„Selbständig lernen – Bildung stärkt Zivilgesellschaft"

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Bildungskonferenz „Selbständig lernen – Bildung stärkt Zivilgesellschaft“ Berlin, 4. und 5. Juni 2004, von Ralf Fücks

19. März 2008
Wir wollen auf dieser Konferenz – als krönenden Abschluss – die komprimierten Ergebnisse unserer Bildungskommission zur Diskussion stellen. Es handelt sich um die Früchte einer intensiven und produktiven Arbeit von vier Jahren – eine enorme Leistung für eine ehrenamtliche, auf Eigeninitiative beruhende Gruppe.

Die Bildungskommission wurde aus der Einsicht heraus ins Leben gerufen, dass die Diskrepanz zwischen Reformbedarf und status quo im deutschen Bildungssystem zum Himmel schreit. Damals, im Vor-Pisa-Zeitalter, gehörte diese Erkenntnis zum resignierten common sense der Republik: die Notwendigkeit grundlegender Änderungen wurde aller Orten konstatiert, aber nirgendwo zeichnete sich eine ernsthafte Reforminitiative ab.
So hatte die Delphi-Studie von 1996/98 eine hohe Übereinstimmung zu Tage gefördert, dass das deutsche Bildungssystem an Haupt und Gliedern reformiert werden muss. Gleichzeitig bestand hohe Übereinstimmung in der Skepsis, ob sich solche Veränderungen  rechtzeitig und im angemessenen Umfang umsetzen lassen.
Viel zu lange hatte sich die Bildungsdiskussion in ideologischen Grabenkämpfen, Strukturdebatten und gegenseitigen Vorwürfen festgefahren. Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit in der Bremer Bürgerschaft, als sich der Plenarsaal mit Beginn der Bildungsdebatten schlagartig leerte – man wußte ohnehin, wie der politische Schlagabtausch verlaufen würde und war der Reform-experimente müde, die allenfalls zu einer Verschlimmbesserung der Lage geführt hatten. Die Akteure des Schulkampfs waren weitgehend zermürbt, der Bildungsprotest erschöpfte sich im Ruf nach mehr Geld und kleineren Klassen.
Die Berufung der Bildungskommission zielte darauf ab, Bewegung in die erstarrten Fronten bringen. Sie sollte zum einen ihre Empfehlungen auf ein wissenschaftliches Fundament stützen; gleichzeitig sollte sie zu offenen Suchprozessen ohne ideologische Scheuklappen und vorgefertigte Antworten fähig sein. Das hat sie nachdrücklich unter Beweis gestellt. Dass der „Pisa-Schock“ die bundesdeutsche Öffentlichkeit aufrüttelte und die Politik unter Zugzwang setzte, endlich eine substantielle Reform des Bildungssystems anzugehen, hat der Kommission sicher Auftrieb gegeben und die öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Empfehlungen geschärft. Um einen präzisen Indikator für ihre Breitenwirkung zu nennen: die Veröffentlichungen der Kommission wurden bis gestern  insgesamt 51.762 mal von unserer website heruntergeladen. Offenkundig treffen sie auf ein Bedürfnis nach Handlungs-empfehlungen, die Wertorientierung mit Pragmatismus verbinden.
Es sind schon seit längerem neue, intermediäre Akteure, die entscheidende Anstöße für eine Auflösung des bildungspolitischen Reformstaus geben. An den meisten Reformbaustellen sind heute Stiftungen direkt oder indirekt beteiligt. Sie geben inhaltliche Impulse und starten Pionierprojekte, von der vorschulischen Sprachförderung bis zur Entwicklung neuer Studiengänge und der Gründung privater Hochschulen. Gesellschaftliche Akteure springen ein, wo dem Staat die Mittel fehlen und den Institutionen der Atem ausgeht.
Damit werden Staat und Politik nicht aus ihrer Verantwortung für das Bildungssystem entlassen. Sie bleiben Garanten für das Recht auf Bildung, das  als zentrales Bürgerrecht gefaßt werden muss. Denn noch vor aller funktionalen Bedeutung von Bildung für die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft geht es um Bildung als Medium für die freie Entwicklung der Persönlichkeit. Im Zentrum steht dabei die Befähigung, sich  die Welt zu erschließen und seinen Platz in ihr zu finden, also am  sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Bildung muss zugleich die Autonomie und die Gesellschaftsfähigkeit der Individuen befördern.
Genau an dieser Stelle setzen die Empfehlungen der Bildungs-kommission an. Die Kommission folgte dem Leitgedanken, dass erfolgreiche Lernprozesse an die Erfahrung der Schule als soziales Gemeinwesen gebunden sind, die jedes Mitglied als Träger eigener Rechte respektiert. Zugleich muss Schule heute zwei zentrale Herausforderungen bewältigen: zum einen den Übergang zur Wissensgesellschaft mit den darin eingeschlossenen Prozessen der Individualisierung, der Verwissenschaftlichung und der Auflösung traditioneller Bindungen; zum anderen geht es um eine stärkere  Beteiligung gesellschaftlicher Akteure: vom Engagement der Eltern  über die Kooperation mit Vereinen, Projekten und Unternehmen bis zur Einbeziehung „professioneller Laien“ aus anderen Berufen.
Staatliche Instanzen und die Institution Schule allein verfügen nicht über die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen, um Schule wieder zu einem spannenden, innovativen und sozialen Ort zu machen. Insoweit liegen die Empfehlungen der Kommission auf einer Linie mit breiter angelegten Initiativen der Stiftung, die sich am Leitbild einer aktiven Bürgergesellschaft orientieren. Wir entlassen den Staat nicht aus seiner Verantwortung für das Gemeinwohl, aber wir erwarten von ihm nicht die Lösung aller Probleme. Staatliche Bildungspolitik muss deshalb Raum geben für die Selbstverwaltung von Schulen und für Eigeninitiative der Zivilgesellschaft.
Die Kommission hat sich kluger Weise auf die Reform der allgemeinbildenden Schulen beschränkt. Fragen der Hochschulreform und einer zukunftsfähigen Studien- und Hochschulfinanzierung werden in anderen Arbeitszusammenhängen der Heinrich-Böll-Stiftung verfolgt, nachdem die Bildungskommission in ihrer ersten Empfehlung Eckpunkte für die Bildungsfinanzierung von der vorschulischen Bildung bis zum lebensbegleitenden Lernen vorgelegt hatte.
Die Mitglieder der Bildungskommission sind der Einladung durch die  Heinrich-Böll-Stiftung um Mitarbeit mit großem Engagement gefolgt.  Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich bei Ihnen persönlich für Ihren langen Atem bedanken. Ihr Einsatz hat sich gelohnt – die Kommission hat deutliche Spuren in der bildungspolitischen Landschaft hinterlassen.
Ganz besonders danke ich  Sybille Volkholz, die das Projekt initiierte und mit politischer Weitsicht, fachlicher Expertise und großem kommunikativen Geschick die Bildungskommission im besten Sinne des Wortes geleitet hat. Gratulation zu diesem Spätwerk! Ein großes Dankeschön geht auch an unseren Bildungsreferenten Andreas Poltermann und an Stephan Ertner, die der Kommission mit Rat und Tat zur Seite standen.
Schließlich gilt unser Dank der Deutschen Bahn, die diese Tagung mit einem Geldbetrag und mit Freifahrkarten für zwei Schulen unterstützt. Wir wissen das zu schätzen.
Ich wünsche uns allen eine spannende Tagung und hoffe, dass dieses Ereignis zu weiteren Verabredungen über künftige Zusammenarbeit zwischen den TeilnehmerInnen führen wird.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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