Interview mit Ralf Fücks (Politik) und Gottfried Härle (Unternehmer) aus Anlass der gemeinsamen Tagung „Small is beautiful“ von Heinrich-Böll-Stiftung und UnternehmensGrün am 8. November 2003 in Leipzig.
??: Gottfried Härle, Sie betreiben eine mittelständische Brauerei und sind Vorstandsmitglied beim Verband UnternehmensGrün. Ihr Schwerpunkt: Arbeitsmarktpolitik. Was erwarten Sie von der Politik, damit kleine Unternehmen wachsen können, ohne zwangsläufig größer werden zu müssen?
Härle: Die Politik muß sich um die Belange von kleinen, ich betone, kleinen Unternehmen kümmern. Wir haben bisher oft die Vermengung von kleinen und mittleren Unternehmen unter dem bekannten Begriff KMU (Kleine und mittlere Unternehmen). Aber oft richten sich Maßnahmen an mittlere Unternehmen, mit Betriebsgrößen von 200, 400, 500 Arbeitnehmern, während die kleinen ein, zwei, drei, vier Mann/Frau-Betriebe bei diesen Regelungen untergehen.
Hervorheben möchte ich das Thema Bürokratie. Untersuchungen zeigen, dass die Bürokratiekosten pro Mitarbeiter in Kleinbetrieben bei rund 3500 Euro im Jahr liegen. In Großunternehmen liegt diese Zahl bei rund 150 Euro pro Mitarbeiter. Allein daran sieht man, welche Bürden der Staat den Kleinen auflädt und zu welchen hohen Kosten das führt. Faktisch sind das Statistikanforderungen, Lohnabrechnungen, Sozialabrechnungen und was sonst so anfällt.
??: Ralf Fücks, Sie sind Chef der grünnahen Heinrich-Böll-Stiftung. Und damit eher einem Think Tank zugehörig als der aktuellen Politik. Ihre Themen sind die Internationalisierung der Arbeitsmärkte und die Arbeitsmigration; reden wir dann über das richtige Thema? Ist die Frage der kleinen Unternehmen nicht unwichtig?“
Fücks: Überhaupt nicht. Nach wie vor sind es die kleinen Unternehmen, die den Löwenanteil von Arbeitsplätzen bereitstellen. Und nach wie vor sind es die kleinen Unternehmen, die ausschlaggebend sind für die Vitalität der regionalen Ökonomien bis hin zur Lebendigkeit unserer Städte. Ich bin kein Freund des Gegensatzes ‚Klein ist gut und groß ist schlecht‘, aber Themen wie Produktqualität, Kundenverantwortung oder Eigeninitiative sind in Kleinunternehmen in der Regel doch besser aufgehoben, weil es eine direktere Beziehung zwischen den Unternehmen und den Kunden gibt. Ebenso ist die Verantwortung der Arbeitgeber für ihre Belegschaften viel unmittelbarer, weil engere Beziehungen bis hin zu Beteiligungsmodellen bestehen.
??: Herr Härle, wenn ich bei kleinen Unternehmen, beispielsweise Handwerksbetrieben, nachfrage, warum ihre tollen Ideen nicht zum Tragen kommen oder die geplante Firmengründung/-erweiterung gestoppt wurde, erzählen sie mir von Handwerksverhinderungsgesetzen, von Mittelstandsförderung, für die ein Kleinunternehmer nicht einmal die Formulare bewältigt bekommt und so fort. Was erwarten Sie von Rot-Grün zur Verbesserung der Lage der kleinen Unternehmen?
Härle: Erweitern würde ich Ihren zu Recht zitierten Katalog auf jeden Fall um die Frage der Kapitalbeschaffung. Es hat sich vor allem in den letzten Jahren gezeigt, dass es für kleine Unternehmen zunehmend schwierig wird, überhaupt Kapital an den regulären Märkten oder bei Banken zu beschaffen. Das Problem hat sehr viel zu tun mit Bürokratie und zwar bei der Bankenaufsicht. Ich kenne sehr viele Banker von kleinen Genossenschaftsbanken, auch von Sparkassen, die durchaus bereit wären, Kapital zur Verfügung zu stellen. Aber auf Grund der sehr strengen Richtlinien des Bundesamtes für Finanzwesen (BaFin) nicht dazu in der Lage sind. Diese Kredite scheitern nicht wegen fehlender (auch persönlicher) Sicherheiten, sondern einfach daran, dass diese Betriebe nicht die Größe und den notwendigen bürokratischen Apparat aufweisen können. Was wir hier dringend brauchen, ist eine Reform des Aufsichtswesens für die Banken mit dem Ziel, dass speziell an kleine Unternehmen, und da spreche ich von oftmals nur fünfstelligen Beträgen, die Kredite wesentlich unbürokratischer ausgegeben werden, als das bisher der Fall ist. Es kann ja nicht sein, dass wir hier eine Bürokratie aufbauen, bei der ein kleiner Betrieb vierteljährlich Prognoserechnungen bei der Bank abliefern muss und er nur noch damit beschäftigt ist, das ganze Zahlenwerk zu erstellen! (Die Bank muss das wegen der Richtlinien fordern.) Ändert sich nichts, sehe ich für viele kleine Unternehmen schwarz.
Fücks: Wenn ich da grade einhaken darf. Wir sollten nachdenken, ob nicht bestimmte traditionelle Kooperationsformen für kleine Unternehmen wieder hochmodern geworden sind. Ich nenne als Beispiel Kreditgenossenschaften, weil Einzelunternehmer häufig überfordert sind, nicht nur im Verkehr mit den Banken, sondern auch gegenüber den Behörden. Vielleicht würde es dafür auch kleinere Verbandsstrukturen brauchen, die solche Service- und Dienstleistungsfunktionen für ihre Mitglieder wahrnehmen. Das geht bis hin zu Innovationsförderung. Welcher Kleinunternehmer kann beispielsweise EU-Anträge stellen? Kaum einer! Genossenschaftliche Zusammenschlüsse könnten solche Aufgaben übernehmen.
??: Denkt UnternehmensGrün in diese Richtung?
Härle: Es gibt interessante Ansätze in den neuen Bundesländern, wo sich viele kleine Unternehmen zu den sogenannten Darlehensgenossenschaften zusammengeschlossen haben. Wo einerseits die gegenseitige Darlehensgewährung im Mittelpunkt steht, andererseits aber genau das, was Ralf Fücks anspricht. Da werden solche Netzwerke wieder eine größere Rolle spielen. Nur, eines ist natürlich genauso wichtig. Wir müssen den vorhandenen Sektor – die Sparkassen, die Genossenschaftsbanken – einbeziehen und fordern. Die nehmen ja regionale und lokale Verantwortung wahr. Das dürfen wir nicht vernachlässigen. Das sind die Ansprechpartner, wenn es um Finanzierung geht. Bevor wir neue Formen entwickeln, muss es gelingen, die bestehenden Finanzierungsformen so effektiv zu machen, dass der Banker vor Ort wieder sagen kann, den Mann oder die Frau kenne ich, die Idee hat eine Zukunft und ich kann einen Kredit von 20000 Euro geben, ohne dass ich riskiere, einen auf den Deckel zu bekommen, weil die ein oder andere Sicherheit buchhalterisch nicht erfüllt ist. Diese Freiräume müssen wir wieder eröffnen, sonst kann das nicht funktionieren.
??: Nun sagen Inhaber von aktiven und innovativen Kleinbetrieben, es dauere ungefähr zehn Jahre, bis die Politik ihre Ideen aufgreift. Ideen zum Umgang mit Mutterschutz, dem Jahresarbeitszeitkonto...
Oder das Beispiel des chinesischen Tischlers in einem bayerischen Betrieb, der als Angestellter in acht Jahren zwei neue Maschinen entwickelt hat, an denen Arbeitsplätze hängen, und der nun ausreisen soll, weil es genügend hiesige Tischler gebe. Wann, Herr Fücks, haben Sie sich das letzte mal in Kleinbetrieben schlau gemacht? Was außer Erklärungen geht in den Niederungen des Alltags?“
Fücks: Die Böll-Stiftung als Institution politischer Bildung kooperiert nicht unmittelbar mit Kleinunternehmen. Wenn, dann haben wir mit den Verbänden zu tun oder mit den Industrie- und Handelskammern. In Berlin existiert ein gemeinsames Innovationsprojekt mit der IHK, wie man die Stadt auf dem Feld der Wissensökonomie voran bringen kann, bis hin zu Fragen der aufenthaltsrechtlichen Bedingungen für qualifizierte Migranten, damit diese nicht unter dem Vorwand des Inländervorrangs wieder aus dem Betrieb herausgekegelt werden, in den sie sich gerade gut eingefädelt haben.
Der Wirtschaftsausschuss des Bundestages hat im übrigen gerade Beschlüsse gefasst, die innovativen Kleinunternehmen besseren Zugang zu Risikokapital eröffnen sollen. 500 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln sollen in einem Fonds von Bundesregierung und europäischer Investitionsbank in den nächsten fünf Jahren bereitgestellt werden, um damit Risikokapitalfonds anzubahnen...
??: ... die dann wiederum von Mittelbetrieben abgefasst werden!
Fücks: ... deshalb müssen sich die Kleinunternehmen besser vernetzen, um von solchen Programmen was zu haben.
Eine andere Sache ist der Abbau von Bürokratie, den Gottfried Härle angesprochen hat, ebenso die Finanzierung der Sozialkassen und der relativ hohe Anteil von Lohnnebenkosten, die gerade für die kleinen, arbeitsintensiven Unternehmen eine Bürde sind....
Härle: Das Stichwort Arbeitskosten ist ganz wichtig. Weil gerade die hohen Lohnnebenkosten kleine Betriebe proportional wesentlich höher belasten als Großbetriebe. Doch es sind ja nicht nur die Lohnnebenkosten. In der Baubranche sind es ja noch viele Zusatzkosten in Form von Sozialkassen, die in guten Zeiten aufgebaut worden sind und einen immensen Verwaltungsaufwand erfordern. Auch muß am Arbeitsmarkt das Thema Kündigungsschutz angesprochen werden. Dass das in Deutschland ein Tabuthema ist...
Fücks: ... nicht mehr wirklich...
Härle: ... das weiß ich. Aber ich halte den Kündigungsschutz in größeren Betrieben für durchaus richtig in der jetzigen Form. Ich sage das immer bewusst, bevor ich einen Vorschlag unterbreite, wie das bei Kleinbetrieben geändert werden müsste. Es geht nicht darum, die Schutzrechte abzubauen, sondern darum, praktikable Lösungen zu finden, wie speziell in Kleinbetrieben das Problem von Mitarbeiterfluktuation gelöst werden kann. Der Vorschlag von UnternehmensGrün sieht so aus, dass das, was bei entsprechender Auslegung schon jetzt mit Zeitarbeitsverträgen möglich ist, innerhalb der ersten zwei Jahre generell möglich wird. Also, dass bei Kleinbetrieben bis zu 20 Mitarbeitern der Kündigungsschutz erst nach zwei Jahren voll greift. Das wäre ein Lösung. Eine weitere wäre, dass bereits im Arbeitsvertrag Abfindungsregelungen vereinbart werden können, statt später langwierige Gerichtsprozesse zu führen, die Kleinbetriebe ausbluten. Da müssen wir ran und praktikable Regelungen finden, die der Handwerksmeister oder Ingenieur auch ohne Anwalt handhaben kann.
??: Herr Härle, welches Ziel soll Rot-Grün kurzfristig erreichen?
Härle: Da bin ich ganz pragmatisch. Die Finanzierung ist die Achillesferse. Der Zugang zu Krediten muss für kleine Unternehmen konkret erleichtert werden. Dazu liegt der Schlüssel eindeutig beim Bundesaufsichtsamt für Finanzen. Mittelfristig geht es um Arbeitsrecht und Lohnnebenkosten, was sich aber nicht von heute auf Morgen lösen lässt.
??: Herr Fücks, erwarten Sie von einem ökologisch orientierten Unternehmensverband nur Schmusen oder verlangen Sie mehr?
Fücks: Sie haben Recht, wenn Sie die Konvergenz von Ökonomie und Ökologie ansprechen. Natürlich ist die Kombination von Unternehmertum und Ökologie genau das Pfund, mit dem die Grünen in der wirtschaftspolitischen Debatte wuchern können: Ökologie, das stellt sich ja zunehmend heraus, ist keine Wachstumsbremse, sondern eine zentrale Quelle für Innovationen und Beschäftigung. Von den Unternehmen erwarte ich eine stärkere Netzwerkbildung, eine stärkere Kooperation, wenn es darum geht, stärker teilzuhaben an Innovationsförderung, Risikokapital, EU-Programmen und so fort. Ich würde wieder mehr auf Genossenschaften zu setzen. Sie sind eine sehr zukunftsfähige Wirtschaftsform. Das sieht man auch im Osten Deutschlands, wo ja die Strategie der nachholenden Modernisierung gescheitert ist, die vor allem auf große Unternehmen gesetzt hat.
??: ... und wo vor 12 Jahren genau diese Strukturen, statt sie zu reformieren, zerschlagen worden sind.
Das Gespräch wurde geführt von Andreas Küstermann, www.ostseh.de
© ostSeh.de / andreas küstermann
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