Industriegewerkschaft zur Energiewende: "Kohlekraftwerke bleiben nötig"

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Kohleflöz und Bagger, Foto: cheesy42, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY 2.0

27. Juni 2011
Dorothee Landgrebe
Heinrich-Böll-Stiftung: Stellt die Energiewende für die Beschäftigten der IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) eine Bedrohung oder eine Chance dar?

Michael Vassiliadis: Richtig gemacht, steckt in der Energiewende sicherlich eine große Chance. Denn es sind die Branchen und Unternehmen, in denen die Mitglieder der IG BCE arbeiten, die es erst ermöglichen, das Ziel einer Energiewende überhaupt zu erreichen. Dazu brauchen wir zum Beispiel die Chemie, die Dämmstoffe zur Wärmeisolierung von Wohnungen liefert. Ohne unsere Glasindustrie gäbe es keine Fortschritte in der Solarindustrie. Ebenso liefern unsere Industrien Kleb- und Kunststoffe für hochleistungsfähige Windkraftanlagen. Insofern sorgt die Energiewende für neue Marktchancen und damit auch für Beschäftigung. Kritisch würde es werden, wenn Energie – der Rohstoff dieser Branchen – zu teuer oder nicht mehr zuverlässig lieferbar wäre. Das gefährdet nicht nur Arbeitsplätze, sondern am Ende auch den Erfolg der Energiewende.  

Was bedeutet die Energiewende für die personellen Qualifikationsanforderungen innerhalb der Energiebranche?

In der Energiewirtschaft ist ein Höchstmaß an Know-How schon heute erforderlich. In Zukunft werden wir in das Fachwissen der Menschen noch stärker investieren müssen. Denn vor allem die erneuerbaren Energien müssen weiter an Effizienz gewinnen. Da stehen wir nach wie vor erst am Anfang. Eine erfolgreiche Energiewende setzt mehr Forschung und Entwicklung voraus. Und das heißt auch, dass wir die Innovationskraft der Beschäftigten fördern und stärken müssen.

Von welchen Strompreiserhöhungen gehen Sie für die Beschäftigten aus und bedarf es aus Ihrer Sicht einer sozialen Abfederung?

Um wie viel Cent die Kilowattstunde Strom künftig im Preis steigt, das ist von vielen Faktoren abhängig und kann derzeit kaum seriös vorher gesagt werden. Sicher ist aber, dass die Energiewende teuer wird. Es sind milliardenschwere Investitionen beispielsweise in neue Stromleitungen und in eine neue Kraftwerksstruktur notwendig, und bis heute sind die Erzeugungskosten der Erneuerbaren Energien deutlich höher als die durchschnittlichen Stromkosten.

Aus unserer Sicht wäre es falsch, die Energiewende weiterhin ausschließlich über den Strompreis zu finanzieren. Denn so würde keine Rücksicht auf die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse genommen und es käme zu neuen Ungerechtigkeiten. Etwa, wenn Rentner oder Hartz-IV-Bezieher über ihre Strompreisrechnung die Photovoltaikanlage auf dem Eigenheim von Ärzten, Anwälten oder Architekten mitfinanzieren. Das müssen wir ändern, genauso, wie wir darauf achten müssen, dass die energetische Gebäudesanierung nicht die Mieten in die Höhe treibt.

Welche Folgen hat die Energiewende für energieintensive Unternehmen wie die Chemiebranche?

Die bisherige Strategie, mit höheren Energiepreisen die Einsparung von Energie zu erzwingen, stößt an Grenzen. Diese Schraube kann nicht immer weiter angezogen werden, eben weil auf Energie als ein wesentlicher Rohstoff der Produktion nicht unbegrenzt verzichtet werden kann. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass die Industrie insbesondere Strom weiterhin zu bezahlbaren und wettbewerbsfähigen Preisen erhält. Sonst hätten zum Beispiel Aluhütten oder bestimmte chemische Prozesse in Deutschland keine Zukunft mehr. Die energieintensiven Unternehmen müssen deshalb von Zusatzkosten des Emissionshandels freigestellt werden. Das hat die Bundesregierung bereits zugesagt, muss aber noch in der EU durchgesetzt werden. Und dieses Prinzip muss auch für den weiteren Weg zur Energiewende gelten. Wir brauchen ein spezielles Marktsegment für Industriestrom.  

Sie plädieren für neue Kohlekraftwerke und den Erhalt des Braunkohleabbaus in Deutschland. Wie sind diese Forderungen mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung vereinbar?

Wir brauchen neue Kohlekraftwerke, um ältere stilllegen zu können. Das ist der schnellste Weg, CO2-Emissionen zu verringern. Denn moderne Kohlekraftwerke haben einen deutlich höheren Wirkungsgrad, benötigen also viel weniger Kohle für dieselbe Strommenge. Im Übrigen hat sich auch die Ethikkommission Sichere Energieversorgung dafür ausgesprochen, für eine Übergangszeit fossile Energien weiter zu nutzen. Weil es unser Land überfordern würde, zeitgleich aus Kernkraft und Kohle auszusteigen. Wir müssen allerdings unsere Anstrengungen verstärken, den Energieverbrauch des Verkehrs- und Gebäudesektors zu senken, um so die ehrgeizigen Ziele beim Klimaschutz zu erreichen.

Warum sollte Deutschland - wie von der IG BCE gefordert – CCS entwickeln, wenn sich die Grundlast mit Gaskraftwerken abdecken lässt?

Gas ist heute ein so teurer Brennstoff, dass sich damit kein Grundlastkraftwerk wirtschaftlich betreiben lässt. Das würde nur funktionieren, wenn sich die Strompreise nahezu verdoppeln – und das kann niemand ernsthaft wollen. Mit der Braunkohle haben wir dagegen einen Energieträger, der preiswert und sicher verfügbar ist, der aber ein CO2-Problem hat. Deswegen brauchen wir CCS – also die Abtrennung und Lagerung von CO2 –, bis wir soweit sind, CO2 stofflich wieder zu verwerten. Im Übrigen sollte niemand vergessen: In Deutschland ist Kohlekraft vielleicht eine Übergangsenergie, in der Welt aber wächst der Verbrauch im rasenden Tempo.

Übersicht der Interviews zur beschleunigten Energiewende

Am 6. Juni hat das Kabinett die Beschlüsse für eine beschleunigte Energiewende vorgelegt. Nach dem aktuellen Fahrplan sollen die zugrunde liegenden sieben Gesetzesentwürfe bis zur Sommerpause am 8. Juli durch den Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Am Samstag, den 25 Juni entscheiden Bündnis 90/die Grünen auf einem Sonderparteitag, ob sie den vorliegenden Beschlüssen zustimmen werden.

Wir werden in den nächsten Wochen Experten, Politiker und Verbandsvertreter zu diesem umfangreichen Gesetzespaket befragen, um die Folgen für die Wirtschaft, die Umwelt, die Bürger/innen und die Beschäftigten auszuloten.

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