Die Evolution der Reproduktion bei Krabben (Brachyura)
Bei Krabben (Brachyura) handelt es sich um Vertreter der Zehnfußkrebse (Decapoda), welche sich von Ihren langschwänzigen Verwandten wie den Hummern oder Garnelen durch Ihre spezifische Körperform unterscheiden. Durch einen Prozess, genannt „Carcinisation“, welcher zu einer krabbenartigen Körperform führt, haben Krabben einen lateral verbreiterten Panzer und einen abgeflachten Rumpf (Thorax) entwickelt. Zusätzlich dazu hat sich der Schwanzfächer (Pleon), nach unten an das Tier angelegt. Dadurch verfügen viele Krabben über ein eher abgeflachtes, ovales Äußeres, jedoch ist die Körperform bei näherem Hinsehen hoch divers. Mit über 7000 Arten haben sie innerhalb der Krebstiere (Crustacea) eine extrem arten- und formenreiche Gruppe hervorgebracht. Sie besiedeln nicht nur marine Habitate, sondern auch das Süßwasser und sogar terrestrische Lebensräume.
Innerhalb der Brachyura haben sich im Laufe der Evolution verschiedene Fortpflanzungsstrategien mit einem oft komplexen Paarungsverhalten entwickelt. Im Geschlechtsapparat verschiedener Krabbengruppen treten dementsprechend unterschiedliche Merkmalszustände auf, die wichtige Hinweise auf die Evolution und Verwandschaftsverhältnisse der Krabben liefern können. Das derzeitige System der Brachyura wurde in den 70er Jahren aufgrund der Lage der Geschlechtsöffnungen sowie der Existenz spezieller Spermaspeicherstrukturen in die Gruppen Podotremata, Heterotremata und Thoracotremata errichtet. Die Spermienspeicherorgane der Podotremata sind Spermatheken, welche Einbuchtungen der Cuticula der Weibchen darstellen. Sie besitzen keinen direkten Kontakt zu den Ovarien, weshalb die Befruchtung der Eier außerhalb des Körpers stattfindet. Bei den Krabben im engeren Sinne, den Eubrachyura, bestehend aus Heterotrematen und Thoracotrematen, findet man stattdessen die Receptacula seminis innerhalb der Weibchen, welche durch eine direkte Verbindung zum Ovar im Körper eine innere Befruchtung ermöglichen. Einige Gruppen der Eubrachyura verfügen außerdem über spezielle Sekretepithelien, die bei der Spermaspeicherung eine wichtige Rolle spielen.
Eine evolutive Merkmalstransformation hat auch bei den Krabbenmännchen stattgefunden. Während die Geschlechtsöffnungen bei den ursprünglichen Gruppen auf den Beinansätzen lokalisiert sind, haben sie sich in den abgeleiteten Gruppen (Thoracotremata) auf die Brust verlagert. Von Bedeutung für die Evolution der Krabben ist, wie sich diese Verlagerung vollzogen hat und ob intermediäre Merkmalszustände zwischen diesen Position auftreten, welche die morphologische Transformation der männlichen Geschlechtsöffnung nachvollziehbar werden lässt.
Neuere molekularbiologische und morphologische Untersuchungen geben Hinweise darauf, dass das bestehende System der Brachyura nicht den phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnissen entspricht. Allerdings ist es trotz verschiedener Ansätze bis heute nicht gelungen einen Konsens hinsichtlich der Phylogenie der Krabben zu erlangen.
„Das Narrativ der Geschichte und Beziehungen der Organismen kommt ohne die Berücksichtigung von Formen und ihren Abänderungen nicht aus […] Erst wenn diese Vorgänge nachvollzogen und verstanden werden, stellt sich eine intellektuelle und nicht zuletzt ästhetische Befriedigung ein. Dieses Narrativ ist im besten Sinne Morphologie.“ (aus Scholtz 2013, Bildwelten des Wissens)
Die Vorstellung der morphologischen Transformation von Organsystemen durch evolutionsbiologische Abläufe ist gedanklich nur schwer fassbar. Wie ist die Verlagerung von Organen möglich und warum kam es dazu? Über evolutive Prozesse welche in Millionen von Jahren ablaufen, haben sich die Geschlechtsöffnungen bei den untersuchten Männchen von den Basen der Beine auf die Brust verlagert. Bei den Weibchen hat sich die Anatomie der Geschlechtsorgane soweit verändert, dass neue Gewebe entstanden sein könnten. Welche Bedeutung haben diese Veränderungen gerade an den Kopulationsorganen der Krabben für die Fortpflanzung? Lassen sich Zwischenstufen finden, welche diese Übergänge nachvollziehbar machen?
In dem Promotionsprojekt wird erstmals die morphologischen Merkmalstransformationen im weiblichen Geschlechtsapparat und in den männlichen Kopulationsorganen mit modernen morphologischen Methoden untersucht werden. Neben der Rekonstruktion der morphologischen Abwandlungen in der Evolution ist ein weiteres Ziel, einen Beitrag zu den noch immer ungeklärten phylogenetischen Verwandtschaftsbeziehungen der extrem artenreichen sowie kommerziell und ökologisch bedeutungsvollen Gruppe der Eubrachyura zu leisten. Insbesondere werden mit Hilfe der gewonnenen Daten weitere Hinweise auf die Phylogenie der untersuchten Teilgruppen der Hetero- und Thoracotrematen erwartet. Außerdem können so eventuell weitere Details gefunden werden, welche eine Monophlylie dieser Gruppen entweder bestätigen oder falsifizieren.