Nachdenken über Gender Mainstreaming. Bilanz eines radikalen gesellschaftspolitischen Konzepts zehn Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking

Lesedauer: 4 Minuten

Femme Globale - Nachdenken über Gender Mainstreaming

26. März 2008
von Barbara Unmüßig

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Auszug:

I. Was ist Gender Mainstreaming? – Das Konzept

Die UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 ist ein Meilenstein in der Geschichte der internationalen Frauenpolitik und war weltweit Auslöser für zahlreiche staatliche Initiativen für mehr Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Aktionsplattform von Peking (Bejing Action Platform) verkörpert einen historischen Konsens, der von 189 Staaten unterzeichnet wurde. Sie hält fest, dass:

  • Frauenrechte Menschenrechte sind,
  • Geschlechtergerechtigkeit ein konstituierendes Element von Demokratie ist und eine Grundvoraussetzung für soziale und ökologisch gerechte Entwicklung darstellt,
  • alle Länder sich zu systematischer und staatlicher Frauen- und Geschlechterpolitik verpflichten.

Mit der Pekinger Aktionsplattform wurde die Kategorie Gender erstmals in die internationale Politik eingeführt. Damit wurde anerkannt, dass Geschlechterrollen und -verhältnisse in soziale, politische, ökonomische und kulturelle Kontexte eingebettet sind. Sie variieren innerhalb und zwischen den verschiedenen Gesellschaften erheblich. Noch wichtiger festzuhalten ist jedoch: Geschlechterrollen in ihrer sozialen Bedingtheit unterliegen einem ständigen Wandel und sind veränderbar!

Mit dem Instrument des Gender Mainstreaming – als strategischer Ansatz in der Aktionsplattform von Peking verankert – sollen staatliche Institutionen, internationale Organisationen und Unternehmen stereotype Geschlechterrollen im privaten wie im öffentlichen Raum hinterfragen und im emanzipatorischen Sinne verändern. Gender Mainstreaming will explizit auf die Dynamik zwischen den Geschlechtern abzielen. Der Abbau von Ungleichheit und undemokratischen Verhältnissen zwischen den Geschlechtern soll deshalb nicht ausschließlich Frauen- sondern auch Männersache und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein.

„Regierungen und andere Akteure sollten eine aktive und sichtbare Politik der konsequenten Einbeziehung einer geschlechterbezogenen Perspektive in alle Politiken und Programme fördern, damit die Auswirkungen von Entscheidungen auf Frauen bzw. Männer analysiert werden, bevor entsprechende Entscheidungen getroffen werden.

„Governments and other actors should promote an active and visible policy of mainstreaming a gender perspective in all policies and programmes so that, before decisions are taken, an analysis is made of the effects on women and men, respectively." (UN 1995, para 202)

In Konsequenz bedeutet dies: Der Mythos der Geschlechterneutralität politischer und unternehmerischer Maßnahmen und Entscheidungen hat keinen Platz mehr! Kein Sektor – von der Finanz- und Steuerpolitik, über die Außen- und Sicherheitspolitik, bis hin zur Arbeitsmarkt-, Sozial- oder Verkehrspolitik darf demnach ausgeklammert werden. Gender Mainstreaming ernst zu nehmen bedeutet: Reflexion und Analyse der Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse müssen politischem, organisatorischem und unternehmerischem Handeln vorausgehen und auf mehr Geschlechtergerechtigkeit zielen. Zudem müssen alle gesellschaftlichen Strukturen, die Ungleichheit und stereotype Leitbilder für die Geschlechter (re)produzieren umgestaltet werden.

Gender Mainstreaming ist ein radikales Konzept, das Geschlechterverhältnisse verändern könnte, weil es potentiell alle Akteure und Akteurinnen in einem politischen Feld, einem Unternehmen, einer Organisation in die Pflicht nimmt.

10 Jahre nach Peking stellen sich jedoch zahlreiche Fragen:

  • Wie wurde dieses Konzept der Pekinger Aktionsplattform umgesetzt?
  • War es realistisch und angemessen, Gender Mainstreaming zum zentralen Vehikel eines umfassenden geschlechterpolitischen Transformationsanspruchs zu machen?
  • Wie können die Potenziale von Gender Mainstreaming genutzt werden?
  • Wo sind die Grenzen dieses Konzepts zu sehen?


desweiteren

:
  • II. Herausforderungen und Grenzen institutioneller Politik
  • Transformatorischer Anspruch und institutioneller Ansatz
  • Institutionen und (nicht) demokratische Verfasstheit politischer Systeme
  • Gender Wissen in Institutionen
  • III. Erfahrungen mit Gender Mainstreaming
  • IV. Strategische Entmischung

Heinrich-Böll-Stiftung, Barbara Unmüßig, Vorstand

Für die Mitarbeit und wesentliche Impulse und Anregungen danken wir ganz besonders Prof. Dr. Claudia von Braunmühl und Judith Strohm.

Für die Beratung und konstruktive Kritik bei der Erstellung des Textes danken wir: Ulrike Allroggen, Kerstin Ahrens, Henning von Bargen, Dr. Mechthild Bereswill, Angelika Blickhäuser, Dr. Regina Frey, Carolin Gebel, Gitti Hentschel, Prof. Dr. Stephan Hoeyng, Ralf Lange, Eduardo Liendro, Dr. Claudia Neusüß, Antonie Nord, Dr. Ralf Puchert, Dr. Birte Rodenberg, Teresa Rodriguez, Dr. Matthias Rudlof, Liane Schalatek, Ingrid Spiller, Willi Walter.

Diese Bilanz wurde erstellt mit der finanziellen Unterstützung des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht. 

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