Ein Rückblick/Ausblick auf den grünen Stiftungs-Verbund

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Rede von Ralf Fücks gehalten anläßlich des 20-jährigen Jubiläums der Stiftung "Leben + Umwelt", Niedersachsen Hannover, 20. Mai 2003

19. März 2008
Herzliche Glückwünsche zum 20. Geburtstag vom Stiftungs-Mutterschiff in Berlin! – Das Bild stimmt nicht ganz, weil in diesem Fall die Tochter deutlich älter ist als die Mutter: Die neue Heinrich-Böll-Stiftung ist gerade sieben Jahre alt, und unser Vorläufer, der Stiftungsverband Regenbogen, wurde vor 15 Jahren als Dach über den damals drei grün-nahen Stiftungen gegründet. Die ursprüngliche Heinrich-Böll-Stiftung, die Frauenanstiftung und der „Buntstift“ wurden Ende der 80er Jahre aus der Taufe gehoben, nachdem die Grünen in der ersten Legislaturperiode ihres parlamentarischen Daseins noch das Bundesverfassungsgericht gegen die Stiftungsfinanzierung angerufen hatten. Vertreten wurde diese Klage übrigens von einem gewissen Otto Schily, der heute als Bundesinnenminister die oberste Aufsichtsinstanz über die politischen Stiftungen vertritt. So ändern sich die Zeiten...

Heute käme hoffentlich kein Grüner auf die Idee, die Heinrich-Böll-Stiftung dem Phänomen „Parteienfilz“ zuzuordnen – wir würden dem auch energisch entgegentreten. Wir verstehen  uns als eigenständiges Mitglied der grünen politischen Familie, selbständig in unseren programmatischen, personellen und finanziellen Entscheidungen, aber doch dem grünen Projekt, seinen Zielen und Grundwerten verpflichtet. Und so agieren wir auch.

„Leben und Umwelt“ war also ein echter Pionier, eine Vorreiterin auf dem langen Weg von den ersten Landesstiftungen bis zu dem stolzen grünen Stiftungs-Verbund von heute. Das Unternehmen startete als „Bewegungsstiftung“ mit betonter Parteiferne – das ist, für alle die es bewusst miterlebt haben, aus dem Zeitgeist jener Jahre gut nachvollziehbar. Die Zeit von Ende der 70er bis Mitte der 80er Jahre war die Hochzeit der „neuen sozialen Bewegungen“ mit den Massenaufläufen der Friedensbewegung in Bonn und den Großdemonstrationen gegen Atomenergie in Gorleben, Brokdorf und anderswo. Und Niedersachsen war ein Brennpunkt dieser Bewegungen. „Anders arbeiten, anders leben“ war ein Motto, das bis in die Gewerkschaften hinein Anklang fand – fast klingt es wie ein Märchen aus vergangener Zeit.

Auch wenn diese heroische Phase der Alternativbewegung Geschichte ist, bleibt es eine  richtige Idee, dass das Grüne Projekt nicht nur in den Parlamenten, sondern in der Lebenswelt verankert sein muss. Es geht nicht nur um eine andere Politik, sondern um andere Werte, einen anderen Begriff vom „guten Leben“ und einen neuen Lebensstil.

Diese Seite des grünen Projekts, die auf einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel zielt, ist heute vermutlich eher in den grün-nahen Stiftungen zu Hause, als in der grünen Partei selbst – nicht nur im Leitbild der „Geschlechterdemokratie“, das auch in Hannover groß geschrieben wird. Personell ist „Leben und Umwelt“ ohnehin fest in weiblicher Hand, was das kleine hauptamtliche Team anlangt.

Wir sind in diesen 20 Jahren als Personen und als Institutionen erwachsener geworden: realistischer, professioneller, mit mehr Respekt vor der Komplexität gesellschaftlicher Verhältnisse, größerer Skepsis gegenüber allzu einfachen Wahrheiten, vielleicht auch ein bisschen abgeklärter. Das ist nicht unbedingt ein Verlust gegenüber dem großen missionarischen Gestus der Anfangsjahre, und wir teilen diese Wandlungen mit den Grünen wie mit den meisten sozialen Bewegungen selbst, die sich inzwischen in professionellen Institutionen organisiert haben.

Aber eine grüne Stiftung würde ihren Daseinszweck verfehlen, wenn sie die produktive Unruhe verlöre, die kritische Reibung an der Gegenwart, auch an der Gegenwart grüner Politik. Wir leben in einer Zeit rasanter Umbrüche in der Welt. Auch die Grünen werden davon nicht verschont bleiben; nicht nur, weil sich Joschka Fischer vielleicht demnächst nach Europa verabschiedet. Die raison d’être grüner Politik der letzten Jahre, das Mitgestalten der Republik im Rahmen einer rot-grünen Koalition, erschöpft sich zusehends. Auch die Grünen werden ihre politische Rolle neu erfinden müssen. Der grüne Stiftungs-Verbund könnte dabei eine bescheidene, aber wichtige Aufgabe wahrnehmen: als Ort der Selbstverständigung und Neuorientierung.

Also bleiben wir, was wir sind, wenn auch in immer neuer Gestalt: Zukunftswerkstatt, internationale Kooperationsplattform für Bürgerinitiativen und Projekte, ein ideenpolitischer Akteur, der unverdrossen auf die Kraft des Arguments und die Lust auf Debatte setzt.

In diesem Sinne: Viel Erfolg in den nächsten 20 Jahren!

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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