Von der Konsumkritik zur Verbraucherpolitik
Hauptangriffsziel der ökologischen Bewegung waren bisher die Produzenten, vor allem die großen Industrien, von A wie "Atomkonzerne" bis Z wie Zementfabriken. Das war ebenso naheliegend wie effektiv. Großunternehmen eignen sich wie niemand sonst als Zielscheibe ökologischer Kritik. Hier bündeln sich Ressourcenverbrauch und Emissionen, sie stehen im Mittelpunkt weltumspannender Transportketten, sie verkörpern den ökologischen und sozialen Raubbau in der "3.Welt": vom Kahlschlag der Regenwälder bis zu den Arbeitsbedingungen in den Erzgruben oder auf den Bananenplantagen des Südens, die für den unersättlichen Bedarf des reichen Nordens produzieren. Ihre Operationen sind gut zu beobachten und zu skandalisieren; Greenpeace hat daraus eine lange Zeit erfolgreiche Aktionsstrategie entwickelt.
In den letzten Jahren ist die Kehrseite der Medaille stärker ins Blickfeld gerückt: die Konsumenten. Sie sind nicht bloße Opfer der Manipulation durch raffinierte Werbung und subtile Marketingstrategien, sondern selbst Akteure im Wirtschaftsleben, Getriebene und Antreiber der Produktionsmaschine zugleich. Die Kunden von McDonalds werden ja nicht mit der Peitsche in das Lokal getrieben, und niemand wird gezwungen, immer leistungsstärkere und schwerere Limousinen zu kaufen oder mit TUI in ferne Urlaubsländer zu fliegen, statt im Harz wandern zu gehen.
Es ist nicht nur die Produktionsweise der hochindustrialisierten Gesellschaften, die im Konflikt mit der Ökologie steht. Auch der ihr entsprechende Konsumstil ist nicht nachhaltig. Der moderne Massenkonsum hat die ökologischen Grenzen auf breiter Front überschritten, und das Gesetz des "immer mehr und immer billiger" ist der mächtigste Antrieb für die Expansion des Industriesystems geworden. Grenzenlosigkeit der Bedürfnisse bei begrenztem Einkommen – dieser Widerspruch ist nie aufzuheben. Aber er kann gemildert werden durch immer neue Billigangebote, das heißt durch wachsenden Druck auf die Natur und auf die Arbeitskräfte. "Geiz ist geil" als Werbeslogan eines Elektroartikeldiscounters – nichts bringt diese perverse Dumping-Logik besser auf den Begriff. Es ist die Kombination aus Geiz und Gier, die den Ruin des Planeten beschleunigt.
Es wäre arrogant und bequem, diese Kritik lediglich auf Otto und Anna Normalverbraucher zu beziehen, zumal in Zeiten ökonomischer Stagnation die Steigerung des privaten Konsums beinahe zur nationalen Pflicht erklärt wird. Der aufgeklärte Konsumstil der Oberklassen ist noch viel weiter von ökologischer Verträglichkeit entfernt. Man trennt zwar zu Hause den Müll, achtet auf die Qualität der Produkte, bevorzugt Handarbeit vor Massenproduktion, kauft sowohl bei Aldi wie im Ökoladen und rümpft die Nase über Burger King und Pizza Hut. Nichts desto trotz wachsen der persönliche Energie-, Rohstoff- und Flächenverbrauch mit dem verfügbaren Einkommen. Die Ökobilanz der globalen Experten- und Managerklasse ist katastrophal, die Internationale der Umweltschützer eingeschlossen, die von einem "Meeting" und einer Konferenz zur nächsten jettet.
Doch es gibt auch erfreuliche Nachrichten. Mit der Verantwortung der Konsumenten wurde auch ihre Macht entdeckt. Nichts fürchten moderne Unternehmen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, mehr als den Verlust ihres "moralischen Kapitals". Sie sind deshalb äußerst empfindlich für öffentliche Attacken, mit denen sie wegen ökologischer oder sozialer Sünden an den Pranger gestellt werden. Dass sich Konzerne wie Karstadt, der Otto-Versand oder Adidas freiwillige Umwelt- und Sozialstandards auferlegt haben, ist vor allem eine Maßnahme zum Schutz des Firmenwerts. Aufgeklärte Verbraucher kaufen gern mit gutem Gewissen. Kinderarbeit, frühkapitalistische Fabrikverhältnisse und offenkundige Umweltzerstörung mögen kurzfristig den Profit steigern, langfristig gefährden sie das Geschäft. Positiv formuliert: "Öko sells!" Jedenfalls so lange eine gute Unternehmenspraxis nicht zu signifikant höheren Kosten und Preisen führt – denn wenn es um den Preis geht, ist auch die Toleranz umweltbewusster Konsumenten eng begrenzt, wie das Beispiel der ökologischen Landwirtschaft lehrt, die zunehmend unter Preisdruck gerät.
Weil Preise in der Marktwirtschaft letztlich eine entscheidende Rolle für Produzenten wie für Konsumenten spielen, ist es so wichtig, dass Preise "die ökologische Wahrheit sagen", also die tatsächlichen Kosten eines Produkts so weit wie möglich widerspiegeln. So lange etwa die ökologischen Folgekosten der industriellen Landwirtschaft wegsubventioniert werden, wird es der ökologische Landbau schwer haben, seinen Marktanteil auszubauen. Das gleiche gilt für den Energiesektor: So lange Strom aus Atommeilern oder Kohlekraftwerken konkurrenzlos billig gehalten wird, werden die falschen Signale für die Industrie wie für die privaten Haushalte gesetzt. Die Steuerbefreiung für Flugbenzin oder die Entfernungspauschale für Pendler, die den Flächenverbrauch fördert und zum Ausbluten der Städte beiträgt, sind weitere Beispiele für eine Fehlsteuerung der Nachfrage durch die öffentliche Hand.
Während also "Verbraucherpolitik" und "kritischer Konsum" als Hebel für mehr Umweltschutz und soziale Fairness von Unternehmen zunehmend ins Blickfeld rückt, führt die radikale Kritik an der Konsumgesellschaft, wie sie einige Altvordere der Ökologiebewegung einst im Schilde führten, nur noch ein Schattendasein. Theoretiker einer ökologischen Reformation wie Rudolf Bahro oder wertkonservative Kulturkritiker wie Carl Amery zielten noch auf eine alternative Vorstellung vom "guten Leben". Ihre Leitbilder waren mehr freie Zeit, mehr Persönlichkeitsbildung und selbstbestimmte Tätigkeit im Kontrast zu entfremdeter Erwerbsarbeit und kompensatorischem Konsum. Sie folgten der paradigmatischen Unterscheidung zwischen "Sein" und "Haben", die der deutsch-amerikanische Psychiater Erich Fromm mit weitreichender Wirkung auf die Debatte der 70er und 80er Jahre formulierte. In ihren Anfangsjahren griffen die "Grünen" diesen zivilisationskritischen Diskurs mit Slogans wie "Weniger ist mehr!" oder "Small is beautiful!" noch auf. Inzwischen haben sie sich, aus guten wie aus weniger guten Gründen, von dieser Art der "Lebensstil-Politik" abgesetzt. Auch die Umweltverbände haben die Kritik am Konsumismus weitgehend geräumt. Niemand will als "Verzichtsprediger" dastehen, schon gar nicht in einer Zeit, in der der breiten Masse der Bevölkerung ohnehin von Staats wegen Konsumverzicht durch Kürzung sozialer Leistungen verordnet wird und die Arbeitslosigkeit zur Dauerplage geworden ist. Und niemand will sich dem Vorwurf aussetzen, er wolle der Bevölkerung im Namen der Ökologie einen bestimmten Lebensstil aufzwingen. Das Eigentor, das die Grünen einst mit dem Slogan "5 Mark für den Liter Benzin" geschossen haben, sitzt allen noch in den Knochen.
Als Ausweg aus diesem Dilemma ökologischer Politik, eine radikale Verringerung des Naturverbrauchs zu fordern, ohne der Bevölkerung Konsumverzicht zuzumuten, erscheint die Zauberformel "grünes Wachstum". Die ökologischen Probleme sollen nicht durch materielle Selbstbeschränkung, sondern durch eine neue technische Revolution gelöst werden: Wir kritisieren nicht mehr den Autowahn, sondern setzen kurzfristig auf effiziente Abgasfilter, mittelfristig auf das Drei-Liter-Auto und langfristig auf den Wasserstoffantrieb. Statt gegen die rapide Zunahme des Flugverkehrs zu opponieren, propagieren wir die Entwicklung schadstoffarmer Flugzeuge. Wachsende Wohnflächen pro Kopf? Unsere Antwort ist das Null-Emissions-Haus. Steigender Stromverbrauch? Mit Wind- und Sonnenenergie kein Problem. Kurz und gut: Statt wie ein Don Quichotte der Konsumkritik für eine Änderung des Lebensstils zu streiten, lautet unsere Botschaft: "Du darfst." Aber bitte mit Öko-Technik und Bio-Produkten. Das klingt modern, innovativ und mehrheitsfähig. Es klingt aber auch ein wenig nach "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass".
Ralf Fücks
Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung