Auf großes Interesse stieß der Vortrag des Leiters des Regionalbüros Arabischer Naher Osten der Heinrich-Böll-Stiftung, Joachim Paul, über aktuelle politische Entwicklungen und die Stiftungsarbeit in den arabischen Staaten am Abend des 28. März. Moderiert von Sylke Berlin von der Organisation für Menschenrechte in den arabischen Staaten e.V. (OMRAS), führte Joachim Paul in die aktuelle Geschichte vor allem Ägyptens ein und stellte die konkrete Arbeit im Stiftungsbüro in Ramallah vor.
Joachim Paul definierte das Ägypten Mubaraks als monarchische Republik, in der sich mit dem Versuch der Etablierung einer dynastischen Herrschaftsfolge große Unzufriedenheit entwickelt habe. Ägypten hat trotz eines starken Wirtschaftswachstums weite Bevölkerungsteile marginalisiert, politisch und wirtschaftlich. Viele Ägypter leben weit unter der Armutsgrenze und sind jeglicher Teilhabe beraubt. Der kurze „Kairoer Frühling“, der 2005 durch starken Druck der USA im Rahmen ihrer Demokratieoffensive zu verhältnismäßig freien Parlamentswahlen geführt hatte, zeigte keine nachhaltige Wirkung. Spätestens mit den Versuchen, Mubaraks Sohn Gamal als Nachfolger Mubaraks zu etablieren und mit den massiven Wahlfälschungen sei klar gewesen, dass sich der Unmut der Bevölkerung in irgendeiner Form seinen Weg suchen würde.
Die Bevölkerung Ägyptens ist insgesamt sehr jung, so dass mehr als die Hälfte aller Ägypter keinen anderen Herrscher als Mubarak gekannt hat. So sei klar gewesen, dass etwas passieren würde. Die Wucht der Ereignisse allerdings war nicht vorhersehbar. Dabei hat die Vernetzung der ägyptischen Jugend zur Rasanz der Entwicklung beigetragen. Durch die schon vorhandenen Beispiele auf Facebook und anderer online-Foren haben die Ägypter ganz konkret von den Tunesiern lernen können. Hier wurden praktische Tipps ausgetauscht, wie zum Beispiel anfahrenden Polizeifahrzeugen begegnet werden kann: Mit Farbe auf den Scheiben.
Einen zentralen Wendepunkt sah Joachim Paul in der Erstürmung der Staatssicherheits-Zentralen und der Auflösung der Sicherheitspolizei am 15. März. Die Geheimdienste (Mukhabarat) seien in den meisten arabischen Ländern die wahren Machtzentren und definierten die Beziehung zwischen Staat und Bürger. Dabei sei die Richtung der Entwicklung derzeit noch völlig unklar. Ob die Sicherheitspolizei tatsächlich aufgelöst und ohne Einfluss ist, sei nicht mit Sicherheit zu sagen. Womöglich operiere sie unter anderem Namen und an anderen Orten weiter.
Nach tunesischem Vorbild demonstrieren auch die Palästinenser und Jordanier, allerdings mit Abweichungen. Während in Tunesien und Ägypten der „Sturz“ (Isqat) des Regimes (Nizam) gefordert wurde, riefen die Jordanier nach „Reform“ (Islah) des Regimes. In den palästinensischen Gebieten lauteten die Slogans hauptsächlich Inha´ al Inqisam – Ende der Spaltung. Gemeint war damit die Spaltung der palästinensischen Gebiete in die Westbank unter der Regierung Salam Fayads und der Autonomiebehörde und des Gaza-Streifens unter der Hamas-Regierung.
Die regionale Stiftungsarbeit wird von Ramallah aus unter den erschwerten Bedingungen der israelischen Besatzung geleistet. So können Teilnehmer aus arabischen Ländern nicht oder nur sehr begrenzt an Veranstaltungen in den palästinensischen Gebieten teilnehmen. Seit 1999 hat die Stiftung aber trotz dieser Schwierigkeiten mit verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft in Ägypten und Jordanien enge Beziehungen geknüpft und Projekte, Konferenzen und andere Veranstaltungen organisiert oder mitgestaltet. Joachim Paul beschrieb zwei Beispiele der Arbeit in Ägpten. Das ägyptische Zentrum für die Rehabilitierung von Folteropfern (Nadeem Center) in Kairo sei ein Erfolg, ein weiterer die Unterstützung der Blogger- und Internetaktivisten-Szene.
Angesichts der Umbrüche in der arabischen Welt baut die Heinrich-Böll-Stiftung derzeit ein weiteres Büro mit Sitz in Kairo für die Arbeit in Ägypen und der Region auf. Das Büro in Ramallah wird als Länderbüro bestehen bleiben. Das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung im Libanon leistet eine ähnliche Arbeit in der Region.