Strahlende Geschäfte – die deutsch-brasilianische Atomkooperation

"Atomkraft? Nein, danke"-Zeichen an einer Hauswand
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"Atomkraft? Nein, danke" auf brasilianisch

Mit deutscher Hilfe wollte die Militärdiktatur Brasiliens in den 70er Jahren ein ambitioniertes Atomprogramm starten: 1975 unterzeichneten die beiden Länder einen Vertrag zur gemeinschaftlichen Errichtung von acht Atomkraftwerken, einer Reaktorfabrik, einer Urananreicherungsanlage, einer Wiederaufbereitungsanlage sowie der Erschließung, Förderung und Vermarktung der brasilianischen Uranvorkommen. Die brasilianischen Militärs trieben dieses Vorhaben damals voran, weil sie selbst Atombomben bauen und sich so eine Vormachtstellung in Südamerika sichern und zum erlesenen Kreis der Atommächte gehören wollten.

Realisiert wurde von diesen hochfliegenden Plänen bisher nur ein einziges Atomkraftwerk: Angra 2 ging im Jahr 2000 nach 23 Jahren Bauzeit ans Netz. Das Atomkraftwerk wurde von der Kraftwerksunion (später Siemens) gebaut und entspricht technisch dem bayerischen Reaktor Grafenrheinfeld. Bereits vor Inbetriebnahme war klar, dass Angra 2 einen Eintrag ins Guinnessbuch der Negativrekorde wegen der überlangen Bauzeit und den Rekordbaukosten in Höhe von mindestens sieben bis zehn Milliarden US-Dollar verdient. Nach Meinung von Expert/innen ist Angra 2 ein Paradebeispiel dafür, wie „Technologietransfer nicht aussehen sollte“. Gefördert wurde der Bau von Angra 2 mit einer Hermesbürgschaft, einem staatlichen Instrument der Exportförderung. Damit können sich deutsche Unternehmen bei Exporten dagegen absichern, dass der Importeur nicht zahlt. Mit Hermesbürgschaften sollen deutsche Unternehmen bei der Erschließung neuer Märkte gefördert werden.

Parallel zu Angra 2 wurde Ende der 70er Jahre auch schon ein wichtiger Teil der Ausrüstungsgegenstände für den Zwillingsmeiler Angra 3 gekauft und die Baugrube für die Anlage ausgehoben. Der Ausbruch der Schuldenkrise und der Übergang zur Demokratie in den 80er Jahren mit anderen Schwerpunktsetzungen führten dazu, dass die brasilianischen Atompläne und somit auch die bereits gekauften Ausrüstungsgegenstände erst einmal eingemottet wurden. An die einstigen Atompläne erinnerten jahrelang nur die jährlich zu entrichtenden Lagerkosten sowie Schulden aus nicht fristgerecht beglichenen Rechnungen für Bauteile von Angra 2 und 3, die Brasilien mühsam abstottern musste.

Totgesagte leben länger – Wiederbelebung der strahlenden Kooperation

Nach dem Motto “Jetzt haben wir schon soviel Geld ausgegeben – da kommt es auf den Rest auch nicht mehr an” wurden Anfang des neuen Jahrhunderts die Pläne zum Bau von Angra 3 wieder aus der Schublade hervorgeholt. Vermehrte Versorgungsengpässe, da die brasilianischen Wasserkraftwerke wegen fehlender Regenfälle zu wenig Strom lieferten, ließen den Einfluss der Atomlobby jenseits des Atlantiks anwachsen.

Auch diesseits des Atlantiks mehrten sich die Versuche, die bilaterale Atomkooperation wiederzubeleben. Im Sommer 2002 berichteten brasilianische Medien, dass ein konkretes Finanzierungsangebot für den Bau von Angra 3 aus Deutschland vorläge, dieses jedoch unter dem Vorbehalt stehe, dass auch eine staatliche Hermesbürgschaft dafür gewährt werde. Vertreter/innen der rot-grünen Bundesregierung versicherten damals sofort, dass eine solche Bürgschaft ihrer Beschlusslage entgegenstehe, den Neubau von AKW öffentlich mit Hermesbürgschaften abzusichern.

Debatte um Hermesbürgschaft für Angra 3

2007, fast 30 Jahre nach Einstellung sämtlicher Aktivitäten für Angra 3, entschied sich die brasilianische Regierung unter dem damaligen Präsidenten Luiz Inácio da Silva, das Atomkraftwerk Angra 3 doch noch zu errichten. Drei Jahre später wurde mit dem Bau begonnen, nach neuesten Informationen soll die Anlage 2018 ans Netz gehen.

Wieder zeigte sich Deutschland zur Kooperation bereit. Rot-Grün war inzwischen abgewählt, das Kriterium, keine Hermesbürgschaften für den Neubau von Atomanlagen zu gewähren, wieder abgeschafft. Der Kooperation schien nichts mehr im Wege zu stehen. Die Firma Areva NP (aus der sich der Siemens-Konzern 2011 zurückzog) erhielt den Großauftrag, Komponenten und die digitale Leittechnik für den Reaktor zu liefern sowie Installation und Inbetriebnahme des Reaktors technisch zu begleiten. Da ein Großteil der Bauteile an deutschen Areva-Standorten gefertigt werden, sollte das Unterfangen mit einer Hermesbürgschaft über 1,3 Milliarden Euro gefördert werden. Eine Grundsatzzusage für die Bürgschaft wurde im Februar 2010 erteilt.

Fukushima und der deutsche Atomausstieg

Nach dem Fukushima-GAU im März 2011 vollzog die deutsche Bundesregierung eine Kehrtwende in der Energiepolitik und beschloss wegen des “unkalkulierbaren Restrisikos” den Atomausstieg im eigenen Land. Sie verzichtete allerdings darauf, diese Kehrtwende auch in der Außenwirtschaftsförderung umzusetzen. Bis heute ist daher die öffentliche Förderung von Atomexporten über Hermesbürgschaften möglich.

Diese inkonsequente Haltung der Bundesregierung, im eigenen Land auszusteigen, andere Länder aber aktiv beim Ausbau der Atomkraft zu unterstützen und, ganz konkret, weiter an der Bürgschaft für Angra 3 festzuhalten, stieß in Deutschland auf massive Kritik. Über 100.000 Menschen unterzeichneten eine Onlinepetition gegen die Bürgschaft. Mit der Forderung „Ich bin doch kein Atombürger“ wandten sich Bürgerinnen und Bürger an ihre Lokalpolitiker/innen und an die Kanzlerin. Beim Deutschlandbesuch der brasilianischen Präsidentin im März 2012 überraschten Aktivist/innen Rouseff und Merkel. Präsidentin Rousseff erklärte damals, dass Angra 3 fertiggebaut werde, weil Brasilien schon soviel Geld hineingesteckt habe. Im Übrigen halte man in Brasilien nichts von der “Dämonisierung der Atomkraft”.

Angra 3: ungeeigneter Standort, veraltete Technik, falsche Annahmen

Ebenfalls im März 2012 wurde eine Studie von urgewald und Greenpeace vorgestellt, in der der brasilianische Gutachter Dr. Francisco Correa analysierte, dass die Genehmigung für Angra 3 aufgrund einer fehlerhaften und unvollständigen Sicherheitsanalyse erteilt wurde. So wurde die technische Sicherheitsüberprüfung auf Grundlage von Daten eines nicht baugleichen Atomkraftwerkes erstellt: Für Angra 3 wurden die Daten des deutschen Atomkraftwerkes Biblis B herangezogen statt die Erfahrungen mit dem Zwillingsreaktor Angra 2 zu berücksichtigen. Schon bekannte Risikofaktoren wie unzureichender Schutz bei Flugzeugabstürzen wurden in der Genehmigung nicht oder nur unzureichend betrachtet.

Auch eignet sich der Standort Angra dos Reis nicht für den Bau von Atomkraftwerken. Die Baustelle befindet sich unmittelbar an der Küstenstraße BR 101 zwischen Rio de Janeiro und São Paulo. Die BR 101 als einziger Fluchtweg im Katastrophenfall wird in der Regenzeit immer wieder durch massive Erdrutsche beeinträchtigt. Im Januar 2010 und 2011 führten langanhaltende Regenfälle zu Erdrutschen, die die Straße tagelang unpassierbar machten.

Ferner würde Angra dos Reis nach den heute beim brasilianischen Atombetreiber Electronuclear geltenden Kriterien nicht mehr als AKW-Standort infrage kommen: zum ersten wegen der geologischen Instabilität der Böden am Strand von „Itaorna“, was in der Sprache der indigenen Ureinwohner „fauliger Stein“ bedeutet. Und zum zweiten, weil es geografisch mit nur knapp 15 km Entfernung zu nahe an dem Ferienparadies Angra dos Reis mit seinen mindestens 170.000 Einwohnern liegt.

Hermesbürgschaft adé – Angra 3 kommt trotzdem

Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima schöpften die deutschen Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke alle Möglichkeiten aus, um die Bürgschaft für Angra 3 zu verhindern, indem sie sich in Umwelt-, Wirtschafts-, Haushalts- und Entwicklungsausschuss über das Projekt und seine Probleme informieren ließen sowie Anfragen und Anträge stellten. Unter diesem Druck forderte das zuständige Wirtschaftsministerium zusätzliche Untersuchungen und Gutachten, bis Areva und die brasilianischen Betreiber nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten suchten und schließlich bei der brasilianischen Mittelstandsbank Caixa Econômica Federal fündig wurden.

Aktuell ruht der Antrag Arevas auf Verlängerung der Grundsatzzusage. Kaum jemand glaubt, dass das Verfahren wieder aufgenommen wird. Angra 3 hat dies nicht verhindert: Ende letzten Jahres unterschrieb Areva den Vertrag mit Electronuclear zur Fertigstellung von Angra 3.

Proteste gegen Atomkraft auch in Brasilien

Die brasilianische Regierung hielt auch nach Fukushima an Angra 3 fest. Lediglich der Zeitplan für die Inbetriebnahme des Kraftwerks wurde nach hinten korrigiert, da zusätzliche Studien und Maßnahmen zur Sicherheitsaufbesserung des Reaktors notwendig seien, heißt es aus Betreiberkreisen. Die Auseinandersetzung um Angra 3 und der Unfall von Fukushima hatten trotzdem einen positiven Effekt: Die brasilianische Regierung distanziert sich - vorerst - von ihren ehrgeizigen Ausbauplänen, bis 2025 bis zu acht weitere Atomkraftwerke bauen zu wollen.

Doch es gibt noch weitere atomare Verstrickungen: Brasilien verfügt über eines der größten Uranvorkommen der Welt und beherrscht inzwischen technologisch die gesamte Produktionskette von Uranabbau bis Anreicherung, allerdings erfolgt dies (noch) nicht in industrieller Großproduktion. Um in Zukunft die gesamte Produktionskette in industriellem Maßstab selbst durchführen zu können, investiert die Regierung massiv in Uranprospektion, -abbau und -anreicherung – zu hohen ökologischen und diplomatischen Kosten. Die Urananreicherungsanlage in Resende war 2004 Gegenstand diplomatischer Unstimmigkeiten zwischen Brasilien und der internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Brasilien hat den IAEA-Kontrolleur/innen damals den Zugang zur Anlage mit dem Verweis auf Schutz vor Spionage verwehrt. Für Besorgnis sorgt ferner immer wieder die Weigerung Brasiliens, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, was eine effektivere Kontrolle sämtlicher Nuklearanlagen ermöglichen würde. Im Umfeld der Uranminen ergaben von Greenpeace durchgeführte Studien wiederholt überhöhte Grenzwerte bei der Uranbelastung des Trinkwassers.

Brasiliens aktuelles Prestigeprojekt in Sachen Atom ist das Atom-U-Boot, das 2023 vom Stapel laufen soll und in Kooperation mit dem französischen Militär entwickelt wird. Als Antriebsstoff soll einheimisches Uran dienen, das in den Fabriken von Resende und Aramar hergestellt wird. Kritiker befürchten, dass von Seiten der Militärs der Wunsch aufkommen könnte, den Anreicherungsgrad des Urans, entgegen der Beteuerungen der Regierung, über die erlaubten vier Prozent hinaus weiter zu erhöhen, um so eine größere Reichweite zu erzielen und weniger oft „nachtanken“ zu müssen.

Die brasilianische Bevölkerung setzt sich erst langsam mit der Atomkraft auseinander. Proteste gegen den Bau von Nukleareinrichtungen gibt es vor allem in den Regionen um die Atomeinrichtungen Angra dos Reis und im Nordosten im Umfeld der einzigen Uranmine des Landes, Caetité. Die lokale Umweltorganisation SAPE im Bundesstaat Rio de Janeiro engagiert sich seit Jahren gegen den Bau von Angra 3 und streitet v.a. für besseren Katastrophenschutz. Sowohl Greenpeace Brasilien als auch kritische Wissenschaftler/innen weisen immer wieder darauf hin, dass der Bau von Angra 3 aus Energiegründen unsinnig ist, weil genügend Alternativen existieren, die zudem kostengünstiger wären.

Die bisher größten Atomproteste des Landes fanden im Mai 2011 in Caetité statt. Die Bevölkerung protestierte mit einer einwöchigen Blockade gegen einen Urantransport von São Paulo nach Caetité. Im Oktober nahmen zahlreiche Gemeinden im nordöstlichen Bundesland Pernambuco an einer mehrtägigen Karawane teil, um gegen die Pläne zu demonstrieren, dort ein weiteres AKW zu bauen. Über 50 Gemeinden und Nicht-Regierungsorganisationen unterzeichneten im Anschluss einen Appell an die Regierung mit der Botschaft: „Das brasilianische Volk will keine Atomkraftwerke“ und forderte die sofortige Suspendierung des brasilianischen Atomprogrammes.

Atomare Träume platzen lassen – bilateralen Atomvertrag kündigen

Zum November dieses Jahres ist turnusgemäß die Kündigung des 1975 unterzeichneten deutsch-brasilianischen Atomvertrages möglich. Vor zehn Jahren setzten sich bereits einmal Atomkritiker/innen und grüne Politiker/innen für die Kündigung dieses Atomabkommens ein. Im Dezember 2004 sandte die rot-grüne Bundesregierung eine diplomatische Note an Brasilien, indem sie den bilateralen Atomvertrag als nicht mehr „zeitgemäß“ bezeichnete und um dessen Ersetzung durch einen Vertrag zur Förderung Erneuerbarer Energien bat. Letztlich verhinderten jedoch Diplomat/innen des brasilianischen Außenministeriums sowie Wirtschaftspolitiker/innen der SPD-Fraktion, allen voran Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, die drohende Kündigung. Sie wollten der deutschen Atomwirtschaft ihre Ausfuhrchancen nicht verderben.

In diesem Jahr, 50 Jahre nach Beginn der Militärdiktatur in Brasilien, streiten Atomkritiker/innen dies- und jenseits des Atlantiks erneut für die Aufkündigung des Abkommens und die Beendigung eines längst “obsolet” gewordenen Reliktes einer mehr als fragwürdigen Kooperation einer deutschen Zivilregierung mit brasilianischen Militärmachthabern.

Sie fordern die deutsche Regierung auf, endlich ihre “doppelten Standards” in Sachen Atomenergie zu überwinden, im eigenen Land aus der Atomkraft auszusteigen, andere Länder aber weiter aktiv beim Ausbau der Atomkraft zu unterstützen. Damit könne auch ein wichtiges Signal in Richtung Brasilien geschickt werden, sich ebenfalls von Ausbauplänen zu verabschieden und bei der Diversifizierung der eigenen Energiematrix nicht mehr auf die risikoreiche Atomkraft zu setzen.

Dem Umgang mit diesem bilateralen Atomvertrag kommt des Weiteren eine zentrale Bedeutung zu, weil es noch zahlreiche andere, ähnliche bilaterale Atomverträge gibt, z.B. mit Ländern wie Ägypten, China, Indien, Indonesien, Saudi-Arabien oder Südkorea. Trotz des deutschen Atomausstiegs wurde bislang keiner dieser Verträge gekündigt. Heute, 28 Jahre nach Tschernobyl und 3 Jahre nach Fukushima müssen derartige Good-Will-Erklärungen, auf die sich die Regierungen in den Schwellenländern immer noch gerne beziehen, definitiv aufgekündigt werden.

 

Veranstaltung:

Zum Thema „Deutsch-brasilianischer Atomvertrag“ findet am Dienstag, dem 08. April 2014, 19.30 -21.30 folgende Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung statt: Strahlende Geschäfte - Das deutsch-brasilianische Atomabenteuer

 

Weitere Informationen zum Thema: