Spielstand #3 - Es lebe die Bohème?

Lesedauer: 6 Minuten

25. März 2008

„Lebe wild, prekär und gefährlich“

Nicht nur die Erwerbsarbeit, auch das Nachdenken über sie unterliegt gewissen Konjunkturen. Während Ende der neunziger Jahre die Gründungseuphorie der New Economy mit den Entgrenzungsphantasien des globalisierten Managements zusammentraf, waren die nuller Jahre bislang das Jahrzehnt einer kritischen Bestandsaufnahme und vorsichtigen Neuverortung. Man redet nun wieder verstärkt über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den sozialen Ausschluss von Arbeitslosen oder die Prekarisierung in vormals gesicherten, akademischen Milieus. Eine alte Utopie, die des bedingungslosen Grundeinkommens, erhält durch die Transformation der Arbeitsgesellschaft neuen Auftrieb. Daneben formiert sich eine soziale Bewegung aus Solo-Selbstständigen, Projektemachern und Do-it-yourself-Unternehmern, die auf institutionelle Garantien nicht mehr vertraut und stattdessen daran geht, alternative Verwirklichungsmodelle von Leben und Arbeit in die Tat umzusetzen.

m 2. Mai 2007 lud die Heinrich-Böll-Stiftung zum Spielstand #3 in die Berliner Sophiensæle, um unter dem Titel „Es lebe die Bohème? Neue Arbeit und kreatives Leben“ über die ambivalente Situation in den Kulturberufen zu diskutieren.  Gesprächsteilnehmer waren Holm Friebe, Adrienne Goehler, Melissa Logan und Christiane Schnell. Moderiert wurde die Diskussion von Jan Engelmann, Kulturreferent der Heinrich-
Böll-Stiftung. Wir dokumentieren die Veranstaltung in gekürzter Form.

Die Teilnehmer
    
Holm Friebe gründete 2002 in Berlin mit Freunden die virtuelle Universalfirma Zentrale Intelligenz Agentur. Zuletzt erschien von ihm, zusammen mit Sascha Lobo, das vielbeachtete Sachbuch, „Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“.

Adrienne Goehler wurde nach dem Zusammenbruch der Großen Koalition in Berlin 2001 Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur im Rot-Grünen Übergangssenat. Heute arbeitet sie als freie Publizistin und Kuratorin.

Melissa Logan gründete zusammen mit der gebürtigen Münchnerin Kiki Moorse Chicks on Speed, ein situationistisch beeinflusstes Kunstkollektiv im Gewand einer Electroclash-Girlband, das sich schnell einen internationalen Namen machte.

Christiane Schnell arbeitet am Institut für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen. In zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen hat sie sich mit den spezifischen Rahmenbedingungen künstlerischer Existenz aus professionssoziologischer Sicht auseinandergesetzt.

Johannes Raether ist der künstlerische Sidekick. Während der Diskussion erstellt er eine Art visuelles Protokoll und nimmt damit gleichsam eine kommentarische Funktion ein.

 

Die besten Fragen und Antworten zusammengefasst

Die vollständige Dokumentation können Sie hier herunterladen.

Jan Engelmann: Adrienne, bei dir hat es ja mal ein Angestelltendasein gegeben, es hat eine kurze, heftige Liaison mit der Politik gegeben, mit zahlreichen Kollateralschäden. Jetzt bist du in einer Situation, in man schon Schwierigkeiten hat, Dich adäquat anzukündigen. Ist sie nun Publizistin, ist sie Kuratorin, ist sie Spin-Doktorin?

Adrienne Goehler: Nach dem regulierten Dasein als Hochschulpräsidentin mit Rentenanspruch, dreizehntem Monatsgehalt und Sommerurlaub hat sich in Berlin alles verändert. Das Leben, über das ich im Buch „Verflüssigungen“ theoretisch berichte, lebe ich heute praktisch. Ich finde es zwar nicht nur spaßig, aber interessant. Ich lebe wild, prekär und gefährlich. Ich muss eigentlich immer supergesund leben, damit ich nicht meine freiwillige, überall eingesetzte, entgrenzte Arbeitskraft wie eine Perle vor mir hertrage. Das ist Teil der Realität. Aber es setzt ganz andere Möglichkeiten frei, Ich nähere mich aus einem anderen Blickwinkel und komme durchaus zu ähnlichen Schlüssen, auch wenn noch andere Wege für mich relevant sind.

Jan Engelmann: Holm, man muss doch bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um sich so ein Projektemachertum zuzutrauen. Hast Du den Eindruck, dass man sich mittlerweile viel einfacher zu dieser Lebensweise bekennen kann?

Holm Friebe: Es wird besser, aber es ist immer noch nicht gut. Und es muss noch sehr viel besser werden, damit es gut wird. Als wir das Buch konzipiert haben, gab es großen Katzenjammer mit über fünf Millionen Arbeitslosen. Es war ein bisschen wie bei der Reise nach Jerusalem. Alle rannten die ganze Zeit von Praktikumsplatz zu Praktikumsplatz und niemand fand mehr einen Arbeitsplatz. Jetzt, wo die Konjunktur anzieht und die Wirtschaft wieder einatmet, wird es spannend: Viele Branchen müssen sich jetzt vergewärtigen, dass es viele Leute gibt, die sie dringend brauchen könnten, die aber dem Arbeitsmarkt nicht mehr zu Verfügung stehen, weil sie mittlerweile irgendetwas anderes gefunden haben oder in eine andere Richtung streben. Die Zeiten, etwas zu probieren, werden einfach besser.

Jan Engelmann: Unterliegt solch eine Diagnose nicht auch einer gewissen Konjunktur? Ich denke daran, dass ein Geschäftsfeld wie Holm es betreibt, vor zehn Jahren wahrscheinlich undenkbar gewesen wäre. Keiner konnte von Beginn an die Auswirkungen des Internets auf Vertriebsstrukturen, auf die Art und Weise wie Wissen und Informationen geteilt werden usw., wirklich vorhersehen. Und genauso denkbar wäre eine Art neoindustrielles Wunder.

Adrienne Goehler: Richard Florida ist überzeugt, dass alles, was wir uns ausdenken, gar nichts nützt, solange in der Politik, der Verwaltung und den Medien Hornochsen sitzen. Wir brauchen auch in diesen Bereichen Kreative, die an alternativen Problemlösungsmöglichkeiten arbeiten. Es gibt tatsächlich nur zwei Bereiche, in denen bisher Kreativität gefragt ist – in den ökologischen Fragen wird sich jetzt noch mal dramatisch etwas ändern. Im Prozess der Globalisierung in Hochpreisländern werden weder neue Massenarbeitsplätze entstehen, noch wird es Vollbeschäftigung geben. Alle wissen das, nur die Politiker leugnen es. Ich glaube keineswegs daran, dass wir konjunkturelle Schwächen überwunden haben. Es wäre sehr schön, wenn sich Politik der Realität stellen würde.

Jan Engelmann: Melissa, als Du in den 80er Jahren angefangen hast, Kunst zu studieren, gab es noch andere ökonomische Rahmenbedingungen und vielleicht auch andere Erwartungen. Hattest Du bereits in der Ausbildung die Vision, von der Kunst mal zu leben oder gab es einen versteckten Plan B?

Melissa Logan: In Amerika gilt die Regel, dass zwei Prozent der Absolventinnen und Absolventen an Kunsthochschulen solch einen Erfolg haben, dass sie davon leben können. Keine Ahnung was die anderen 98 Prozent machen – Verwaltung, Putzen oder Taxi fahren? In Deutschland sah es zunächst viel besser aus, bis wir gemerkt haben, dass an der Kunstakademie überhaupt keine Frauen waren. Wir sind strategisch in die Popmusik reingegangen. Dabei hatten wir die Idee, durch die Hintertür reinzukommen. Wir wussten über die Macht der Medien und dass Kunstvereine und Leiter die Presse brauchen. Das haben wir ausgenutzt. Platten zu machen ist jetzt kein Geschäft mehr. Um zu veröffentlichen, zahlen wir bei unserer Plattenfirma drauf. Unser Geld verdienen wir durch Sponsoring: Wir arbeiten für Telecom in Malaysia, haben komischerweise einen Regierungsauftrag von einer Partei in Albanien und noch Verschiedenes mehr. Jan Engelmann: Christiane, was war die Achillesferse des „alten“ Regulationsmodells der Kulturberufe? Vielleicht die Marktferne?

Christiane Schnell: Die entscheidende Frage ist, wie gut du dich in dem Markt bewegst bzw. ob du den Markt von der Erfolgs- oder der instabilen Seite betrachtest. Das Regulationsmodell in Kulturberufen hat ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit geliefert. Es basierte darauf, dass die Kultur als kleine Nische oder als Subventionsbereich ein Stück weit vom Zugriff des Marktes entfernt war. Durch die ökonomische Entwicklung des Kultursektors ist die Bindekraft in diesem institutionellen Arrangement immer geringer geworden. Ungnädig daran ist, dass es dir sehr gut damit geht, solange du dich erfolgreich in diesen Strukturen bewegst. Wenn das aber nicht der Fall ist, funktioniert es nicht mehr. Hier wird interessant, welche gesellschaftlichen Sicherungen dann greifen.
   
   

Die vollständige Dokumentation können Sie hier herunterladen.

Transkription: Gudrun Baltissen
Überarbeitung: Anika Duveneck

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