Don’t trade away our future

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Die Heinrich-Böll-Stiftung und die WTO-Ministerkonferenz in Cancun

26. März 2008
Von Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

Globalisierung ist kein Monopol der Marktradikalen. In Cancún wird sich erneut eine globale Bewegung treffen, die dies beweist! Ihr grundlegendes Ziel ist es, menschliche Entwicklung und Naturerhalt ins Zentrum politischen und wirtschaftlichen Handelns zu stellen. Über die Wege dahin gibt es unterschiedliche Ansichten. Hierfür einen produktiven Streitraum zu schaffen und Spielräume für gemeinsames Handeln zu eröffnen, ist das wesentliche Ziel der Heinrich-Böll-Stiftung in Cancún.

Die Suche nach Rohstoffen und Absatzmärkten treibt schon seit Jahrhunderten Menschen und Unternehmen über Ländergrenzen. Doch erst in den letzten Jahrzehnten wurde eine internationale Wirtschaftsordnung geschaffen, die es jedem erlauben soll, an jedem beliebigen Ort Produkte anzubieten, herzustellen und zu erwerben. Diese raumgreifende Liberalisierung von Handel, Investitionen und Dienstleistungen hat tiefe gesellschaftspolitische Spuren hinterlassen. Mit den sozialen, ökologischen, politischen und kulturellen Folgen dieser Form der Globalisierung befasst sich die Heinrich-Böll-Stiftung seit langem. Der Doktrin des grenzenlosen Freihandels setzen wir als der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahestehende politische Stiftung soziale und ökologische Werte und Prinzipien entgegen: Nord-Süd Gerechtigkeit, Bewahrung kultureller und biologischer Vielfalt, Zukunftsfähigkeit wirtschaftlichen Handelns, Universalität der Menschenrechte sowie demokratische Teilhabe auf allen Entscheidungsebenen.

Durch unsere Arbeit thematisieren wir auf verschiedenen Wegen die Verantwortung der Industrieländer - besonders Deutschlands und der Europäischen Union - für eine ungerechte Welthandels- und Finanzmarktordnung. Gleichzeitig unterstützen wir zivilgesellschaftliche Organisationen und Netzwerke in zahlreichen Staaten des Südens und Osteuropas, um deren Vorstellungen und Engagement für eine gerechte, zukunftsfähige Entwicklung in ihren Ländern zu fördern. Die Heinrich-Böll-Stiftung ist dafür mit 22 Auslandsbüros auf allen Kontinenten als Dialogpartner vor Ort präsent. Zur Erreichung ihrer Ziele arbeitet sie in rund 150 Projekten mit  verschiedenen NGOs (Nichtregierungsorganisationen), WissenschaftlerInnen sowie politischen EntscheidungsträgerInnen aus Parlamenten und staatlichen Institutionen in über 60 Nationen zusammen.

Dieses weitgespannte Netz aus Projekt- und BündnispartnerInnen beteiligt sich seit mehreren Jahren auch aktiv an den Diskussionen rund um die WTO-Verhandlungen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf  den Landwirtschaftsverhandlungen (Agreement on Agriculture) sowie den kürzlich begonnenen GATS-Verhandlungen zur weiteren Liberalisierung von Dienstleistungen. Die Demokratiedefizite der WTO-Verhandlungen sowie das spannungsreiche Wechselverhältnis zwischen der WTO-Architektur und den multilateralen Umweltabkommen haben wir in verschiedenen Publikationen und Veranstaltungen rund um die Welt immer wieder ins Zentrum kritischer Auseinandersetzung gerückt. Ein Schwerpunkt der Stiftung liegt dabei auf Gender-Analysen, die positive und negative Auswirkungen der WTO-Politik betrachten. Durch Unterstützung und Kooperation mit PartnerInnen – ob in Südostasien oder Lateinamerika - liegen eine Reihe fundierter Studien zu den geschlechtsspezifischen und geschlechterrelevanten Folgen der Agrarliberalisierung und der Wasserprivatisierung vor. Die Stiftung hilft, geschlechter- und frauenpolitische Perspektiven in die Forderungen und Reformvorschläge nationaler und internationaler sozialer Bewegungen und NGOs hineinzutragen. 

Anläßlich der WTO-Ministerkonferenz in Cancún im September 2003 nimmt die Stiftung die dringend notwendige Diskussion um grundlegende Reformen der WTO auf. Dafür braucht es Orte der Begegnung, des Austausches und des produktiven Streits. Mit dem Boell-Forum bieten wir in Cancún einen solchen „Streit- und Dialograum“ an. Eine solche Form hat sich schon beim Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 als erfolgreich erwiesen, um Austausch und Vernetzung zwischen deutschen und europäischen Politikern, VertreterInnen verschiedener Basisbewegungen, lokaler und internationaler NGOs sowie RepräsentantInnen der Wirtschaft und multilateraler Organisationen zu ermöglichen. Gespräche im kleineren Rahmen einerseits und phantasievolle Aktionen sowie breite Mobilisierung andererseits sehen wir als komplementäre Strategien, wenn es darum geht, politische Reformen für mehr Nord-Süd-Gerechtigkeit und sozial-ökologische Zukunftsfähigkeit zu erstreiten. Deshalb suchen wir auch den direkten Dialog mit Regierungen und VertreterInnen der WTO und unterstützen Aktivitäten des „Forums der Völker“ in Cancún City.

Als grünnahe politische Stiftung verstehen wir uns als politische Akteurin, die Impulse gibt und als Ideenagentur für zukunftsorientierte Grundsatzfragen. Beispielhaft dafür ist das Jo’burg Memo „Fairness in a Fragile World“. Die enge Verknüpfung von ökologischen und sozialen Fragen ist das besondere Markenzeichen der Stiftung. Ökologische Fragen ebenso wie geschlechterpolitische werden allzu oft im Diskurs um die politische Gestaltung der Globalisierung außer acht gelassen. Die Stiftung als Teil eines internationalen Netzwerkes will   neben dem notwendigen Informationsaustausch zum Wissensaufbau zivilgesellschaftlicher Akteure und zur Diskussion um gesellschafts- und wirtschaftspolitische Alternativen zur gängigen Politik mit ihren negativen sozialen und ökologischen Folgen beitragen. Hier widmen wir uns besonders den geschlechter- und frauenpolitisch relevanten Folgen der GATS-Verhandlungen. Einen regelmäßigen Beitrag zum weltweiten Wissensaufbau von Frauen in makroökonomischen Themen leisten wir mit der 2003 gestarteten internationalen Sommerschule „Engendering Macroeconomics“.
Unsere Partnerinnen erwarten von uns als politischer Akteurin aber auch zu Recht, dass wir zu zentralen Fragen des WTO-Verhandlungsprozesses inhaltlich Position beziehen. Das tun wir kontinuierlich durch die Auswahl unserer KooperationspartnerInnen und unsere thematischen Akzente. So vermitteln wir zwischen unseren KooperationspartnerInnen und der deutschen Regierung, dem Bundestag, Wirtschaft, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft.

Mit den Cancún Regional Briefings möchten wir aus verschiedenen Regionen der Welt - in mindestens drei Sprachen – Englisch, Spanisch, Deutsch und in Teilen auch Russisch -  Informationen sowohl zu den Regierungspositionen als auch zu den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten aus der jeweiligen regionalen Perspektive bieten. Die thematischen Policy Papers zu Agrarliberalisierung, Wasser sowie Intellektuellen Eigentumsrechten werden hingegen kurz und bündig die Stimmen des Südens präsentieren.

Das Boell-Forum im Hotel Best Western Plaza Caribe, Tulum 13, in der Innenstadt Cancúns, liegt außerhalb der Hotelzone, in der die WTO-Verhandlungen stattfinden und nur akkreditierte Organisationen und die VerhandlerInnen Zugang haben. Diesen Ort für das Forum haben wir bewusst gewählt, denn: Unser Angebot für einen offenen Dialog zwischen NGOs, globalisierungskritischer Bewegung und VertreterInnen von Regierungen und internationalen Institutionen soll nicht durch Barrieren behindert werden.
Um den Dialog zwischen Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft auch im kleineren Kreis zu ermöglichen, bieten wir als Dialogreihe Boell Briefing Dinners  innerhalb der Hotelzone an. Diese Dinner werden die Schwerpunktthemen des Boell-Forums aufgreifen und in einem anderen Rahmen vertiefen.

Globalisierung ist kein Monopol der Marktradikalen. In Cancún können VertreterInnen von Regierungen, Wirtschaft, internationalen Institutionen und NGOs sich gemeinsam für globalen Wohlstand, eine menschliche Entwicklung und Naturerhalt engagieren. Nutzen wir diese Chance!

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht. 

Dieser Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

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