Banlieue Europa – Jugendunruhen – Stadt – Migration

Lesedauer: 5 Minuten

Eröffnungsrede

19. März 2008
Ralf Fücks, Vorstand Heinrich Böll Stiftung

26/27. Januar, Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich begrüße Sie auch im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung herzlich zur Konferenz „Banlieue Europa – Jugendunruhen – Stadt – Migration“, die wir gemeinsam mit dem Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung und dem British Council Germany ausrichten. Wir freuen uns sehr, dass Sie so zahlreich hier hergefunden haben. Und wir bedanken uns bei der Humboldt-Universität, dass wir heute und morgen zu Gast in dieser ehrwürdigen Heimstatt des europäischen Geistes sein dürfen.

Banlieue Europa: Ich beginne vor unserer Haustür, in Berlin. Im November vergangenen Jahres entstand im Stadtteil Kreuzberg ein Handgemenge zwischen der Polizei und mehrheitlich türkischen Jugendlichen, in das sich auch Erwachsene einmischten. Die Polizei hatte Zwölfjährige unverhältnismäßig hart festgehalten und stieß auf eine überraschend heftige Reaktion der Bewohner des Wrangelkiezes. Autos brannten keine, es roch aber durchaus nach Randale. Ist dieses Ereignis als Vorbote von „französischen Verhältnissen in Deutschland“ zu lesen? Ein Teil der Presse kam jedenfalls schnell zu dieser Einschätzung – wie immer, wenn es mehr oder weniger ernst zu nehmenden Ärger mit jugendlichen Migranten gibt.

Die Fachöffentlichkeit ist vorsichtiger mit ihren Prognosen. Es ist ja tatsächlich eine paradoxe Situation, dass es in Frankreich und in England zum Aufruhr von Migranten kommt, während es in Deutschland zumindest an der Oberfläche relativ ruhig ist. Die Jugendlichen, die in den französischen Banlieus randalieren, sind Franzosen; die türkischen oder arabischen Migranten in Kreuzberg oder im Wedding sind dagegen ihrem Status nach zum größeren Teil „Ausländer“. Man könnte vermuten, dass das Konfliktpotential in Deutschland, das sich nur sehr zögerlich und widerstrebend als Einwanderungsland versteht, eher größer wäre – zumindest ist es erklärungsbedürftig, weshalb das bisher nicht der Fall zu sein scheint.

Wir versprechen uns von dieser Tagung neue Einsichten und Anstöße aus dem Vergleich der Situation von jugendlichen Migranten in Frankreich, Großbritannien und Deutschland vor dem Hintergrund der sozialen und städtebaulichen Situation. Auch die spezifische Integrationspolitik der drei Länder soll in den Vergleich einbezogen werden. Gewaltsamer Aufruhr von jungen Migranten trifft auch deshalb den Nerv der Öffentlichkeit, weil er das konkrete Zusammenleben vor Ort wie die symbolische Einheit der Nation in Frage stellt. Es liegt nahe, solche Krawalle als Zeichen des Scheiterns von Integrationspolitik zu lesen. Aber auch andere Lesarten sind möglich.

Frankreich hat ein republikanisches Verständnis von Staatsbürgerschaft, Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien werden ohne große rechtliche Hürden zu Franzosen und Französinnen. Im Gegensatz dazu hängt die Einbürgerung von Migranten in Deutschland immer noch hinterher. Dass auch wir ein Einwanderungsland sind, ist kaum noch zu leugnen. Aber dieser Übergang zur multiethnischen Republik ist weder mental noch institutionell – etwa im Bildungswesen - wirklich vollzogen. Dennoch scheint das Konfliktpotenzial hierzulande geringer als in Frankreich. Woran liegt das? Ist die Frage der Staatsbürgerschaft weniger wichtiger als der Zugang zum Arbeitsmarkt und die stadträumliche Integration von Migranten? Denn damit scheint es zum Beispiel in Berlin besser bestellt als etwa in Paris. Wenn ich es richtig sehe, ist die städtebauliche und soziale Segregation hierzulande weniger verfestigt als in Frankreich. Erklärt das die relative Ruhe in den deutschen Städten? Oder sind die Unruhen in Frankreich gerade ein Zeichen des politischen Selbstbewusstseins junger Immigranten, die damit ausdrücken, dass sie gleiche Rechte und Lebenschancen als Franzosen einfordern; also Ansprüche gegenüber Staat und Gesellschaft geltend machen, die ihre türkischen Altersgenossen in Deutschland erst gar nicht artikulieren?

Ein anderes Beispiel: Großbritannien scheint bei der Gleichstellung von Immigranten weit fortgeschritten zu sein. Es gibt nicht nur ein relativ liberales Staatsbürgerrecht, sondern auch eine explizite Anti-Diskriminierungspolitik auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt (Stichwort „Equal Opportunities“). Kulturelle Verschiedenheit wird im Bildungswesen und im öffentlichen Dienst weitgehend anerkannt und positiv besetzt. Seit den Riots von Bradford, Burnley und Oldham lautet die Diagnose vieler Publizisten und Politiker jedoch: Es gibt zu viel Verschiedenheit und zu wenig Gemeinsamkeit. Die britische Gesellschaft sei zu weit auseinandergedriftet. Sind die Riots also Ausdruck von zu viel oder von zu wenig Toleranz gegenüber kultureller Verschiedenheit? Oder spielen ganz andere Faktoren eine Rolle?

Was war ausschlaggebend für die Gewaltausbrüche in den „Banlieus“: Wie wirken hier soziale Ausgrenzung, Agieren der Polizei und Jugendkulturen zusammen? Welche Rolle spielen Städtebau und Stadtstruktur für Integration oder Segregation von ethnischen Minderheiten? Und welche Konsequenzen haben die jeweiligen Städte und Regierungen aus den Unruhen gezogen? Können wir daraus gegenseitig lernen, gibt es auch Beispiele dafür, was man besser nicht machen sollte? Das sind Schlüsselfragen dieser Tagung.

Die Antworten darauf sind nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern politisch brisant. Es geht um Konfliktprävention, und es geht um die Zukunft unserer Städte: werden sie künftig zu ethno-sozialen Kampfzonen, in denen das eingewanderte Subproletariat von bewaffneter Polizei in Schach gehalten wird, während sich die weißen Oberschichten in „gated communities“ verschanzen? Oder gelingt es, die ethnische und kulturelle Vielfalt der europäischen Städte produktiv zu wenden und die Immigranten zu Stadtbürgern zu machen?

Wir hoffen, mit dieser Konferenz auch ein Netzwerk zum Erfahrungsaustausch praktischer integrativer Stadtentwicklung anzuregen, das über diese beiden Tage hinaus Bestand haben wird.

Wir freuen uns sehr, dazu Gäste aus Frankreich und Großbritannien begrüßen zu können, die sich intensiv mit den Problemen befasst haben, die Gegenstand unserer Konferenz sind.

Unseren beiden Kooperationspartnern, dem Georg-Simmel-Zentrum für Metropoleforschung und dem British Council Germany, namentlich Hartmut Häußermann und Guido Jansen, danke ich herzlich für die produktive Zusammenarbeit. Auf unserer Seite möchte ich unsere Referentin für Stadtpolitik, Sabine Drewes, hervorheben, die sich bei der Vorbereitung dieser Tagung sehr engagiert hat. Dank gilt auch der französischen Botschaft wie dem Centre Marc Bloch für ihre freundliche Unterstützung. Und unseren ausländischen Gästen möchte ich einen anregenden Aufenthalt in Berlin wünschen. Enjoy your stay here!

Uns allen eine spannende und aufschlussreiche Konferenz.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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