Transnational organisierte Kriminalität: Grenzenlos Illegal

Schlafmohn, aus dem Opium oder Heroin gewonnen wird. Die illegalen Hauptanbaugebiete liegen in Afghanistan und Südostasien (goldenes Dreieck). Von da aus gelangen die Drogen in die ganze Welt. Foto: jon smith 'una nos lucor', Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-SA 2.0

8. Juni 2011
Annette von Schönfeld, Regine Schönenberg
Von Annette von Schönfeld und Regine Schönenberg

Sobald wir organisierte Kriminalität (OK) hören, läuft vor unserem inneren Auge ein ganz bestimmter Film ab, der sich seinerseits aus spektakulären Filmausschnitten, Krimipassagen und entsprechenden Pressemeldungen zusammensetzt. Sie scheint uns weit entfernt und für unseren Alltag nicht besonders relevant.

Organisierte Kriminalität gibt es schon lange. Aber der Fall der Mauer und der Niedergang des Sozialismus sowie eine neue Dimension der Globalisierung haben vor allem für die transnationale organisierte Kriminalität (TOK) neue Bedingungen geschaffen. Folgende Aspekte haben entscheidend dazu beigetragen:

  • Der Siegeszug einer ungehemmten Marktwirtschaft hat moralische Erwägungen des Handelns weitgehend außer Kraft gesetzt: Erlaubt ist, was geht und kurzfristig viel Geld bringt. Diese Grundhaltung hat zur Verwischung der Grenze zwischen Legalität und Illegalität maßgeblich beigetragen.
  • Die zahlreichen neuen, offenen Grenzen haben bestimmten TOK-Branchen logistische Vorteile gebracht, zum Beispiel dem Schmuggel und Handel mit verbotenen Gütern (Drogen, seltene Arten, Organe etc.); aber auch sich schließende Grenzen wie die Schengen-Außengrenzen der EU und die Südgrenze der USA haben die TOK beflügelt, besonders den Menschenhandel.
  • Die mit der Globalisierung einhergehende Privatisierung und Internationalisierung öffentlicher Aufgaben haben den Staat weltweit geschwächt. Besonders in der Phase, in der noch unklar ist, wie die Aufgaben neu verteilt werden, führt das zu Intransparenz und Regulationslücken, die von der TOK genutzt werden.
  • Die Expansion der internationalen Finanzmärkte und hierbei besonders die Zunahme und wachsende Geschwindigkeit von internationalen Geldtransfers begünstigen illegalen Handel und Geldwäsche.

Diese veränderten Bedingungen haben bei der TOK dezentrale Organisationsformen und Netzwerke mit vielen Köpfen geschaffen. Den Boss oder « Paten », der alles kontrolliert, gibt es immer seltener. TOK-Strukturen ähneln heute immer mehr denen transnationaler Konzerne. Niemand hat die volle Kontrolle, niemand ist unersetzbar, egal in welcher Führungsposition.

Eine zentrale Rolle haben heute die Routen. Auf ihnen wird alles gehandelt, was illegal ist. Entscheidend ist die umfassende Kontrolle eines Routenabschnitts, eines Handelsweges, der den reibungslosen Güterverkehr garantiert. Die Produkte werden immer austauschbarer (Drogen, Menschen, Kaviar etc.), die Organisation des Vertriebes der illegalen Güter wird immer stärker international vernetzt. Und spätestens damit sind wir bei uns: Europa und auch Deutschland haben auf diesen Routen ihren festen Platz: Geldwäsche, Drogenhandel, Menschenhandel, Zigarettenhandel und Schmuggel von Markenprodukten und Waffen – dies alles gibt es bei uns auch; und es beginnt über die Absicherung dieser Routen nach innen auch in die politischen und gesellschaftlichen Strukturen zu wirken.

Die Grauzone zwischen legal und illegal wird immer größer und TOK nach und nach zu einem integralen Bestandteil der legalen Wirtschaft. Gewaschenes Geld fließt in legale Unternehmen im Land und bildet oft einen erheblichen Marktanteil (1). Auch als Arbeitgeber wird TOK in dem Maße interessant, wie sich auf dem Arbeitsmarkt die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität verwischen. Manchmal ist es lukrativer und sicherer, für illegale Organisationen zu arbeiten, als für an der Grenze der Legalität operierende ausbeuterische Leiharbeiterfirmen.

Es sind sehr unterschiedliche Zahlen darüber zu finden, welchen Anteil TOK an den nationalen Ökonomien hat und wie viele kriminelle Taten es gibt. Auch in diesem Heft kommt kaum ein Artikel ohne Zahlen aus. Wir sind uns dessen bewusst, dass diese Zahlen immer erklärungsbedürftig sind und dass es enorm schwer ist, die Vergehen der organisierten Kriminalität in der Grauzone zwischen legal und illegal statistisch korrekt und aussagekräftig zu erfassen. Der Artikel von Philipp Panizza (siehe Heft, S. 6) geht deswegen explizit auf dieses Thema ein.

Heute hat TOK eine Vielzahl von « Geschäftszweigen ». Dabei hängt es von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen ab, wo und inwieweit sich diese Aktivitäten in einem Land ausbreiten können. Folgende Punkte begünstigen die Existenz und das Agieren von TOK in besonderem Maße:

  • Schwache formale Institutionen (Polizei, Finanzmarktkontrollen, Kartellaufsicht, Landmarktkontrolle, Kontrolle öffentlicher Ausschreibungen, ineffiziente öffentliche Dienstleistungen etc.), Staat mit Legitimitätsproblemen
  • Inadäquate Gesetze und Verbote (häufig international induziert)
  • Straflosigkeit wegen eines langsamen, unterfinanzierten und/oder korrupten Justizapparates
  • Keine öffentliche Sicherheit und das Fehlen weiterer staatlicher Dienstleistungen
  • Existenz bewaffneter Gruppen (oft Ex-Milizen)
  • Ungeordnete Urbanisierung
  • Von der Mehrheitsgesellschaft isolierte Diaspora

Sobald TOK strukturell, meist in der Form von Netzwerkkriminalität (eine Hand wäscht die andere), in die Gesellschaft eingedrungen ist, beginnt sie, demokratische Strukturen zu bedrohen. Der illegale Austausch zwischen Bürokraten, Politikern und Geschäftswelt wird institutionalisiert, das Macht- und Gewaltmonopol des Staates untergraben.

Um der wachsenden Unsicherheit zu begegnen, werden Sicherheitsaufgaben zunehmend privatisiert – was das Gewaltmonopol des Staates noch zusätzlich schwächt. Die als Bestandteil von TOK stetig wachsende Korruption unterwandert demokratische Entscheidungen und befördert Geld = Machtstrukturen. Und so ersetzen die wachsenden Netzwerke des Gebens und Nehmens zunehmend rechtsbasierte Politiken.

Insgesamt sind die Herausforderungen durch TOK so groß, dass es keine einfachen Lösungen geben kann. Wir plädieren fürs Hingucken statt Weggucken – durch konsequente Beschäftigung mit dem Thema in all seinen Verflechtungen mit unserem Alltagsleben. Wir sollten

  • TOK als Tatsache anerkennen, international und hier;
  • aufklären über den hohen Preis, den wir für TOK zahlen, vor allem in Hinblick auf Gesellschaftsstrukturen und Demokratie;
  • die Ursachen von TOK reflektieren, sprich soziale Ungleichheit, aber auch fehlende Akzeptanz der verschiedenen Definitionen dessen, was legal oder illegal ist;
  • die Herausforderung der unglaublichen Geldmengen thematisieren, die über TOK bewegt werden, und Korruption zum öffentlichen Thema machen;
  • eindeutige Politik zu TOK einfordern, sprich Gesetze, die auch umgesetzt werden können; ebenso finanzielle und personelle Ausstattung unabhängig ermittelnder Staatsanwaltschaften;
  • eine moralische Debatte anstoßen über die aktuellen und in der Zukunft wünschenswerten Formen sozialer Reproduktion in unserem Lande!

Annette von Schönfeld ist Publizistin und seit 2006 Leiterin des Lateinamerikareferates der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. 2004-2006 leitete sie die Kampagne «Menschenrecht Wasser» bei Brot für die Welt. Mit den thematischen Schwerpunkten Demokratie, Menschenrechte und Stadtentwicklung hat sie mehr als 10 Jahre  staatliche und nichtstaatliche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika  (Chile, Nicaragua, Guatemala und Brasilien) koordiniert.

Regine Schönenberg studierte Politikwissenschaften in Bonn, London, Berlin und Belém. Sie beschäftigt sich mit der Kriminalisierung sozialer Transformationsprozesse, der Natur von Wissen und interkulturellem Lernen. Ihr regionaler Schwerpunkt liegt hierbei seit über 20 Jahren in Amazonien, seit 2008 ist Indien hinzugekommen.

(1) Vgl. Artikel von Arun Kumar

Böll.Thema 3/2011

Grenzenlos Illegal – Transnationale organisierte Kriminalität

Organisierte Kriminalität kennt keine Grenzen. Sie hat in vielen Ländern der Welt die Politik und den Alltag infiltriert. Auch in Deutschland. Sie gehört deshalb in den öffentlichen Diskurs und auf die politische Agenda. Mit Beiträgen von: Florian Kühn, Arun Kumar, Carolyn Norstrom, Annette von Schönefeld, Regine Schönenberg u.a.

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