Entschlossen ohne Strategie

Polizist vorm Louvre
Teaser Bild Untertitel
Polizisten bei einer Patrouille am Louvre

Mit den Anschlägen von Paris steigt der Druck auf die Regierungen, sich mit ISIS auseinanderzusetzen – doch wie? Noch scheint der Westen keinen Plan zu haben. Ein Kommentar.

Immerhin in einem Punkt herrscht internationale Einigkeit: dass ISIS unbedingt bekämpft werden muss. ISIS‘ extremistische Weltsicht und der Willen, sie mit aller Brutalität durchzusetzen, vor allem aber, dass ISIS keine Grenzen respektiert und seinen Terror nun ins Herz Europas getragen hat, all das bedarf einer Antwort.

Die Terrorgruppe ist strategischer als al-Qaeda und versteht sich darauf, westliche Medien zu instrumentalisieren. Mit den Anschlägen von Paris ist der Druck auf die Regierungen gestiegen, sich mit ISIS auseinanderzusetzen – doch wie? Gerade in einer Situation der Angst und großen öffentlichen Aufsehens besteht die Gefahr, in Aktionismus zu verfallen statt sich mit der komplizierten Frage nach einer geeigneten Strategie zu befassen. In diesem Licht sind auch die Angriffe zu sehen, die Frankreich unmittelbar danach auf Ziele in Raqqa flog, der inoffiziellen Hauptstadt des selbsterklärten Kalifats: Frankreichs Präsident Francois Hollande bewies damit Entschlossenheit, doch eher als Vergeltung und ohne die Terrororganisation damit zu schwächen.

Drei Lehren aus den vergangenen Jahren

Wie auch, denn vierzehn Monate der Luftangriffe gegen ISIS haben die Terrormiliz nicht wirklich beeinträchtigt. Von punktuellen und mit Hilfe kurdischer Bodentruppen zäh errungenen Siegen in Sinjar oder Kobane abgesehen hat ISIS kaum zurückstecken müssen, sondern öffentlichkeitswirksam auch noch die syrische Stadt Palmyra erobert und das dortige Weltkulturerbe vernichtet. Die erste Lehre, die man aus dem vergangenen Jahr also ziehen kann ist, dass man ISIS alleine mit Luftangriffen nicht loswerden wird.

Die zweite Lehre ist, dass man mit denjenigen arbeiten muss, die vor Ort sind – die aber immer wieder die Erfahrung gemacht haben, vom Westen im Stich gelassen zu werden. Nur zur Erinnerung: ISIS hatte sich in weiten Teilen des Nordens Syriens breit gemacht und wurde von Januar 2013 an von Rebellengruppen zurückgeschlagen, die sich gleichzeitig gegen Assad zur Wehr setzen mussten. Sie wurden dabei vom Westen weder aus der Luft geschützt noch am Boden versorgt.

Die dritte Lehre jedoch scheint am schwersten zu begreifen: Es kommt sehr wohl darauf an, mit wem man ISIS bekämpft. Je stärker der Konflikt konfessionell interpretiert wird, desto leichter fällt es ISIS, in der Region aber auch in Europa Gefolgschaft zu finden. Sunniten haben nach Saddam Husseins Sturz im Irak die Erfahrung gemacht, politisch marginalisiert zu werden. In Syrien ist die brutale Niederschlagung des Aufstands im Wesentlichen auf Kosten der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit gegangen. Für ISIS ist das ein gefundenes Fressen. Nichts bringt ihnen mehr Zulauf als die Wahrnehmung, Muslime, und insbesondere Sunniten, würden unterdrückt, und so tun sie ihr möglichstes, um diesen Eindruck zu verstärken.

Wie Furcht die Macht nährt

Die Anschläge von Paris sollen die europäischen Gesellschaften spalten. Freiheitliche Werte und Offenheit sind ISIS ein Dorn im Auge, denn ISIS ist auf ein Weltbild angewiesen, in der Muslime im Westen ausgegrenzt werden. Ein Anschlag im Westen, bei dem auch nur ein islamistisch-terroristischer Hintergrund vermutet wird, ist angetan, Ressentiments gegen alle Ausländer, gegen Geflüchtete und derzeit insbesondere gegen Syrerinnen und Syrer zu schüren.

Doch ISIS will damit auch auf internationaler Ebene Einfluss nehmen. Nachdem Bashar al-Assad 2011 monatelange diplomatische Friedensbemühungen ins Leere laufen ließ, waren sich die USA und viele westliche Staaten Anfang 2012 einig, dass Assad zurücktreten müsse. Je unbeirrter und brutaler er die eigene Bevölkerung verfolgte, desto verhaltener wurden allerdings die internationalen Forderungen nach seinem Rücktritt. Der Grund? Die Furcht des Westens vor Terrorismus.

Hier wiederum sind Assad und ISIS sich einig, denn beide verstehen sich meisterhaft darauf, genau diesen Reflex auszunutzen. Assad, weil er nur im Vergleich mit einem vermeintlich größeren Übel bestehen kann. ISIS, weil ihre Macht sich aus der Furcht nährt – und der Westen tappt nur allzu bereitwillig in die Falle zu glauben, man könne das eine mit dem anderen loswerden, während sie sich in Wahrheit gegenseitig rechtfertigen. 

Mögliche Partner geschwächt

In der gleichen Kategorie bewegen sich die Luftangriffe, die Russland seit einigen Monaten in Syrien fliegt. War es früher die syrische Luftwaffe, die immer wieder in Kämpfen zwischen ISIS und Rebellen zugunsten von ISIS eingegriffen hat, ist es heute die russische Luftwaffe, die ISIS den Weg ebnet, nur deutlich weniger erfolgreich, als Moskau es sich versprochen hatte, weil Assads Armee selbst mit Hilfe ihrer Verbündeten – Iran und der Hisbollah – zu schwach ist, um den russischen Plan mitzutragen.

So engagiert sich Russland unter dem Vorwand, ISIS den Garaus zu machen, aber trifft fast ausschließlich  die Rebellen, die sich gegen Assad wie ISIS zur Wehr setzen. Es schwächt die Kräfte, auf die der Westen setzen müsste, und verschärft die Wahrnehmung, es gäb ein Syrien nur die Alternativen ISIS oder Assad. An eben dieser Achillesferse westlicher Strategie will ISIS ansetzen. Und so ist nicht nur wichtig, welcher Staat als stärkster Gegner von ISIS gesehen wird, sondern auch, welcher als vehementester Opponent von Assad gilt. Wie es der französische Politikwissenschaftler Jean-Pierre Filiu auf den Punkt brachte: „Frankreich wurde auch angegriffen, weil es der einzige westliche Staat ist, der das Assad-Regime für genauso kriminell und schuldig wie ISIS befindet.“

Was also tun? Es ist unabdingbar, ISIS einzudämmen. Doch dafür bedarf es Geduld und einer Strategie. Westliche Staaten können ISIS‘ Terror nicht entrinnen, in dem sie die Hände in den Schoß legen. ISIS vergibt keine Fleißbienchen für vermeintliches Wohlverhalten und wird für jede ihrer Taten eine Rechtfertigung finden, egal wie verquer. ISIS richtet sich gegen das, wofür der Westen stehen möchte – und das, was den Westen so leicht angreifbar macht: Freiheit und Bürgerrechte. So ist vielleicht das Wichtigste, sich weder auf einen innenpolitischen Kurs der Ressentiments und Abschottung einzulassen, noch auf internationaler Ebene von ISIS bestimmen zu lassen, mit wem man zusammenarbeitet und zu welchem Preis.