Das Projekt "Flüsse verbinden Europäische Regionen"
Auszüge aus der Beilage zur taz, die tageszeitung vom 28.01.2005. Die gesamte Beilage (4 S., 120 KB, PDF) kann hier heruntergeladen werden.Editorial
Von Michael Stognienko
Die Feuerwerke, die in der Nacht zum 1. Mai 2004 die EU-Erweiterung begleiteten, sahen die BürgerInnen in den alten EU-Ländern mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite herrschte Freude über die europäische Einigung, auf der anderen Bedenken über zusätzliche wirtschaftliche Belastungen und Ängste vor grenzüberschreitender Kriminalität.
Was wissen die BürgerInnen von ihren neuen Nachbarn? Die Europäische Union begleitete den Erweiterungsprozess mit PRINCE, einem Informationsprogramm für die BürgerInnen Europas. Sie sollten informiert, ihr Zugehörigkeitsgefühl zu einer erweiterten Union gestärkt werden. "Flüsse verbinden europäische Regionen. Die EU-Erweiterung als Chance" war der Titel des Projektes, mit dem die Grüne Bildungswerkstatt Österreich, die Stichting Duurzame Solidariteit aus den Niederlanden sowie die Heinrich-Böll-Stiftung und ihre Landesstiftungen an diesem Programm teilnahmen. Diese Beilage dokumentiert einige Ergebnisse des Projektes.
Die jüngste Runde der EU-Erweiterung ist vollzogen, neue Herausforderungen kündigen sich an. Ein Beitritt der Türkei wird sowohl das Land selbst wie die EU tiefgreifend verändern. Wie steht es mit der Ukraine und der Region des südlichen Kaukasus? Und welche Rolle kann Europa bei der Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens spielen? Diesen Fragen wollen wir mit dieser Beilage nachgehen. Sie bietet einen Blick über die Grenzen des heutigen Europa hinaus.
Nachbarschaften in Europa
Von Ralf Fücks
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Die Europäische Union ist im Umbruch. Die Erweiterung um zehn neue Mitgliedsstaaten ist der Sprung in eine neue Qualität. Die Union überwindet damit die Ost-West-Spaltung Europas. Sie gewinnt an politischer und ökonomischer Potenz – aber zugleich wächst auch das wirtschaftliche und kulturelle Gefälle innerhalb der Gemeinschaft. Im Prozess der Erweiterung sind deshalb auch neue interne Verteilungskämpfe und politische Spannungen angelegt. Denn die Nationalstaaten mit ihren spezifischen Traditionen, politischen Orientierungen und Interessen lösen sich nicht einfach in die Europäische Union auf wie Würfelzucker in einem Glas Wasser. Sie übertragen einen Teil ihrer Souveränität auf die Union, und zugleich bleiben sie die dominanten Akteure innerhalb der Gemeinschaft. Deshalb spielt auch der Konflikt um Mehrheitsentscheidungen und um das Stimmengewicht der einzelnen Staaten in der Umso wichtiger sind zwei große Projekte, die parallel zur Erweiterung angegangen wurden: Zum einen die Verständigung auf gemeinsame Ziele und Grundwerte; zum anderen die Reform der europäischen Institutionen, damit die erweiterte Union entscheidungsund handlungsfähig bleibt.
[...]
Künftiges EU-Mitglied Ukraine
Von Klaus Segbers
Prof. an der FU Berlin, Europa-Fachbeirat der Heinrich-Böll-Stiftung
Spannende Ereignisse wie die gesellschaftlichen Bewegungen in Kiew, in der Ost- und Westukraine beflügeln neben der medialen oft auch die politische Phantasie. Eigentlich mittel- und längerfristige Vorgänge wie die politische, wirtschaftliche und soziale Modernisierung scheinen dann wie im Zeitraffer beschleunigt werden zu können. Das ist jedoch oft – und so auch derzeit in der Ukraine – nicht der Fall. Zunächst sollte kein Zweifel daran bestehen, dass sich die ukrainische Gesellschaft in einem vernünftig definierten Europa befindet. Was also sind mögliche Einwände gegen eine europäische Institutionalisierung des Landes? Historische Prägungen wie die Zeitpunkte von Aufklärung, Individualisierung und Gewaltenteilung mögen noch eine gewisse Rolle spielen, in Zeiten der Postmoderne und der Globalisierung sind sie aber nicht mehr entscheidend. Historische Pfadabhängigkeiten sind teilweise noch spürbar, aber oft nicht mehr ausschlaggebend. Es gibt also für die Ukraine keine prinzipiellen Hürden, europäischen Institutionen wie den Regelsystemen der EU beizutreten – sobald die Aufnahmekriterien erfüllt und Verhandlungen abgeschlossen sind. Dasselbe gilt natürlich für die Türkei, Belarus und Moldova.
[...]
Nach der Erweiterung ist vor der Erweiterung
Von Walter Kaufmann
Leiter des Südkaukasus-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilis
Mit der 2007 anstehenden Erweiterung der Europäischen Union um Rumänien und Bulgarien sowie durch einen evtl. Beitritt der Türkei werden Georgien, Armenien und Aserbaidschan direkte Nachbarn der EU. Diese hat darauf mit der Aufnahme der drei Länder in die "Europäische Nachbarschaftspolitik" und mit der Ernennung eines Sonderbeauftragten für den Südkaukasus reagiert. Damit rückt eine faszinierende Region an die EU heran, deren Gesellschaften sich selbst als ureuropäisch betrachten und über viele kulturelle und historische Bindungen an Europa verfügen. Zugleich bildet die Region südlich des Kaukasus eine kulturelle und geostrategische Brücke zwischen Europa und dem Kaspischen Raum sowie dem Mittleren Osten. Insbesondere Aserbaidschan kann dabei als säkularem Staat mit islamischer Bevölkerung, der sich nach Europa orientiert, aber über vielfältige Verbindungen nach Zentralasien verfügt, eine besondere Mittlerfunktion zukommen.
[...]
Demokratisierung im Nahen und Mittleren Osten
Von Muriel Asseburg
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik
Nach den terroristischen Angriffen vom 11. September 2001 identifizierte die US-Administration die autoritären Regime in der muslimischen und arabischen Welt als Hauptursache für Extremismus und Terrorismus in und aus der Region. Der Regimewechsel sollte deshalb zum Leitziel amerikanischer Politik sowie mehrerer transatlantischer Initiativen werden. Die Europäer kritisierten den amerikanischen Ansatz zunächst heftig und verwiesen darauf, dass sie selbst mit dem Barcelona-Prozess bzw. der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) schon seit langem einen partnerschaftlichen und auf Dauer angelegten Ansatz der Kooperation zumindest mit einem Teil der Region verfolgten, der besser geeignet sei, durch Unterstützung eines graduellen wirtschaftlichen und politischen Wandels »weichen« Sicherheitsrisiken zu begegnen. Allerdings kann die europäische Politik bislang hinsichtlich einer Demokratisierung der südlichen Partnerländer der EMP nur bescheidene Erfolge vorweisen. Europäische Politik könnte hier wesentlich wirkungsvoller sein, wäre sie weniger widersprüchlich. Diese Widersprüche betreffen insbesondere drei Bereiche: die Partnerschaft mit Regierungen, die nur wenig Interesse an Demokratisierung haben, die Elitenzentrierung bei der Förderung der Zivilgesellschaft und die Ausgrenzung moderater islamistischer Kräfte.
[...]