Welchen Preis hat ein stabiles Klima?

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Konferenz am 11./12. Mai 2007 in Berlin

19. März 2008
Eröffnungsrede von Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
  
Lieber Herr Görres,
sehr geehrter Damen und Herren,
ich freue mich sehr, Sie im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung und des Fördervereins Ökologische Steuerreform zur Tagung „Welchen Preis hat ein stabiles Klima?“ begrüßen zu dürfen. Nachdem wir uns in vorherigen gemeinsamen Tagungen mit dem Förderverein Ökologische Steuerreform mit den klassischen Instrumenten von Steuern und Subventionen befasst haben, kommt nun das relativ neue Instrument des Emissionshandels auf die Tagesordnung.
Am 13. Oktober 2003 wurde die EU-Emissionshandels-Richtlinie verabschiedet. Sie ist ein Kernstück der europäischen Strategie gegen den Klimawandel und schuf den weltweit größten Markt für CO2-Emissionsrechte. Klimapolitiker setzen große Hoffnungen auf dieses Instrument. Die handelbaren Emissionszertifikate sollten dafür sorgen, dass  Klimaschutzmaßnahmen dort getätigt werden, wo mit dem eingesetzten Geld der größte ökologische Nutzen erzielt wird. Es handelt sich also um ein marktkonformes Instrument, das auf größtmögliche Kosten-Nutzen-Effizienz zielt.
Was ist die Logik dieses Instruments? Das Ökosystem unseres Planeten kann nur noch eine sehr begrenzte Menge an CO2 aufnehmen, wenn der Klimawandel nicht völlig außer Kontrolle geraten soll. Die Fähigkeit der Atmosphäre, der Meere und Wälder zur Absorption von CO2 ist begrenzt. Bisher konnte dieses natürliche Potential der Neutralisierung von CO2-Emissionen kostenlos genutzt werden, und es wurde gnadenlos übernutzt. Die Nutzung dieses freien Guts sollte deshalb verknappt werden. Das geschah für einen bestimmten Sektor der Wirtschaft in Europa, nämlich für die größeren Anlagen der Energiewirtschaft und die energieintensiven Industrien. Sie dürfen seit Beginn des Emissionshandels nicht mehr unbegrenzt emittieren, sondern benötigen dafür Lizenzen.

Mit der Verknappung von Emissionsrechten wurden Werte geschaffen: Für die Jahre 2005 bis 2007 repräsentieren die ausgegebenen Emissionsrechte von rund 6500 Millionen Tonnen CO2 bei einem angenommenen Durchschnittspreis von zwanzig Euro pro Tonne einen Gegenwert von ca. 130 Milliarden Euro. Keine kleine Summe. Die Verteilung dieser kostenlosen, aber geldwerten Emissionsrechte an die einzelnen Emittenten überlässt die EU den Mitgliedsstaaten im Rahmen der „Nationalen Allokationspläne (NAP)“. Selbst die Gesamtmenge der verteilten Emissionsrechte wird nicht zentral vorgegeben: eine Lizenz zum Gelddrucken und -verschenken. Wen wundert’s, dass in allen Mitgliedsstaaten heftige Verteilungskämpfe unter den Emittenten ausbrachen. Bei diesen Kämpfen gibt es vier Opfer.
Erstens das Klima. Denn die Konkurrenz der Lobbyisten, zwischen Stahlindustrie, Kohleverstromern, chemischer Industrie und Zementwerken wurde in Deutschland wie in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten anfangs dadurch gelöst, dass die Gesamtmenge der ausgegebenen Emissionszertifikate erhöht wurde. Dadurch werden die in Kyoto vereinbarten Klimaschutzziele immer schwerer erreichbar.
Am Ende werden viele europäische Staaten zur Einhaltung ihrer Kyoto-Verpflichtungen Emissionsrechte mit Steuergeldern international zukaufen müssen, weil sie ihren eigenen Industrien diese Rechte im Übermaß verschenkt haben. Deshalb sind die Steuerzahler der zweite Verlierer dieser Regelung.
Verlierer Nummer 3 sind die Stromverbraucher, die einzelnen Bürger, aber auch die Strom verbrauchende Industrie. Denn die Stromerzeuger können den Wert der Emissionszertifikate, die sie zur Stromerzeugung brauchen, auf die Verbraucher abwälzen – die Strompreise steigen, obwohl die Emissionszertifikate verschenkt wurden. Dadurch entstehen milliardenschwere Mitnahmegewinne ohne entsprechende Gegenleistung der Unternehmen.
Das hat zu viel Empörung geführt, inklusive einer Beschwerde beim Bundeskartellamt. Allerdings handeln die Stromversorger hier durchaus legal und rational: Da sie die Emissionszertifikate ja auch verkaufen könnten, anstelle sie zur Stromerzeugung einzusetzen, muss jede erzeugte Kilowattstunde auch den Wert dieser Zertifikate beim Verkauf einbringen. Das Problem ist nicht die Einpreisung – das Problem ist die kostenlose Vergabe der Emissionsrechte.
Das vierte Opfer ist die dringend notwendige ökologische Innovation. Die nationalen Allokationspläne wurden in Deutschland vor allem dazu genutzt, die klimaschädliche Braun- und Steinkohle mit Emissionsrechten zu subventionieren. Die Zuteilung „nach Bedarf“ führte den Innovationsanreiz, die Förderung klimafreundlicher Technologien, ad absurdum. Denn je klimafeindlicher die Anlage, desto mehr geldwerte Emissionsrechte werden vom Staat an die Anlagenbetreiber verschenkt. Kohlekraftwerke bekommen mehr als Gaskraftwerke, und Windkraftwerke bekommen gar nichts. Ein Anreiz für den ökologischen Strukturwandel sieht so nicht aus.
Im Herbst 2007 kommt die Reform der Emissionshandelsrichtlinie für die Jahre nach 2012 auf die Tagesordnung: Das ist eine willkommene Chance, dieses Instrument grundlegend zur reformieren.
Über mögliche Eckpunkte einer solchen Reform wollen wir hier mit Ihnen diskutieren. Wir wollen die Erfahrungen mit verschiedenen ökonomischen Instrumenten des Klimaschutzes auswerten, neue Ansätze diskutieren, die Einbeziehung des Verkehrssektors behandeln und schließlich am Ende die Frage stellen: Kann der Markt das Klima retten?
Vorläufig würde ich diese Frage mit einem kräftigen „Ja, aber“ beantworten wollen. Denn ob und wieweit der Markt Klimaschutz befördert, hängt entscheidend von den Rahmenbedingungen ab. Das gilt auch für die Wirkungen des Emissionshandels. Setzt die Politik die falschen Anreize, verpufft er wirkungslos. Es braucht also eine grundlegende Reform des Emissionshandels. Bei einem Preis von unter einem Euro pro Tonne CO2, wie aktuell, kann der Emissionshandel nicht funktionieren.
Wir sollten uns keine Illusionen machen: Der Emissionshandel in Europa ist auch der zentrale Testfall für einen marktwirtschaftlichen Umweltschutz. Wer an die innovative Kraft von Märkten glaubt, muss sich dafür einsetzen, dass die Politik ihre Hausaufgaben macht und die Weichen in Richtung Nachhaltigkeit stellt.
Ich werde leider aufgrund multipler Verpflichtungen heute und morgen nicht die ganze Tagung anwesend sein können. – Wir haben parallel eine internationale Tagung zur Zukunft des europäischen Verfassungsvertrags; aber mit unserem Ökologiereferenten Jörg Haas ist die Stiftung hier sehr gut vertreten. Er ist jederzeit für Sie ansprechbar.
Danken möchte ich insbesondere unserem Kooperationspartner vom FÖS, insbesondere seinem Geschäftsführer Christian Meyer. Ich wünsche uns allen eine lebhafte Tagung mit intensiven Diskussionen und vorwärtsweisenden Ergebnissen. Vielen Dank!

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.