Atom-Debatte in Jordanien: Das Ende des Schweigens

Am nur 27 Kilometer langen Küstenstreifen am Golf von Akaba sollen Atomkraftwerke gebaut werden, trotz extremem Mangel an Süßwasser. (Bild: redsea2006 Quelle: flickr Lizenz: CC BY-NC 2.0)

28. Juni 2011
Joachim Paul

Als erstes arabisches Land haben die Vereinigten Arabischen Emirate im Dezember 2009 durch einen zwanzig Milliarden Dollar schweren Deal mit der Korea Electric Power Corporation den Ausbau ihres Atomenergie-Programms entschieden vorangetrieben. Vier Atomkraftwerke sollen bereits ab 2017 an Netz gehen. Bisher hat Fukushima daran nichts geändert. Neben Ägypten und Saudi-Arabien versucht vor allem Jordanien, dem Beispiel der Emirate zu folgen und verhandelte im letzten Jahr über den Abschluss eines bilateralen Kooperationsvertrags mit den USA. Dieser sollte nicht-zivile Nutzung ausschließen, das jordanische Atomprogramm aber generell fördern. Nach dem Vorbild der Emirate hätte sich Jordanien bilateral verpflichtet, keine Uran-Anreicherung anzustreben und so die internationale Skepsis gegenüber Atomprogrammen in arabischen Ländern neutralisiert.

Die jordanische Energiestrategie sieht ab 2020 einen Anteil von sechs Prozent Nuklearenergie am Energiemix vor. Wegen der extremen Wasserknappheit im Land hat die jordanische Atombehörde den nur 27 Kilometer langen Küstenstreifen am Roten Meer als Standort prüfen lassen. Die nötige technische Expertise für Kraftwerkbau in erdbebengefährdeten Gebieten sollte aus Japan kommen. Doch Ende 2010 verbreitete sich die Nachricht, dass nach einem alternativen Standort gesucht werde. Gesicherte Fakten waren öffentlich nicht zugänglich. Im autoritären politischen Klima Jordaniens vor dem Arabischen Frühling verhinderten Zensur und Selbstzensur eine öffentliche Debatte über das Atomprogramm. Kritiker des Programms galten als politische Dissidenten, die ihre Worte genau abwägen mussten, um staatliche Sanktionen zu vermeiden.

Dies hat sich radikal geändert. Eine neugegründete Umweltbewegung hat dutzende Seiten auf Facebook und im restlichen Netz erstellt. Seit Ende Mai erscheinen in arabisch- und englischsprachigen Medien des Landes atomkritische Artikel. Aber nicht nur in den Medien ist Widerstand sichtbar: Am 31. Mai kam es zu ersten Anti-Atom-Demonstrationen in der Hauptstadt Amman und in Mafraq, wo wahrscheinlich der erste Atomreaktor gebaut werden soll. Darüber hinaus veröffentlichten 64 Abgeordnete des jordanischen Parlaments ein Statement gegen das Atomprogram.  

Sicherlich hat die Katastrophe in Fukushima dabei eine Rolle gespielt. Dass erst so spät öffentlich Kritik aufkommt, deutet jedoch darauf hin, dass nachlassende staatliche Kontrolle und eine vorsichtige Reformpolitik durch den König die eigentlichen Gründe sind. Die Demokratiebewegung des arabischen Frühlings hatte nur sporadisch auf Jordanien übergegriffen. Zwar haben zahlreiche Demonstrationen wiederholt eine Reform der Monarchie gefordert, aber nicht ihre Abschaffung. Diese Demonstrationen sind weder an Häufigkeit noch Intensität mit denen in Ägypten, Tunesien, Jemen oder Syrien vergleichbar. Die Reaktion des Königs unterscheidet sich ebenfalls stark von jenen seiner gestürzten oder schwächelnden republikanischen Kollegen in diesen Ländern. Im Februar hatte er mit Marouf al-Bakhit einen neuen Premierminister eingesetzt und am 12. Juni kündigte er im Fernsehen ein politisches Reformprogramm an. Insgesamt bleiben die Reformversprechen jedoch vage. Bisher haben sie kaum konkrete Veränderungen bewirkt. Der Freiraum für öffentliche Kritik belibt der wichtigste Indikator für eine vorsichtige politische Öffnung des Landes.

Dazu gehört auch die Debatte um das Atomprogramm. Sie wird vorangetrieben von dem ehemaligen Energie- und Umweltminister Khaled Irani und Journalisten wie Batir Wardam und Basil Burgan, die einen „Ausstieg aus dem Einstieg“ fordern. Die geschätzten Kosten des Atomprogramms werden sich auf etwa dreieinhalb Milliarden Dollar belaufen, ohne die Kosten für den Abbau des Urans, Wartungsarbeiten an den Kraftwerken und deren spätere Stilllegung zu berücksichtigen. Bisher wurde die Öffentlichkeit nicht über die tatsächlichen finanziellen Dimensionen des Atomprogramms informiert, geschweige denn über seine Gefahren und ungelösten Fragen, zum Beispiel bei der Entsorgung. Das gilt auch für den öffentlichen Umgang mit Wasser, Jordaniens knappster Ressource. Der Staat zählt zu den vier wasserärmsten Ländern der Welt und der hohe Wasserverbrauch von Atomkraftwerken würde erhebliche Einschränkungen für die von Landwirtschaft abhängige Landbevölkerung mit sich bringen, ohne dass dies öffentlich thematisiert wurde.

Die Frage des Uranabbaus ist in der beginnenden öffentlichen Auseinandersetzung noch kein Thema. Das Land verfügt über zwei Prozent der globalen Uranvorkommen und betrachtet diese als strategische Ressource und Einkommensquelle. Die  jordanische Regierung hat exklusive Abbaurechte für die kommenden 25 Jahre an den französischen Atom-Konzern Areva vergeben. Selbst bei einem Stopp des Atomprogramms könnte Areva weiter Uran abbauen.

Die vielen wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte des Themas reichen aus, um eine ausführliche Debatte zu führen. Gerade jetzt, während des politischen Erwachens der arabischen Gesellschaften, gilt es in Jordanien und anderen arabischen Ländern den Demokratiediskurs auf wirtschaftliche und ökologische Fragen auszuweiten. Denn in diesen Bereichen wurden bisher Entscheidungen über die Zukunft gefällt, ohne die Bevölkerung darüber zu informieren.

Joachim Paul leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.