Digitalisierung und Dekarbonisierung: Gesellschaft im Umbruch

Atlas

Mit der Digitalisierung verschwinden alte Berufsbilder, neue entstehen – und mit ihnen andere Formen der Beschäftigung. Gleichzeitig sorgt die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland für einen Fachkräftemangel, und die Energiewende verteuert die Lebenshaltungskosten.

Entwicklung der Tarifbindung in der Zeit von 1998 bis 2022, in Prozent
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Besonders hoch ist die Tarifbindung in der öffentlichen Verwaltung mit 80 Prozent, besonders gering in der IT und Kommunikation mit elf Prozent.

Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschafts- und Lebensweise hat gravierende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Branchen, regionale Strukturen und Qualifikationsanforderungen werden sich verändern. Es ist abzusehen, dass digitale Kompetenz und ein mathematisch-naturwissenschaftliches Grundverständnis für viele Beschäftigungsarten erforderlich sein werden. Die Fähigkeit, auch in fortgeschrittenem Alter zu lernen und sich weiterzubilden, ist längst zu einer unabdingbaren Anforderung für die meisten Beschäftigten geworden.

Cover Wirtschaftsatlas

Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

Das Bildungs- und Sozialsystem in Deutschland ist darauf aber nur ungenügend vorbereitet: Ein Fünftel der Schüler*innen, so die international vergleichende Bildungsstudie PISA, zeigt am Ende der Pflichtschulzeit mangelhafte Leseleistungen. Diese Jugendlichen sind nicht oder nur schlecht für eine berufliche Ausbildung aufgestellt – auch bei den mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen erreicht ungefähr ein Fünftel der Schüler*innen nur die unterste Kompetenzstufe. Es gibt eine Reihe von Industrieländern, in der diese Gruppe deutlich kleiner und zugleich die Gruppe der Schüler*innen mit Spitzenleistungen größer ist. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und (fehlendem) Bildungserfolg ist in Deutschland sehr eng. 

Die langfristigen Folgen der Digitalisierung, des maschinellen Lernens und der Robotik sind derzeit nicht seriös prognostizierbar. Neben Risiken bietet die technologische Entwicklung viele Chancen: Es entstehen neue Berufe und Produktivitätsgewinne können es ermöglichen, trotz des demografisch bedingten Rückgangs der Zahl der Erwerbstätigen den Wohlstand und die wirtschaftliche Grundlage des starken Sozialstaats zu sichern. Auf absehbare Zeit wird Deutschland nach bisherigen Prognosen nicht unter einem Wegfall von Arbeitsplätzen leiden, sondern eher unter Fachkräftemangel, der sich bereits bemerkbar macht. Das aber erhöht den Druck auf alle, insbesondere den Defiziten im Bildungswesen entgegenzuarbeiten. 

Abnahme und Zunahme des Personalbedarfs zwischen 2021 und 2040 nach ausgewählten Wirtschaftsbereichen, in 1.000 Personen
In Zukunft braucht es neue Fähigkeiten und bessere Qualifikationen. Dafür muss das Aus- und Weiterbildungsangebot angepasst und verbessert werden.

Verändern wird sich mit der digitalen Transformation auch das Verständnis von Beschäftigung. Die Grenzen zwischen sozialversicherungspflichtiger abhängiger Arbeit und selbstständiger Tätigkeit werden aufgeweicht und der Wechsel zwischen den beiden Formen der Erwerbsarbeit wird zur Normalität vieler Menschen gehören. Die bestehenden Systeme zur Alterssicherung und zum Schutz bei Arbeitslosigkeit setzen jedoch nach wie vor auf das klassische Angestelltenverhältnis. Diese Diskrepanz erfordert Reformen der sozialen Sicherungssysteme. Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschafts- und Lebensweise hat bereits Folgen für die soziale Situation vieler Menschen, die sich je nach Lebenslage schon jetzt stark unterscheidet. Das wird durch die dauerhaft hohen Energiepreise noch befördert. Hohe Kosten sind zwar der wichtigste Anreiz für ein sparsames Verhalten beim Verbrauch und erweitern das Potenzial erneuerbarer Energien. Jedoch schränken die gestiegenen Kosten einkommensschwache Menschen sehr ein, weil diese sie nicht über Einsparungen an anderer Stelle kompensieren können. 

Die Empfänger*innen staatlicher Transferleistungen wie  etwa des Bürgergelds oder der Grundsicherung im Alter sollten, so der Anspruch bereits heute, vor steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen grundsätzlich geschützt sein. Denn Ernährung, Wärme und Strom zählen zum Lebensnotwendigen. Während aber die Heizkosten von Jobcenter oder Sozialamt übernommen werden, sind die gestiegenen Strom- und Lebensmittelpreise aus dem knapp bemessenen Regelsatz zu bezahlen. Um es an die Inflation anzugleichen, wurde das Bürgergeld daher Anfang 2024 um 12,2 Prozent auf 563 Euro angehoben. Das Grundsicherungssystem in Deutschland weist Lücken auf: Etwa die Hälfte der Berechtigten im Rentenalter, meist Menschen mit geringen Alterseinkommen, beantragt diese Hilfe nicht. Sie sind somit verdeckt arm – das heißt, sie leben unter dem gesetzlich garantierten Einkommensminimum. Hier wirken Scham, Unwissenheit oder die häufig irrige Annahme, die eigenen Kinder würden womöglich vom Sozialamt in Regress genommen. Eine bürgernahe Sozialberatung kann hier Abhilfe schaffen.