ein Aspekt der fortschreitenden internationalen Verflechtung ist. Auch gehen viele Freihandelsabkommen eigentlich über das reine Konzept von Freihandel hinaus. Insgesamt zeigt die Analyse der negativen Auswirkungen häufig, dass eine eindeutige Zuordnung von Effekten in der Regel nicht möglich ist. Vielmehr sind negative Entwicklungen häufig ein Resultat vom Zusammenspiel mehrerer wirtschaftlicher und politischer Faktoren. Freihandel kann daher nicht pauschal als negativ oder positiv eingestuft werden, sondern muss je nach Sachverhalt differenziert analysiert werden.

Schutz von Infant Industries

Einer der ältesten negativen Einflüsse stammt aus dem Infant-Industry-Argument und reicht zurück zu Hamilton und List Anfang des 19. Jahrhunderts.[i] Es besagt, dass es sinnvoll sein kann, sich in Entwicklung befindende Industrien vor Freihandel zu schützen, bis sie mit den bereits entwickelten Industrien anderer Länder konkurrieren können. Eine vorzeitige Öffnung für Freihandel würde demnach die langfristigen positiven Effekte einer wettbewerbsfähigen nationalen Industrie zerstören. Protektionismus ist jedoch kein hinreichendes Instrument zur Entwicklung einer konkurrenzfähigen Industrie. Ob und wann dieses Instrument sinnvoll oder sogar notwendig sein kann, ist umstritten. Generell sind zwei Faktoren wichtig, damit eine zeitweise Abschottung vom Freihandel sinnvoll ist. Es muss einen externen Lerneffekt geben, der dazu führt, dass die betroffenen Firmen trotz der Abschottung zum Weltmarkt aufschließen. Zum anderen müssen die Vorteile, die sich aus dem Schutz der Industrie ergeben, die Kosten aus der Abschottung, etwa durch fehlende Verfügbarkeit an effizienteren Produkten des Weltmarkts oder durch Subventionierung, übertreffen. Bhagwati argumentiert etwa, dass ein richtiger Mix aus Importliberalisierung für Vorprodukte zur Kostenentlastung, stabilen Wechselkursen sowie Unternehmens- und Exportförderung notwendig sei.

Race to the bottom

Ein weiterer häufig angeführter negativer Effekt ist das sogenannte Race to the Bottom. Es beschreibt, dass Staaten im internationalen Wettbewerb in eine Konkurrenz um möglichst geringe staatliche, soziale und ökologische Standards gedrängt werden können, mit negativen Folgen für die Bevölkerung. Um die Frage nach einem kausalen Effekt von Freihandel auf das Race-to-theBottom-Phänomen zu untersuchen, gilt es zu klären, ob niedrigere Standards tatsächlich einen Handelsvorteil im internationalen Wettbewerb schaffen und ob Länder wirklich infolge von Handelsliberalisierung versuchen, sich bei Standards zu unterbieten. Bhagwati argumentiert, dass zumindest für die zweite Bedingung kaum Evidenz vorhanden sei.[ii]

Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass negative Effekte auf nationale Standards nicht direkt auf Freihandel zurückzuführen sind, sondern ungünstige Rahmenbedingungen dazu führen, dass entsprechende Kosten aus Arbeits- und Umweltschutzaspekten von Unternehmen externalisiert werden können. Hier spielt der Entwicklungsstand eines Landes eine wichtige Rolle. Ärmere Länder haben oft andere Präferenzen und Opportunitätskosten bezüglich Umwelt- und Sozialstandards und schlechtere Institutionen, um sie durchzusetzen. Damit ist nicht der Freihandel für niedrige Standards verantwortlich. Auch der Schluss, ohne Freihandel wäre die Situation besser, ist daher unzulässig.[iii]

Fluch der Rohstoffe

Ein weiterer viel diskutierter negativer Effekt von Freihandel ist der potenzielle Nachteil, den Länder erleiden können, die hauptsächlich einige wenige und einfache Produkte wie Rohstoffe exportieren. Dies sind typischerweise Entwicklungsländer, während Industrieländer mehr Rohstoffe importieren und dafür industriell gefertigte Waren exportieren. Die sogenannte Prebisch-Singer-These besagt, dass dies bei Freihandel über die Zeit zu einer Verschlechterung der Terms of Trade für Länder führt, die hauptsächlich Primärgüter exportieren. Schließlich weisen die Länder- und Gütertypen oft unterschiedliche Marktstrukturen auf, die dazu führen, dass etwa Produktivitätssteigerungen bei Primärgütern stärker zu Preissenkungen führen als bei Industriegütern. In der Summe ergeben diese Punkte, dass sich langfristig das Preisverhältnis zwischen Ex- und Importgütern für Entwicklungsländer verschlechtert.[iv]

Kosten von Anpassungsprozessen

Neben den langfristigen Effekten von Handelsliberalisierung entstehen auch kurzfristigere Anpassungsprozesse, die negative Auswirkungen auf Länder haben können. Diese Anpassungskosten entstehen beispielsweise, wenn im Zuge von Strukturveränderungen und Reallokation Arbeitsplätze verloren gehen, Löhne sinken und Qualifikationen oder Kapital in Form von Anlagen obsolet werden. Empirische Studien zeigen jedoch, dass die Anpassungskosten, verglichen mit langfristigen Zuwächsen, als gering eingestuft werden können. Gerade bei sehr rigiden Arbeitsmärkten können die Kosten jedoch, insbesondere für einzelne Personen, auch hoch ausfallen. Es kann daher sinnvoll sein, Handelsliberalisierung im Vorfeld auf anstehende Strukturreformen zu analysieren und Anpassungseffekte entsprechend abzufedern, auch um die gesellschaftliche Akzeptanz von Freihandel zu verbessern.[v]  Oft fehlt es daran, die Vorteile des Freihandels wohlfahrtsoptimal auf die Bevölkerung zu verteilen.

Institutionen und Wettbewerb als Bedingung für fairen Handel

Um für zukünftige Freihandelsabkommen die Akzeptanz zu erhöhen, gilt es, diese so auszugestalten, dass berechtigte gesellschaftliche Präferenzen und die Autonomie der beteiligten Akteure geschützt werden. Auch im Falle von TTIP ist sehr genau zwischen dem Erhalt von Präferenzen, dem Lobbying von Partikularinteressen und dem Abbau von Protektionismus zu unterscheiden. Freihandel ist besonders dann vorteilhaft, wenn verlässliche Institutionen die Autonomie der Länder bewahren, ihre Präferenzen schützen und Rent-Seeking unterbinden. Dafür sind in den Ländern Demokratie und Wettbewerb wichtige Voraussetzungen.


Dies ist der elfte Debattenbeitrag zur Konferenz "Baustelle grüne Wirtschaftspolitik: Welche Ordnung muss sein?", die am 26. und 27. Juni in Berlin stattfindet. Alle Beiträge finden Sie in unserem Dossier.
 

Literaturhinweise:
[i] Vgl. Hamilton (1791); List (1841).
[ii] Vgl. Bhagwati (1995).
[iii] Vgl. Bhagwati (1985).
[iv] Vgl. Singer (1949); Prebisch (1950).
[v] Vgl. Frencois/Jansen/Peters (2011); Porto/Hoeckman (2010).