Das brasilianische AKW Angra – Testfall für die Abschaffung der Hermesleitlinien?

Atomkraftwerk Angra in Brasilien mit Blöcken 1 und 2. Foto: Sturm. Lizenz: Creative Commons BY 3.0.

22. Januar 2010
Von Regine Richter.
Von Regine Richter, urgewald.
Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt seit Jahren Aktivitäten gegen Atomkraft in Brasilien u.a. in Zusammenarbeit mit der NGO urgewald.

Areva/Siemens hat einen Antrag auf eine Hermes-Bürgschaft für den Bau des brasilianischen Atomkraftwerks Angra 3 in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro gestellt. Hermes-Bürgschaften werden Unternehmen gewährt, um diese in so genannten schwierigen Märkten, besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern, gegen die Zahlungsunfähigkeit lokaler Besteller abzusichern. Seit 2001 sind jedoch Bürgschaften für Atomexporte verboten. Damit wird Angra zum Testfall, um das Atomausschlusskriterium abzuschaffen. Dabei sprechen massive Probleme gegen den Bau von Angra 3.

Brasilien begann die Nutzung von Atomenergie mit dem gleichen Hintergedanken wie zahlreiche andere Länder: Es wollte die Nukleartechnologie nutzen, um in den Kreis der Atommächte aufzusteigen und arbeitete zu Zeiten der Militärdiktatur an Atomwaffen.

Bis heute hat das Land nicht das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, welches der internationalen Atombehörde IAEA auch unangekündigte Besuche in sämtlichen atomaren Einrichtungen des Landes gestattet. Ziel eines solchen Systems ist es, den Missbrauch ziviler Atomprogramme für militärische Zwecke zu verhindern. 2006 kam es fast zum Eklat zwischen der brasilianischen Regierung und der IAEA, weil sich Brasilien konstant weigerte, den IAEA-Kontrolleuren Zutritt zu den zentralen Anlagenteilen ihrer Urananreicherungsanlage in Resende zu gewähren.

Keine unabhängige Atomaufsicht

Auch innerhalb des Landes ist die Kontrolle der Atomnutzung mangelhaft, denn in Brasilien ist ein- und dieselbe Behörde für die Förderung und Kontrolle von Atomkraft zuständig. Das Unternehmen, das die Brennstäbe für Angra liefert, Industrias Nucleares do Brasil (INB), gehört zur brasilianischen Atomaufsichtsbehörde, CNEN. Die CNEN-Institutionen untersuchen die Auswirkungen von Unfällen in INB-Anlagen. CNEN ist somit Brennstoffversorger, Betreiber, Auftragnehmer, Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde in einem. Innerhalb der EU ist im Euratomvertrag vorgeschrieben, dass Mitgliedsländer sicherstellen, dass die zuständige Atomaufsichtsbehörde funktionell getrennt ist von anderen Organen, die sich mit der Nutzung oder Förderung der Atomenergie beschäftigen. Und auch die Internationale Konvention zur Atomsicherheit, die der brasilianische Kongress 1997/1998 in nationales Recht übernommen hat, sieht eine solche Trennung von Aufsichtsbehörde und Förderern/Nutzern der Atomenergie vor [1]. Damit entspricht CNEN nicht einmal geltendem brasilianischem Recht.

Traditionszusammenarbeit

Zur Nutzung der Atomkraft kooperierte Brasilien von Anfang an mit Deutschland: Den Startschuss markiert der 1975 unterzeichnete bilaterale Vertrag zur friedlichen Nutzung von Atomenergie. Er sah die gemeinschaftliche Errichtung von acht Atomkraftwerken, einer Reaktorfabrik, einer Urananreicherungsanlage und einer Wiederaufbereitungsanlage sowie die Erschließung, Förderung und Vermarktung der brasilianischen Uranvorkommen vor.

Die Hausbank der Bundesregierung, die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), unterzeichnete 1976 einen Exportfinanzierungsvertrag im Umfang von 1,85 Mrd. DM für die Errichtung der beiden AKW Angra 2 und 3. Das Geschäft wurde mit staatlichen Hermesbürgschaften abgesichert. Die KWU, heute Siemens, bzw. Areva, lieferte die Technik. Heute, über 30 Jahre später, ist erst einer der beiden Zwillingsblöcke realisiert (Angra 2) und zeigt dabei eine ganze Reihe ernster Probleme:

Falscher Standort

Der Standort für die Atomanlagen hätte ungünstiger kaum gewählt werden können. Die Bucht des Ferienparadieses Angra dos Reis liegt kaum 100 km Luftlinie von der Millionenstadt Rio de Janeiro entfernt. Zudem befindet sich Angra in der einzigen erdbebengefährdeten Region Brasiliens, die von der indigenen Urbevölkerung „fauliger Stein” genannt wird. Zu Recht, sackte doch beim Aushub der Baugrube von Angra 2 nebenan das – glücklicherweise nicht im Betrieb befindliche - Maschinenhaus von Angra 1 ab.

Auch die Sicherheitsvorkehrungen am Standort Angra sind nicht für den Katastrophenfall geeignet. Bürgerinitiativen, Umweltschützer_innen und einige Atomexpert_innen verweisen auf die unzureichende Absicherung der Atommeiler gegen Einwirkungen von „außen” (z.B. Naturkatastrophen oder Flugzeugabstürze) und unzureichende Evakuierungspläne für die lokale Bevölkerung im Katastrophenfall. Was mit den verbrauchten Brennelementen geschehen soll, weiß auch noch niemand: In Brasilien gibt es kein Endlager. Zunächst wird der Atommüll erst einmal auf dem Gelände zwischengelagert; was passiert, wenn die Kapazitäten dort erschöpft sind, ist noch völlig offen.

Nagelneu und zugleich uralt

Vom Stand der Technik ist Angra 2 vergleichbar mit den in den 70er Jahren in Deutschland errichteten Kraftwerken Biblis und Grafenrheinfeld. Dabei handelt es sich um Reaktoren der zweiten Generation, die in Deutschland heute keine Baugenehmigung mehr erhalten würden. Angra 3 ist der gleiche Reaktortyp wie Angra 2, also bereits vor Baubeginn hochgradig veraltet.

Maßlos überteuert

Angra 2 gilt heute als ökonomisches Desaster, da es mit geschätzten 7-10 Mrd. USD ungleich viel mehr gekostet hat als ursprünglich veranschlagt. Die Gesamtkosten für das brasilianische Atomprogramm haben mit 20 Mrd. USD bedeutend zur brasilianischen Auslandsverschuldung beigetragen [2]. Jahr für Jahr muss der brasilianische Staat Unsummen an Zinsen und Tilgungen für dieses überdimensionierte und kostspielige Prestigeprogramm aufwenden. Also Kreditrückzahlungen für veraltete und gefährliche Technologie und Großmachtstreben statt dringend benötigter Investitionen in eine zukunftsträchtige Energieversorgung oder Sozialausgaben, die in einem Land mit einer Armutsquote von 30 Prozent nötig wären.

Angra 3 - „No lessons learnt“

Aus all diesen Problemen wurden jedoch keine Lehren gezogen: Kaum war Angra 2 angelaufen, da wurden - trotz fehlender seriöser Gewinnprojektionen oder solider Kosten-Nutzen-Beurteilungen für das fertig gestellte AKW - bereits neue Verhandlungen über die Errichtung eines weiteren AKW am Standort Angra aufgenommen.

Für Angra 3 hat die staatliche Betreiberfirma Eletronuclear bisher Investitionen im Umfang von ca. 750 Mio. USD getätigt, und geht von „Restkosten” in Höhe von 1,835 Mrd. USD aus. Diese Schätzung ist hochgradig unrealistisch, wenn man sie mit den Kosten anderer im Bau befindlicher Atomkraftwerke vergleicht. Dementsprechend ist das Ausfallrisiko bei der beantragten Hermes-Bürgschaft sehr hoch.

Gegen eine Hermes-Bürgschaft für Angra 3 spricht aber vor allem die Tatsache, dass hier eine veraltete Technologie an einem unsicheren Standort in einem Land mit niedrigen Sicherheitsstandards und ohne unabhängige Atomaufsicht zum Einsatz kommen soll. All diese Risikofaktoren potenzieren sich gegenseitig und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Bau- und Betriebsfehlern, die zu einem ernsten Unfall führen können.

Es ist nicht einzusehen, dass der Bundeshaushalt ein Atomgeschäft absichert, das weder modernen Sicherheitsanforderungen noch einer ernsthaften Wirtschaftlichkeitsprüfung standhält und zudem in einem Land stattfindet, das sich bis heute weigert, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zu unterschreiben. Die Bundesregierung muss deshalb den Bürgschaftsantrag für Angra 3 ablehnen.

Quellen

  1. „Financing Brazilian nuclear programme: a risky investment“, Greenpeace Brief Oktober 2009
  2. „25 Jahre deutsch-brasilianischer Atomvertrag: Kein Grund zum Feiern“, G. Dilger, 2000

Dossier

Mythos Atomkraft

 Nach dem Atomunfall in Japan ist die Atomdebatte wieder aufgeflammt. Das Dossier liefert atomkritisches Know-How zu den großen Streitfragen um die Atomenergie.