G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm
Von Rainer Falk und Barbara UnmüßigDie deutsche G8-Agenda und die bislang durchgesickerten Entwürfe für die Abschlusserklärungen von Heiligendamm sind voller Worthülsen: Wachstum und Verantwortung, soziale und nachhaltige Gestaltung der Globalisierung und natürlich faire Partnerschaften mit dem Rest der Welt. Das klingt gut, und zuweilen scheint es, die Bundesregierung wolle es allen recht machen. Doch dieser Eindruck täuscht. Der nicht zuletzt in Sicherheitsaspekten gigantische Aufwand und der weltwirtschaftliche und entwicklungspolitische Ertrag dieses Gipfels stehen in keinem Verhältnis.
Die deutsche G8-Präsidentschaft hätte sich durchaus Verdienste bei der Reform der G8 selbst erwerben können. Denn längst stehen die Zeichen für eine gründliche Reform der globalen Gipfelarchitektur, die die wirklichen wirtschaftlichen Relationen in der Welt widerspiegeln muss. Doch Bundeskanzlerin Merkel hat sich mehrfach höchstpersönlich gegen eine Öffnung des exklusiven Klubs der G8 ausgesprochen. Alle Vorschläge für eine Erweiterung, sei es auf eine G13 oder eine G 20, geschweige denn auf einen wirklich repräsentativen Weltwirtschaftsrat im Rahmen der Vereinten Nationen, wurden von der Bundesregierung abgeschmettert. Vielleicht ist das die größte verpasste Chance von Heiligendamm.
Hinzu kommt: Bewusst wollte die Bundesregierung andere Schwerpunkte setzen als die britische Regierung vor zwei Jahren in Gleneagles, die sich mit neuen Hilfsversprechen für Afrika und dem Schuldenerlass für die ärmsten Länder vor allem entwicklungspolitisch profilieren wollte. Einzig beim Klimathema gibt es Überschneidungen zwischen der britischen und der deutschen G8-Präsidentschaft. In Abgrenzung zu den Briten wollten die deutschen den G8-Gipfel thematisch wieder auf ihren weltwirtschaftlichen Kern zurückzuführen. In der Afrikapolitik sollten die Akzente zugunsten der privaten Wirtschaftsförderung liegen statt auf „Hilfe“.
Die inzwischen bekannt gewordenen Textentwürfe für Heiligendamm zeigen jedoch, dass im G8-Kontext immer weniger Einigkeit über Prioritäten und Wege der weltwirtschaftlichen Regulierung besteht. Umso ausführlicher und detaillierter geraten indessen die Predigten gegenüber den Entwicklungsländern, denen ein gleichberechtigter Platz bei der Gestaltung der Globalisierung immer noch verwehrt wird. Der sog. O5-Outreach, also der Versuch, Brasilien, Indien, China, Südafrika und Mexiko teilweise mit ins Boot zu holen, oder einige afrikanische Führer zu einem Mittagessen an den Katzentisch zu laden, leistet dies sicherlich nicht.
Überhaupt hat die Bundesregierung mit den beiden Themen „Investitionsfreiheit/Kampf gegen den Investitionsprotektionismus“ und „Schutz geistigen Eigentums“ mit fast traumwandlerischer Sicherheit zwei Bereiche ins Zentrum des Heiligendamm-Gipfels gerückt, die eindeutig gegen den Süden gerichtet sind und ein hohes Konfliktpotential zwischen Nord und Süd bergen. Schon zweimal ist der Norden bravourös mit dem Versuch gescheitert, den Schutz privater Investitionen stärker international zu verankern. Das erste Mal in der nordlastigen OECD, wo die Verhandlungen über ein Multilaterales Investitionsabkommen (MAI) schon vor Jahren abgebrochen werden mussten. Das zweite Mal in der WTO, als die Entwicklungsländer darauf bestanden, das Thema Investitionen von der Agenda zu nehmen.
Nicht weniger konfliktträchtig zwischen Nord und Süd ist der angestrebte „geistige Eigentumsschutz“. Der Kampf gegen die Imitation nördlicher Produkte ist hier nur ein vordergründiger Aspekt. Statt einseitig die Interessen der „Wissensbesitzer“ (= der Industrieländer) zu fördern, wäre eine andere Balance zwischen Schutz und Weiterverbreitung von Know-how und Technologien erforderlich. Wenn es um die soziale Gestaltung der Globalisierung geht, sollte nicht der globale Schutz von Innovationen, sondern die möglichst optimale Verbreitung von relevantem Wissen zur Lösung von Problemen Vorrang haben, sei es im Klimaschutz (Technologien für Erneuerbare Energien), sei es im Kampf gegen HIV/Aids u.a. Massenkrankheiten (Generika, kostengünstige Medikamente, öffentliche Forschung).
Was die entwicklungspolitischen Akzente im engeren Sinne angeht: Nichtregierungsorganisationen und Künstler kritisieren zu Recht, dass der deutschen G8-Agenda eine nüchterne Zwischenbilanz der bislang eingegangenen G8-Verpflichtungen fehlt. Eine solche Überprüfung der bisher zugesagten Entwicklungshilfe, des Schuldenerlasses und des entwicklungsverträglichen Abschlusses der WTO-Runde wäre aber gerade im Jahr 2007 bitter notwendig. Schon Mitte Juli – nur einen Monat nach Heiligendamm – ist der Stichtag für die Halbzeit bei der Verwirklichung der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) der Vereinten Nationen. Und alle Untersuchungen zeigen, dass die G8 2007 sehr weit davon entfernt sind, den selbst zugesagten Beitrag bis 2015 zu leisten.
Wenn man einmal davon absieht, dass die Bundesregierung den G8-Gipfel möglicherweise nutzen wird, um publizitätsträchtig eine kräftige Erhöhung ihrer eigenen, bilateralen Entwicklungshilfe anzukündigen, zeichnen sich für Heiligendamm nunmehr einige gemeinsame Kleininitiativen der G8 ab, etwa Finanzmittel für den Kampf gegen HIV/Aids oder ein neuer Fonds für Mikrokredite in Afrika. Für sich genommen ist gegen solche Initiativen nichts zu sagen, im G8-Kontext können sie jedoch zu Recht als „schädliche Ablenkungsmanöver“ – so die UN-Sonderbeauftragte für die Millenniumskampagne Eveline Herfkens – gesehen werden. Ablenkungsmanöver deshalb, weil mit ihnen wahrscheinlich kein Geld fließen wird, das nicht ohnehin schon zugesagt worden wäre, also lediglich ein publikumswirksames Recycling stattfindet. Und schädlich, weil die Vervielfachung von Programmen und Projekten jenem Ziel der Verbesserung der Qualität der Hilfe entgegen steht, das mindestens genauso wichtig ist wie ihre quantitative Erhöhung.
In puncto Afrika wird deutlich, wie sehr die Bundesregierung den Fokus von öffentlichen Hilfsprogrammen auf den Privatsektor verschieben will, indem sie so genannte Good Governance und die Schaffung eines wirtschaftsfreundlichen Investitionsklimas in den Vordergrund stellt. Auch hier gilt, dass gegen den Anstoß produktiven Wirtschaftswachstums auf dem Kontinent nichts einzuwenden wäre. Vor allem braucht Afrika eine zügige Diversifikation seiner lokalen Ökonomien. Aber gemessen an dieser Herausforderung greift der Investitionsklima-Ansatz entschieden zu kurz. Die meisten privaten Investitionen aus dem Ausland fließen derzeit ohnehin in die Rohstoffausbeutung. Afrikas Ökonomien sind inzwischen wieder abhängiger denn je, ohne dass mit den Rohstoffexporteinnahmen eine nennenswerte Entwicklung angestoßen würde.
Die G8-Agenda von Heiligendamm ist jedenfalls keine, die Vertrauen schafft, um globale Probleme kooperativ zu bearbeiten. Das gilt erst Recht für den Klimaschutz. Hier könnte der Gipfel sogar zum Fiasko werden. Das wäre selbstredend nicht der Bundesregierung alleine anzulasten. Hier spielt Berlin sogar mutig mit hohem Einsatz. Es ist die US-Regierung, die Kanzlerin Merkel, wie schon Finanzminister Peer Steinbrück beim Thema „Hedgefonds“, ins Leere laufen lässt. Bislang hat die US-Regierung alle Passagen aus dem G8-Deklarationsentwurf streichen lassen, die auf eine Einigung auf Klimaschutzziele hinaus laufen könnten. Nicht einmal, dass im Kontext der Klimarahmenkonvention verhandelt werden soll, akzeptieren die USA. Deshalb muss die Kanzlerin die Linie aufgeben, die sie klimapolitisch zur Geisel der Amerikaner macht.
Die Klimadeklaration von Heiligendamm sollte sich nicht scheuen, die US-Regierung auszuschließen. Es sind auch Formulierungen denkbar wie „Diejenigen unter uns, die das Kyoto-Protokoll unterschrieben haben, wollen konsequente Schritte weitergehen ...“ Schließlich hat sich die Bush-Administration nicht nur international, sondern längst vom eigenen Volk isoliert. Es gilt allerdings auch, andere G8-Mitglieder wie Kanada, Russland und Japan von der Dringlichkeit des Klimaproblems zu überzeugen.
Wenn sich der ganze Gipfelaufwand überhaupt noch lohnen sollte, dann sollte Kanzlerin Merkel den Konflikt riskieren. Der Gipfel wird als gescheitert gelten müssen, wenn nicht wenigstens die Einigung auf das 2-Grad-Ziel die Dringlichkeit des Handelns unterstreicht und die Industrieländer sich zu ihren Klimapflichten bekennen. Heiligendamm muss im Klimaschutz ein starkes Signal für die im Dezember in Bali beginnende Verhandlungsrunde für weitere Reduktionsziele aussenden. Und: Ohne Glaubwürdigkeit der Industrieländer werden wir noch lange auf ein Einlenken der Schwellenländer für mehr Klimaschutz warten müssen.
Barbara Unmüßig ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung
Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung