Kharkiv: Eine Stadt am Rande der Kriegszone

Was bedeuten die Umbrüche in der Ukraine für die Menschen, die dort zu Hause sind? Was sie heute über den Maidan denken, wie der Krieg ihren Alltag beeinflusst und was sie sich für die Zukunft wünschen – zwei Stipendiatinnen der Heinrich-Böll-Stiftung reisen sechs Wochen durch die Ukraine und sprechen mit den Menschen vor Ort.  ➢ Aktuelle Informationen zur Ukraine in unserem Online-Dossier

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Plakatwand mit aufgemalten Einschusslöchern. „Als nächstes Kharkiv?"

Von 1918 bis 1934 war Kharkiv die Hauptstadt der Ukraine, heute ist sie Universitäts- und Kulturstadt, die Menschen aus mehr als 100 Ländern beherbergt. Auf den Straßen reihen sich Cafés und neuerdings auch Anti-Cafés: Hier zahlt man pro Stunde, nicht pro Kaffee.

Perspectives Südosteuropa ist eine englischsprachige Publikationsreihe, die südosteuropäische Perspektiven vorstellt, Analysen zu globalen und regionalen Trends liefert sowie vertiefte Einblicke in die Entwicklungen und politischen Debatten in Südosteuropa gibt.

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Mit den Menschen ins Gespräch zu kommen ist leicht und bringt Spaß. Kommt es allerdings zu politischen Themen, spürt man schnell die Anspannung, die nach wie vor in Kharkiv herrscht: Vor gut einem Jahr versuchten Separatist/innen, ähnlich wie in Donetsk und Luhansk, diese Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Zwischenzeitlich gelang es ihnen auch in Kharkiv das Hauptverwaltungsgebäude zu besetzen und die russische Flagge zu hissen. Heute weht dort wieder die ukrainische Fahne. Viele sagen, die Situation in der Stadt sei nun ruhiger als vor einem Jahr – aber eben nicht ruhig. Eine Russin, die seit mehr als 20 Jahren in Kharkiv lebt, sagt:

„23 Jahre haben wir hier mit unseren russischen Nachbarn in Frieden gelebt. Wir hätten nie gedacht, dass Russland auf einmal angreift. Jetzt befinden wir uns in Kharkiv am unangenehmsten Ort von allen: Wir sind nur 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, und nur 270 Kilometer von den von Separatist/innen besetzten Gebieten. Wir haben ständig Angst, dass jemand bei uns einfällt. Alles was wir wollen ist Frieden.“

Auf die Frage, wie in dieser Stadt Frieden herrschen kann, finden die Menschen für sich unterschiedliche Antworten. Eine dieser Antworten ist das gestürzte Lenindenkmal auf dem Platz der Freiheit. Einst die größte Leninstatue der Stadt, besteht das Denkmal heute nur noch aus dem Podest und Lenins Schuhen, und aus den Schuhen ragt empor: eine Ukraineflagge. Der 40-jährige Vyacheslav hat zusammen mit anderen Patriot/innen, wie sie sich bezeichnen, die Statue gestürzt. Er erklärt:

„In den heute besetzten Städten Donetsk und Luhansk haben die separatistischen Bewegungen unter den dortigen Leninstatuen begonnen. Und dann gab es auch hier bei uns prorussische Demonstrationen unter unserer Leninstatue. Ich wollte nicht, dass mit meiner Stadt dasselbe passiert wie mit Luhansk oder Donetsk. Ich liebe meine Stadt, ich bin hier geboren und will, dass sie so schön bleibt, wie sie ist.“

Andere Bürger/innen der Stadt, wie zum Beispiel der 60-jährige Anatolij F., sind mit dem Sturz der Statue nicht einverstanden:

„Ich hatte in der Sowjetunion ein gutes Leben. Ich hatte einen gesicherten Arbeitsplatz, eine gesicherte Wohnung und konnte jedes Jahr mit meiner Familie in den Urlaub fahren. Heute ist alles viel schlechter für mich, ich kann meiner Frau und meinen Kindern nichts bieten, keinen Urlaub mit ihnen machen. Und seit der Maidanrevolution 2013/2014 ist für mich alles noch schlechter. Natürlich wünsche ich mir die Sowjetunion zurück!“

Öffentlich würde Anatolij F. diese Meinung jedoch nicht kundtun und auch sein vollständiger Name soll hier nicht erscheinen. Er erklärt:

„Ich bin gegen das, was die Separatisten im Donbass tun. Aber ich bin auch gegen den Sturz der Leninstatue und gegen den prowestlichen Kurs der Poroschenko-Regierung. Ich will nicht, dass wir uns von Russland abkehren. Aber wenn ich diese Meinung hier offen sage, habe ich Angst, als Separatist zu gelten. Hier in Kharkiv gibt es zur Zeit keine Redefreiheit.“

Demonstration in Baku am 17. November 2012

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Für Anatolij war der Sturz der Leninstatue also kein Schritt zum friedlicheren Zusammenleben in Kharkiv. „Wir hier im Osten wollen nah an Russland sein!“, sagt er. Viele Menschen in Kharkiv sehen das genau umgekehrt. Anschaulich zeigt sich das heute auf dem Platz der Freiheit vor dem Hauptverwaltungsgebäude: Dort haben Bürger/innen ein großes Zelt in Nationalfarben aufgebaut. Es wehen mehrere ukrainische Flaggen und vor dem Zelt ist mit Sandsäcken ein Schutzwall imitiert, der auf den Krieg anspielt. Rund um das Zelt können Besucher/innen zwischen verschiedenen Plakatwänden umherlaufen: Gezeigt werden Fotos von zerstörten Straßen und Häusern, von kämpfenden ukrainischen Soldaten und Freiwilligenbataillonen und von getöteten Kindern – Fotos aus den Gebieten, in denen Krieg herrscht. Neben den Plakaten wird auf Pinnwänden für die Unterstützung der Ukraine geworben: So gibt es einen Aufruf, russische Waren zu boykottieren und Anleitungen, wie man sie im Supermarkt erkennen kann. Weitere Plakate werben um Spenden für die Armee oder für die Freiwilligenbataillone „Azov“ und „Rechter Sektor“. Unter der Spendenbox hängen Bilder, die Schulkinder für Soldat/innen gemalt haben: gelbe Sonnen, grüne Panzer, Strichmännchen in Nationalfarben und ein krakeliges „Wir sind stolz auf euch.“

Eine andere Plakatwand zeigt keine Fotos, sondern aufgemalte Einschusslöcher. In großen Buchstaben steht dort: „Als nächstes Kharkiv? Was hast du dafür getan, dass Kharkiv nicht die nächste Stadt wird?“ Daneben hängt ein weiteres Plakat, das auch an anderen Orten in der Stadt zu sehen ist. Darauf steht: „So erkennt man einen Alltags-Separatisten“. Laut Plakat gehören dazu Menschen, die sich gegen die Mobilisierung von Männern für den Kriegsdienst äußern, russische Symbolik verbreiten oder behaupten, es gäbe kein ukrainisches Volk oder die russische Sprache sei in der Ukraine bedroht.

Wer einen „Alltags-Separatisten“ erkennt, soll die Polizei oder den Geheimdienst anrufen. Das Plakat hängt auch im zivilgesellschaftlichen „Krisenzentrum Kharkiv“. Eine Mitarbeiterin erklärt: „Dieses Plakat ist wichtig, damit Kharkiv eine freie Stadt bleibt. Wir hier in Kharkiv sind Patrioten und wollen zur Ukraine gehören und nicht zu Russland.“

Der Journalist Andrev Vochehovski sagt, er leide unter der Polarisierung in Kharkiv:

„Wenn ich nicht pro-ukrainisch schreibe, wird mir sofort unterstellt, ich würde von Russland bezahlt. Das stimmt nicht, ich lasse mich nicht bezahlen. Aber sogar meine Bekannten unterstellen mir das. Hier darf es zur Zeit nur eine Meinung geben. Alle anderen Meinungen werden sofort vernichtet.“

Wie für Anatolij F. sind auch für ihn die Extreme in der Stadt schwierig. Vycheslav, der den Sturz der Leninstatue mit organisiert hat und auch in einer Bürgerwehr aktiv ist, sagt dazu:

„Natürlich ist die aktuelle Situation, sind unsere Aktionen radikal. Und ja, sie sind auch nicht gesetzeskonform. Aber wir erleben grade eine Situation, in der unsere Stadt droht, eingenommen zu werden, in der die Dinge auf den Kopf gestellt sind. Und auf Extreme müssen wir mit Extremen reagieren. Wenn es uns Patrioten und unsere Bürgerwehr nicht geben würde, wäre Kharkiv heute schon russisch. Ich wünsche mir, dass die Lage in der Stadt sich wieder normalisiert, und dann können auch wir zur Normalität zurückkehren.“

Entweder Ukraine oder Russland, entweder Patriot/in oder Separatist/in, entweder für oder gegen – in Kharkiv gibt es zur Zeit kaum Raum für Kompromisse. In einer polarisierten Debatte ist es für die Bürger/innen schwer, eine eigene, differenzierte Meinung zu vertreten. Seit einem Jahr gibt es eine Dialoginitiative, um die Kharkiver Zivilgesellschaft wieder zusammenwachsen zu lassen. Die Organisatorin Alena Kupina von der Stiftung für lokale Demokratie sagt: „Wir müssen uns austauschen und anerkennen, dass es verschiedene Meinungen gibt. Erst wenn wir uns zuhören, können wir uns verstehen und erst dann wissen wir, wie wir in der Zukunft handeln können.“

Freiwilligenbewegung

Kharkiv wird oft die „Hauptstadt der Freiwilligenbewegung“ genannt: Als der Konflikt im Osten der Ukraine begann, gründeten sich landesweit zivilgesellschaftliche Initiativen. Zwei besonders große Bereiche in der Freiwilligenbewegung sind: 1. die Unterstützung von Geflüchteten aus den Kriegsgebieten und 2. die materielle und ideelle Unterstützung der Armee und der Freiwilligenbataillone. Von Kharkiv aus sind es nur zwei- bis dreihundert Kilometer zur Frontlinie. Es ist die Stadt mit den meisten Binnenflüchtlingen.

1. Binnenflüchtlinge

Die Organisation „Kharkiv Station“ kümmert sich um Geflüchtete aus den ukrainischen Gebieten, die jetzt von Separatist/innen kontrolliert werden. In einer ehemaligen Bankfiliale betreiben die Freiwilligen dieser Organisation eine Erstanlaufstelle. An einem Tag Anfang Mai stehen vor dem Gebäude etwa 30 Menschen, die warten, dass die Station öffnet. Sie werden zunächst in einer Datenbank registriert und erhalten dann eine Grundausstattung an Lebensmitteln – Mehl, Nudeln, Konserven, Babynahrung, Zucker – sowie Hygieneartikel wie Zahnpaste, Windeln oder Shampoo. Eng sind die Gänge zwischen den Regalen, die in der Vorratskammer bis zur Decke reichen.

Jeden Morgen veröffentlichen die Freiwilligen der Kharkiv Station in sozialen Netzwerken eine Liste mit den Dingen, die gebraucht werden. Viele Kharkiver/innen kaufen dann ein, was benötigt wird, und bringen die Spenden in die Station: Ein Ehepaar hat Reis und ein paar Pakete Windeln mitgebracht. Die Freiwilligen notieren ihre Namen und fotografieren die Spenden. „Für unsere Facebook-Seite“, erklären sie. „Dort bedanken wir uns bei den Spender/innen. Das motiviert die Leute, uns weiter zu unterstützen.“ Güter, die dann noch fehlen, kauft die Kharkiv Station von Geldspenden. Als Anfang 2015 täglich etwa 300 Flüchtlinge ankamen, brachten ausländische und internationale Organisationen Großlieferungen.

Drei Viertel der Freiwilligen, die sich hier engagieren, sind selbst aus dem Osten des Landes geflohen. Sascha (34), der die Ankommenden registriert, kommt aus Donetsk. Er kam im September 2014 mit seiner Tochter nach Kharkiv. Sie begann hier ihr Studium und er half ihr bei der Wohnungssuche. Als er zurück nach Donetsk wollte, rieten ihm seine Freund/innen dort, besser in Kharkiv zu bleiben. Seine Frau hat in Kharkiv eine Arbeit gefunden, die die Familie ernährt. Über seinem schwarzen Baseballcape trägt Sascha einen Kinderhaarreifen mit schwarzen plüschigen Katzenohren. „Um die Leute zum Lächeln zu bringen, wenn sie hier ankommen“, sagt er. Viele der Freiwilligen sind Hausmänner, Hausfrauen oder Rentner/innen, die sechs Tage die Woche in der Station arbeiten. Hier können die Flüchtlinge auch gespendete Kleidung, Geschirr und Kinderspielzeuge bekommen. In einem kleinen Büro bietet die Station Hilfe bei der Arbeitsvermittlung und juristische Beratung an. Außerdem gibt es Hilfe bei der Beantragung von Passierscheinen, mit denen die Geflüchteten in die besetzten Gebiete im Osten fahren können – um ihre Sachen zu holen oder Verwandte zu besuchen.

Nadeschda kümmert sich um die Kinder, während die Eltern in der Beratung sind. „In der Ukraine wird im Moment praktisch alles von der Zivilgesellschaft erledigt. Die Leute organisieren sich selbst – daraus ist eine Freiwilligenbewegung geworden. Die Menschen helfen Flüchtlingen, der Armee, helfen sich untereinander. Und der Staat, tja, das ist eine Sache für sich. Der Staat kümmert sich um seine Angelegenheiten, und die Leute erledigen die Aufgaben des Staats.“

Ein paar Straßen von der Erstanlaufstelle entfernt betreibt die Kharkiv Station eine Übergangsunterkunft. Bis vor einem Jahr waren hier Büros – der leitende Geschäftsmann zog mit seinem Unternehmen in kleinere Räumlichkeiten, damit die Kharkiv Station hier Geflüchtete unterbringen kann. Sie bleiben so lange, bis sie eine Arbeit oder Wohnung finden, zu Verwandten ziehen oder in eine andere Stadt weiterfahren. Eine Wohnung zu finden ist nicht leicht – viele Eigentümer wollen nicht an Binnenflüchtlinge vermieten. Sie befürchten, dass die Menschen aus dem Osten Separatist/innen sind, dass sie die Miete nicht zahlen oder bald wieder wegziehen. Es gibt auch Vorfälle von Geflüchteten oder Menschen, die sich als Flüchtlinge ausgeben, und Inventar und Ausstattung von Mietwohnungen stehlen und verschwinden. Das entstandene Misstrauen erschwert es den Menschen, sich in Kharkiv eine Existenz aufzubauen. Einige kehren zurück in den Osten der Ukraine. Viele haben dort Zeit und Geld in Häuser und Wohnungen investiert. Und viele sehnen sich zurück: „Zuhause ist Zuhause.“

2. Zivilgesellschaftliche Unterstützung für die Streitkräfte

Neben dem ehrenamtlichen Engagement für Geflüchtete gibt es eine Vielzahl von Initiativen, die die reguläre Armee und die Freiwilligenbataillone unterstützen und versorgen. So zum Beispiel die Organisation „Help Army“. Die Kharkiver Mitglieder fahren regelmäßig zu den Soldat/innen – sie bringen Kleidergrößen in Erfahrung und besorgen warme Westen, Jacken, Stiefel und sogar Uniformen, an denen es mangelt. Alex hat eigentlich ein Motorradgeschäft. In seiner Freizeit fährt er mit dem eigenen Krankenwagen von Help Army zu den Soldat/innen. Er liefert Medikamente, die in den Krankenhäusern fehlen, und bringt Verletzte nach Kharkiv. Tanja sammelt in Schulen Bilder, die Kinder für Soldat/innen malen. Darauf stehen Sätze wie „Lieber Soldat, ich denke an dich, komm lebendig zurück“ oder „Lieber Soldat, danke, dass du unser Land beschützt, damit ich zur Schule gehen und lernen kann“. Auf den Bildern sind Blumen und Familien, Ukraineflaggen und Panzer zu sehen. In weiteren Schulen knüpfen die Kinder Tarnnetze.

Andere Gruppen kaufen mit Hilfe der ukrainischen Diaspora in Deutschland gebrauchte Geländewagen für die Armee. Bei der Überführung sind an der polnisch-ukrainischen Grenze eigentlich Zölle fällig – aber weil die Autos für die schlecht ausgestattete ukrainische Armee bestimmt sind, winken die Grenzbeamten die Fahrzeuge durch. In Kharkiv werden die Autos in Tarnfarben angemalt und an die Front gebracht. Vyacheslav, der laut eigener Aussage so schon 45 Geländewagen aus Deutschland zur ukrainischen Armee gebracht hat, zeigt stolz auf die Wand im Kinderzimmer seines Sohnes. Hier hängen etwa zehn deutsche Überführungskennzeichen, aus Fulda und Cottbus, Hannover und Pirna.

Ein anderer Aktivist hilft ukrainischen Soldat/innen in brenzligen Situationen – zum Beispiel, wenn sie im Kriegsgebiet von Separatist/innen umzingelt sind. Die ukrainischen Soldat/innen fürchten dann, von Separatist/innen gefangen genommen oder getötet zu werden, weil sie feindliche Streitkräfte sind. Damit die ukrainischen Soldat/innen entkommen können, tarnen sie sich als Zivilpersonen – normale Menschen, die aus dem Kriegsgebiet fliehen. Der Aktivist organisiert ihnen falsche Pässe, die sie als Bewohner/innen des Kriegsgebiets ausweisen, und normale Kleidung. So getarnt können die Soldat/innen die Checkpoints der Separatist/innen passieren und zurückkehren in Gebiete, die unter ukrainischer Kontrolle sind.

Finanziert wird die zivilgesellschaftliche Unterstützung der Armee durch Spenden von Geschäftsleuten und unzähligen ukrainischen Privatpersonen - unter ihnen sind sowohl Kriegsbefürworter/innen, als auch Kriegsgegner/innen. Für die Unterstützung der Armee haben die Menschen verschiedene Gründe, zum Beispiel patriotische: Die Armee zu unterstützen bedeutet denen zu helfen, die die Ukraine verteidigen. Viele spenden auch aus humanitären Gründen – der ukrainischen Armee fehlte es besonders zu Beginn der Kämpfe an der grundlegendsten Ausstattung, angefangen mit Socken, Schuhen, Zelten und Uniformen. Ein Mann, der für die Armee spendet, sagt: „Ich befürworte diesen Krieg überhaupt nicht. Aber dort stehen unsere Leute, sie wurden zum kämpfen eingezogen. Und dann frieren sie im Winter, weil sie nicht mal ausreichend Kleidung haben.“ Die Freiwilligen sehen, dass sie ehrenamtlich staatliche Aufgaben übernehmen: „Natürlich könnte auch der Staat die Soldaten befreien, aber das sind ewige bürokratische Prozeduren, es dauert zu lange“, erklärt der Aktivist. Ein anderer sagt: „Als der Krieg begann, hatte die Armee gar nichts, das war eine Katastrophe. Wir mussten sofort selber anfangen, die Armee zu versorgen.“


Donata Hasselmann und Miriam Kruse interessieren sich für den postsowjetischen Raum und die Ukraine. Sie haben an der TU Dresden Internationale Beziehungen studiert, Russisch gelernt und ein Auslandssemester im sibirischen Irkutsk verbracht. Seit dem Beginn der Maidanproteste verfolgen sie die Entwicklungen in der Ukraine.  Unter dem Eindruck der viel beschriebenen gesellschaftlichen Spaltung entschieden die Stipendiatinnen, fünf verschiedene ukrainische Städte zu besuchen: Kiew, Kharkiv, Dnepropetrovsk, Odessa und Lviv. Sie übernachten privat und führen Gespräche mit ihren Gastgeber/innen, Aktivist/innen und vielen weiteren Ukrainer/innen. So bekommen sie Einblicke in einen Alltag, zu dem Jazzkonzerte und Fluchtgeschichten, Buchmessen und Patriotismus, Uni-Alltag und Preissteigerungen gehören. Mit einem Bericht von jeder Station teilen die Autorinnen in diesem Webdossier ihre Eindrücke.