Der Plan für eine bessere Welt: G20 und die globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030

G20 und die globalen Nachhaltikeitsziele der Agenda 2030

Die Agenda 2030 umfasst 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Ob sich aus diesen Impulse und konkrete Taten für eine bessere, gerechtere und nachhaltige Welt entwickeln, ist aufgrund der Konzentration auf eine gemeinsame Wirtschafts- und Wachstumspolitik eher zweifelhaft.

Was steht hinter der Agenda 2030?

Staats- und Regierungsoberhäupter aller UN-Mitgliedsstaaten verhandelten drei Jahre lang im bisher umfassendsten Konsultationsprozess der UN-Geschichte über folgende Zukunftsfragen: Wie lassen sich Armut und Hunger weltweit bekämpfen? Welche Wege können gegen die wachsende soziale Ungleichheit gefunden werden? Wie bekämpfen wir andauernde und zunehmende Umweltzerstörung und den sich verschärfenden Klimawandel? Welche Konsequenzen zieht die Weltgemeinschaft aus den Folgen von Finanz-, Wirtschafts- und Nahrungsmittelkrisen? Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurden 17 Ziele formuliert, die von 2016 an bis spätestens 2030 verwirklicht werden sollen, deshalb der Name „Agenda 2030“.

Ziel dieser Verhandlungen war es, Lösungswege für die großen Herausforderungen unserer Zeit zu formulieren, die soziale, ökologische und ökonomische Aspekte gleichermaßen berücksichtigen, konkrete Ziele formulieren und für alle Staaten relevant sind. Als Ergebnis der Verhandlungen, in die auch zahlreiche Vertreter/innen der Zivilgesellschaft (z. B. Nichtregierungsorganisationen und lokale Aktivist/innen) mit einbezogen worden waren, verabschiedeten die Staaten im September 2015 einen neuen Zielkatalog für internationale Politik: Die Agenda 2030 umfasst 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG), Mittel und Wege zu deren Umsetzung, Indikatoren zur Fortschrittsmessung sowie Überprüfungsmechanismen. Die SDG umfassen ein breites Spektrum von Arbeitsfeldern, die von Armutsbekämpfung über Gesundheits- und Bildungspolitik bis hin zum Schutz der Umwelt sowie der Schaffung und Erhaltung von Frieden viele wichtige Politikfelder abdecken. Dafür sind die 17 SDG in 169 Unterziele untergliedert, für die aber noch konkrete Indikatoren und Überprüfungsmechanismen ausgearbeitet werden müssen.

Icons der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN

Wie sollen die SDG umgesetzt werden?

Die SDG lösen die Milleniums-Entwicklungsziele ab, die grundsätzlich nur für Entwicklungsländer gegolten hatten. Das paradigmatisch Neue an den SDG ist, dass sie für alle Länder weltweit gelten, also auch für reiche Industrienationen wie Deutschland. Dazu sollen die SDG in nationale Ziele übersetzt werden. Dieser wichtige Schritt steht jetzt an. Die Staaten müssen dazu ihre jeweiligen nationalen Politikfelder genau unter die Lupe nehmen, um zu prüfen, ob diese im Widerspruch zu den SDG stehen und ob sie um weitere Bereiche ergänzt werden müssen. Die größten Handicaps der SDG liegen allerdings darin, dass sie zum einen in sich nicht kohärent sind (z. B. Wirtschaftswachstum vs. Schutz von Ressourcen wie Wasser, Land und Klima) und dass sich Staaten einzelne Ziele herauspicken und andere mehr oder weniger ignorieren können. Denn, und das ist das größte Problem, die Agenda 2030 ist rechtlich nicht verbindlich und ihre Umsetzung nicht durch internationales Recht einklagbar. Die Agenda beruht zwar auf einem breiten Konsens der UN-Mitgliedsstaaten. Jedes Land setzt aber seine eigenen Umsetzungsprioritäten und berichtet darüber an ein dafür eingerichtetes Forum der UN.

 


Wie will die Bundesregierung die SDG umsetzen?

Die Bundesregierung hat im Dezember 2014 festgelegt, dass die nationale Nachhaltigkeitsstrategie ein wesentlicher Rahmen für die Umsetzung der SDG in Deutschland werden soll. Die Federführung für diesen Prozess liegt beim Kanzlerinnenamt. Eine deutsche Nachhaltigkeitsstrategie wurde bereits 2002 von der Bundesregierung beschlossen, sie formuliert zentrale Handlungsfelder und Indikatoren für die deutsche Politik, um Nachhaltigkeit umzusetzen. Darunter fällt beispielsweise der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Umstrukturierung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene oder die Verringerung der Schulabbrecherquote. Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie wurde bereits einige Male überarbeitet, zuletzt im Sommer 2016. Die neue Version befindet sich derzeit noch im Entwurf. Sie wurde entlang der SDG strukturiert. Das heißt, dass alle Politikfelder der Bundesregierung auf ihr Potenzial zur Umsetzung der SDG hin überprüft und den Zielen entsprechend zugeordnet werden sollen. Die Indikatoren wurden ebenfalls etwas erweitert und umfassen nun auch Bereiche wie Meerespolitik, Gewässerschutz und Verteilungsgerechtigkeit. Der neue Entwurf unterlag im Sommer 2016 einer Konsultationsphase mit Vertreter/innen der Zivilgesellschaft. Diese formulierten viele kritische Anmerkungen, die sich vor allem darauf konzentrierten, dass die Nachhaltigkeitsstrategie bei Weitem nicht die Komplexität, Vielschichtigkeit und Bandbreite der SDG abdeckt. Es wird befürchtet, dass nicht alle Bereiche der SDG umgesetzt, sondern vielmehr jene Politikfelder herausgestellt werden, in denen Deutschland bereits viel tut und erreicht hat. Eine Schlussfassung der überarbeiteten Nachhaltigkeitsstrategie soll Ende 2016 erscheinen.

Welche Rolle spielen die SDG in der G20?

Unter der chinesischen G20-Präsidentschaft setzte Staatspräsident Xi Jinping 2015 die Umsetzung der Agenda 2030 auf die Prioritätenliste für die Themen des Gipfels in Hangzhou 2016. Das Ergebnis dieser chinesischen Initiative ist der G20-Aktionsplan zur Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Darin betont die G20 ihre Rolle als globales Wirtschaftsforum bei der Umsetzung der Agenda und identifiziert dazu 15 Sektoren für nachhaltige Entwicklung, in denen die bestehenden Aktivitäten der G20 gebündelt und den SDG zugeordnet werden sollen.[1] Einen besonderen Stellenwert haben dabei jene Ziele, die sich mit Wirtschaftswachstum, Arbeit, Industrialisierung sowie der Überwindung von Ungleichheit befassen. Darunter fällt zum Beispiel der Ausbau der Infrastruktur für Transport, Energie, Wasserversorgung und der digitalen Infrastruktur. Angestrebt werden insbesondere regionale Verbund-Projekte die sehr CO2 intensiv sind. Zudem sieht die G20 ihre Wachstumsstrategie als wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030, denn dadurch soll das Wirtschaftswachstum in den Mitgliedsstaaten (und darüber hinaus) angekurbelt werden.

Im Anhang des Aktionsplans geben alle G20-Staaten einen kurzen Überblick über ihre nationalen Umsetzungsbemühungen. Dies gestaltet sich je nach Land sehr unterschiedlich, vor allem die Anknüpfungsfähigkeit der SDG an die bestehende nationale Politik bleibt eine der zentralen Herausforderungen für alle Staaten – auch jenseits der G20. So zieht sich durch die nationalen Darstellungen vor allem eine Auseinandersetzung mit der institutionellen Verankerung der Ziele innerhalb des jeweiligen Regierungsapparates, die sich nicht zuletzt danach richtet, ob bereits Nachhaltigkeitsinstitutionen wie z.B. Beiräte oder Strategien zur Umsetzung existieren. Einige Staaten beschreiben zudem nationale Schwerpunktsetzungen innerhalb der SDG (z. B. Australien zu Geschlechtergerechtigkeit; Kanada zum Klimawandel; Indien zum breiten Zugang seiner Bevölkerung zu Energie und Wohnung). Sie bleiben dabei aber vage.

Warum ist es wichtig, dass die Agenda 2030 von der G20 aufgegriffen wird?

Zunächst einmal ist es begrüßenswert, dass sich die G20-Mitgliedsstaaten zur Agenda 2030 und zu den ihr zugrunde liegenden Werten und Zielen bekennen. Dadurch könnten eine Umsetzung der SDG auf nationaler Ebene der G20-Mitglieder sowie die Zusammenarbeit zwischen den Staaten beflügelt werden. Viele der SDG sind nur durch gemeinsame Anstrengungen aller Staaten zu erreichen, durch intensiven Austausch und gezielte Kooperation. Ein Bekenntnis zur Agenda 2030 in supranationalen Institutionen wie der G20, der G7 oder dem Zusammenschluss der BRICS-Staaten[2], könnte somit entsprechenden Druck auf die betreffenden Mitgliedsstaaten aufbauen, die SDG umzusetzen, obwohl kein Land völkerrechtlich dazu verpflichtet werden kann. Tatsächlich sind in einigen G20-Staaten bereits erste Versuche unternommen worden, die Umsetzung der SDG auf nationaler Ebene zu definieren und die Zielsetzungen in die nationale Politik zu integrieren. Immerhin haben auch alle G20-Staaten die SDG unterzeichnet, eine größere Kohärenz ihrer nationalen Politiken mit diesen internationalen Zielen könnte zu einer positiven Entwicklung der Welt beitragen. 

In ihrer Anerkennung der Agenda 2030 nehmen die Mitgliedsstaaten der G20 zudem direkt Bezug auf die UN und bestätigen diese als wichtigstes demokratisch legitimiertes internationales Gremium für die Umsetzung der SDG. Diese Form der Unterstützung für UN-Prozesse durch die G20 ist neu. Sie ist auch deshalb bedeutsam, weil einer der größten Kritikpunkte an der G20 lautet, dass diese eine Parallelstruktur zur UN geschaffen habe und deren Rolle und Funktion aushöhle.

Welche Kritik hat die Zivilgesellschaft?

Die Umsetzung der SDG in und durch Deutschland erfordert grundlegende Veränderungen in einer ganzen Reihe von Politikfeldern. Das gilt für jedes Mitgliedsland der Gruppe. Ob die Regierungen der G20 aber tatsächlich daran interessiert sind, ist sehr fraglich. So ordnen sie in ihren nationalen SDG-Aktionsplänen ausgewählte Ziele lediglich bereits bestehenden Aktivitäten zu. Das birgt das Risiko das Ziel der Agenda 2030 am Ende zu verfehlen.

 

Derartige Rosinenpickerei oder rhetorische Übungen auf dem Papier ziehen allerdings meist kein weitreichendes Umdenken in relevanten Handlungsfeldern nach sich. Im Gegenteil, die G20-Staaten setzen weiterhin vor allem auf das alte Wirtschaftssystem. Das zeigt sich darin, dass vor allem jene SDG für die G20 Priorität haben, die auf Wirtschaftswachstum, den Ausbau großer Industrien und Infrastrukturprojekte und auf die Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen abzielen. Auf genau diese Politikfelder sind auch die 15 Sektoren für nachhaltige Entwicklung ausgerichtet. Wichtige Aspekte nachhaltiger Entwicklung, wie beispielsweise gute Arbeit, eine umfassende Integration von Geschlechtergerechtigkeit und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wachstumsmodell des Nordens und seinem noch immer viel zu großen ökologischen Fußabdruck, werden in den nationalen Umsetzungsplänen nur unzureichend thematisiert oder gar nicht erst erwogen.

SDG brauchen umfassende Kohärenz

Damit wird der Charakter der SDG untergraben, der in der kohärenten Verknüpfung des Dreiklangs von Sozialem, Ökologischem und Ökonomischem besteht. Konzentriert man sich einseitig auf die Ökonomie, werden zwar Elemente von dem umgesetzt, was mit den SDG erreicht werden soll. Gleichzeitig werden aber nicht nur regulierende Aspekte der SDG wie Umweltschutz, menschenrechtliche Standards und die Verringerung von Ressourcennutzung außer Acht gelassen, sondern auch Fragen globaler Gerechtigkeit. Gerade die Industriestaaten der G20 müssen sich jedoch genau diesen Fragen stellen: Wie lässt sich – beispielsweise – der ökologische Fußabdruck, wie der Rohstoff- und Energieverbrauch Deutschlands reduzieren, um Ländern des globalen Südens ihr Recht auf Entwicklung zu ermöglichen?

Systematische Überprüfung

Hinzu kommt, dass es bisher keine Anzeichen dafür gibt, dass die G20-Staaten eine systematische Überprüfung, z. B. der Kohärenz ihrer SDG-Umsetzungspolitik, vornehmen werden, weder auf internationaler noch auf nationaler Ebene. Die G20 präsentiert bisher lediglich beispielhafte Aktivitäten, mit denen man gut Schaulaufen kann. Es besteht die Gefahr, dass nur Vorzeigeprojekte präsentiert werden, unzureichende Politik oder Schwächen dabei aber nicht kritisch beleuchtet werden.

Inklusiven Verhandlungsprozess und Beteiligung der Zivilgesellschaft bewahren

Daran schließt sich ein weiterer Kritikpunkt der Zivilgesellschaft an. Es ist nämlich unklar, wie der inklusive Charakter des Verhandlungsprozesses der Agenda 2030 im Kontext der G20 aufrechterhalten werden kann. Nicht nur schließt der exklusive Charakter der G20 einen Großteil der Staaten weltweit aus ihrer Arbeit aus. Auch sind unter den G20-Mitgliedern eine ganze Reihe von Staaten (z.B. China, Russland, Türkei, Indien, Brasilien), in denen nichtstaatliche Akteur/innen zunehmend verfolgt, kriminalisiert und in ihrem Handlungsraum stark beschränkt werden.

 

Die Zivilgesellschaft ist mit ihren kritischen Stimmen jedoch ein wichtiger Garant dafür, dass die SDG tatsächlich umgesetzt werden und dies entsprechend kontrolliert wird. Die Zivilgesellschaft muss in die Erarbeitung von SDG-Umsetzungsstrategien einbezogen werden, in einem substanziellen, transparenten und demokratischen Prozess. Entsprechende Beteiligungsstrukturen sind bislang jedoch selbst in demokratischen Staaten wie Deutschland unzureichend ausgeprägt oder wirken nicht effektiv. In autokratischen Staaten sind sie gar nicht erst erwünscht.

Die Mitgliedsstaaten der G20 wollen ihren Aktionsplan künftig regelmäßig weiterentwickeln und sehen im vorliegenden Erstentwurf lediglich einen Startpunkt. Ob sich aus dem vorliegenden Dokument jedoch Impulse und konkrete Taten für eine bessere, gerechtere und nachhaltige Welt entwickeln (lesen Sie dazu auch den Text #4 zu Wachstum in dieser Serie) ist aufgrund der Konzentration auf eine gemeinsame Wirtschafts- und Wachstumspolitik eher zweifelhaft.  

Empfehlung zum Weiterlesen:

Martens, Jens: Die SDGs auf der G20-Agenda, hrsg. vom Global Policy Forum, September 2016.

Dieser Artikel ist ein Beitrag aus unserem Dossier "G20 im Fokus".

Quellen:

[1] (A) Infrastruktur; (B) Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Ernährung; (C) Entwicklung menschlicher Ressourcen und Beschäftigung; (D) Finanzielle Integration und Rücküberweisungen; (E) Heimische Ressourcenmobilisierung; (F) Industrialisierung; (G) Inklusive Wirtschaft; (H) Energie; (I) Handel und Investitionen; ( J) Antikorruption; (K) Internationale Finanzarchitektur; (L) Wachstumsstrategien; (M) Klimafinanzierung und grüne Finanzen; (N) Innovation und (O) Globale Gesundheit.

[2] siehe Ausgabe #2 in unserer Serie zu Korruptionsbekämpfung.