Das Verhältnis zwischen Theorie und Theater als Textpraxis in Bertolt Brechts „Der Messingkauf“
„Viel Theorie in Dialogform Der Messingkauf“ schreibt Bertolt Brecht 1939 und tatsächlich fällt der Messingkauf im Vergleich zu den zahlreichen anderen theoretischen Schriften, die in den drei Bänden der großen Berliner und Frankfurter Ausgabe von Brechts Werken (BFA) abgedruckt sind, durch seine teils dialogische, teils lyrische, teils essayistische und durchweg fragmentarische Form auf. Der „Messingkauf“ handelt über vier Nächte hinweg von Begegnungen zwischen einem Philosophen und einigen „Theaterleuten“ auf der Bühne nach dem Ausklang einer Theatervorstellung und von den Gesprächen, die zwischen diesen Figuren über das Theater stattfinden, während die Kulissen von einem Bühnenarbeiter abgebaut werden. Der Titel des Textes ergibt sich aus einer Äußerung des Philosophen, der seine Rolle im Theater als die eines Messinghändlers beschreibt, der „zu einer Musikkapelle kommt und nicht etwa eine Trompete, sondern bloß Messing kaufen möchte.“ Dieser Philosoph interessiert sich für das, woraus das Theater besteht – das Material des Theaters – und möchte dessen Material für seine eigenen, wissenschaftlichen Zwecke nutzen. Der Philosoph prüft mit den auf der Bühne sitzenden Theaterleuten die Bestandteile des Theaters auf deren Eignung für sein Interessengebiet, den von ihm beabsichtigten Darstellungszweck des Theaters: „die Nachahmung von Vorfällen aus dem menschlichen Zusammenleben.“
Die Frage, warum Brecht seinen größten Versuch einer Theatertheorie auf jene Weise verfasst, die im Messingkauf vorliegt, sowie die Frage, warum er diesen Text nicht zu Ende schreibt, bilden den Ausgangspunkt meiner Auseinandersetzung mit der Theater-Theorie oder dem Theorie-Theater des Messingkaufs und deren Darstellung. Warum ist Brecht am Messingkauf gescheitert? Inwiefern kann dieses Scheitern als ein gleichzeitiges Gelingen betrachtet werden? Und inwieweit ist dieses Scheitern eben das Resultat der inhaltlichen und medialen Verstrickung im Text – des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis?
Im poetisch-diskursiven Text des Messingkaufs gibt es ein Wechselspiel zwischen den brüchigen Tendenzen zur These, die auf einer mehr oder minder inhaltlichen Ebene bestehen, und den ebenso brüchigen medialen Elementen des Textes. Daher rückt für mich der Messingkauf, wie das Fatzer-Fragment, in den Vordergrund von Brechts Radikalität. Im Messingkauf verdeutlicht Brecht, dass Theorie im Kern immer Praxis ist und Praxis immer Theorie, unabhängig davon, wie sehr die Theorie den Anschein der Praxis oder die Praxis den Anschein der Theorie vermeiden möchte. Dieses Verhältnis ist in vielen Bereichen ein sehr fragwürdiges: Der Ausgangspunkt für vieles in der Kunst wie in der Philosophie ist die Annahme, dass der Mensch und das Zusammenleben der Menschen überhaupt erschließbar, rein darstellbar wären, etwa in der Vorstellung einer reinen, transparenten Sprache, deren Verschriftlichung auf dem Papier nur das, was bereits ist, abstrahiert und darstellt. Doch indem wir sprechen, schreiben, andere oder anderes darstellen, handeln wir. Der Akt der Darstellung ist kein neutraler. Das Spiel der Theorie, das im traditionellen Theater entweder als den Wahrheitsgehalt der Theorie oder die Reinheit der Kunst reduzierend gilt, rückt im sich jeder Gattungszuweisung entziehenden Messingkauf in den Vordergrund: Dieses Spiel, diese Praxis ist im Messingkauf nicht da, um auf den Begriff rückübersetzt zu werden, soll nicht bloße Thesis bilden, sondern ist selber ein „Akt der als Praxis begriffenen Theorie“ (Nikolaus Müller-Schöll) und, vice versa, ein Akt der als Theorie begriffenen Praxis.