Mit Decken und Zelten gegen Studiengebühren

Federica Guccini

In Belgrad besetzen Studierende die Uni und protestieren gegen die „Ware“ Bildung.

„Direktor, komm raus!“, schallt ein serbischer Sprechchor durch das Gebäude der Universitätsleitung Belgrad. Immer mehr Studierende drängeln sich in den engen Korridor, setzen sich und brüllen sich die Seele aus dem Leib beim Ruf nach dem Direktor. Und dann heißt es: Warten. Nicht nur auf den Direktor. Auch auf Veränderungen. Auf Gerechtigkeit. Auf niedrigere Studiengebühren.

Rund hundert Studierende versammeln sich vor dem Büro des Universitätsdirektors Branko Kovačević, um ihn für ihren Demonstrationsmarsch abzuholen. Dass er mitmarschieren würde, hat er einigen Studierenden am Tag zuvor auf der Straße scherzhaft mitgeteilt. Daraus entwickelten die Protestler die Idee, ihm diesen Überraschungsbesuch abzustatten.

Mit dabei ist Jelena V., Ethnologiestudentin an der Uni Belgrad. Umgerechnet 1800 Euro im Jahr kostet ihr Masterstudiengang an der Philosophischen Fakultät. Jelena zahlt allerdings keinen Cent dieser Studiengebühren. Sie sagt: „Ich werde vom Staat finanziert, weil ich gute Noten bekomme.“ Dennoch ist die 28-jährige Serbin bei allen Protesten und Aktionen ganz vorn mit dabei. „Es ist eine Frage des Prinzips“, erklärt sie: „Es geht um freie Bildung.“

Jelena raucht eine Zigarette nach der anderen und unterhält sich mit ihren Freunden.  Keine Hektik. Die Studenten haben Zeit. Denn heute ist „nema nastave“ - kein Unterricht. Und das schon seit Mitte Oktober, seit die Studierenden das Fakultätsgebäude besetzt haben. Nicht wenige von ihnen schlafen jede Nacht in der Philosophischen Fakultät und hüten die besetzten Klassenräume wie ihre Augäpfel.

Es ist ein Ausnahmezustand, ein riesiges Chaos. Fast alle Toiletten wurden gleich nach Beginn der Blockade verschlossen, die Fahrstühle außer Betrieb gesetzt. Tagelang hat die Universitätsleitung Strom und Heizung abgestellt. In den Gängen liegen Matratzen und Decken. Besonders beliebt sind die Korridore vor den Seminarräumen. „Da gibt es Teppichboden, es ist warm“, sagt Jelena. Im Treppenhaus des dritten Stocks steht ein Zelt. Am gegenüberliegenden Fenster hängt ein großes Banner: „Bildung ist keine Ware“ steht darauf.

Inmitten dieses Tumults herrscht dennoch Disziplin und Ordnung. Alle Studierenden, die in der Fakultät übernachten, tragen sich in eine Liste mit Schlafschichten ein, Betrunkene kommen erst gar nicht ins Haus. Und jeden Abend treffen sich die Protestler zum „Plenum“ im großen Hörsaal, wo sie beraten, wie es am nächsten Tag weitergeht. Jelena spricht oft dort. Wenn sie redet, ist es still  im Saal. Mit Nachdruck und mit ruhiger Stimme trägt die junge Frau ihre Forderungen vor. Fast  wie eine richtige Politikerin. Jelena schüttelt den Kopf. Sie tut sich mit der Bezeichnung schwer, findet sie sogar „ekelhaft“. Sie sagt: „Es wird oft negativ aufgefasst, wenn man sich hier als politisch bezeichnet.“ Und: „Wir reden alle über Armut und Bildung, aber niemand würde es Politik nennen.“

„Ekelhaft“ finden die Studierenden nicht nur die Politik: Die serbischen Medien sind ein weiteres Problem. Sie machen es den Protestlern schwer, in der Öffentlichkeit Anerkennung zu gewinnen. „Über Proteste gegen den Staat berichten die Medien nicht richtig, sie recherchieren zu wenig und drucken die Lügen des Direktors ab“, erzählt Jelena: „Es ist ein Medienkrieg zwischen uns und den Zeitungen.“

Ein Kampf, der noch lange nicht vorbei ist. Ganz im Gegensatz zum Sitzstreik. „Komm raus, Direktor, komm raus“, rufen einige hartnäckige Studenten durch den Korridor. Doch auch nach zweistündigem Protest und Sitzstreik vor dem Büro des Direktors sind sie keinen Schritt weiter. Kovačević lässt sich nicht blicken, die Studiengebühren sind so hoch wie eh und je. Langsam löst sich der Protest auf, die Enttäuschung steht vielen Studenten ins Gesicht geschrieben. Mit getrübten Blicken trotten sie zurück zum Fakultätsgebäude. Jelena zündet sich noch eine Zigarette an. Lange würden die Studenten nicht mehr protestieren können, prophezeit sie: „Wir sind alle zu müde.“

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