Wir trauern um Jiřina Šiklová

Nachruf

Am 22. Mai 2021 starb im Alter von 85 Jahren die tschechische Soziologin, Feministin, ehemalige Dissidentin und Mitbegründerin der NGO Gender Studies. Wir trauern um eine beeindruckende Frau, deren Leben und Werk über Tschechien hinaus eine große Inspiration war und bleibt.

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Jirina Siklova

„Das Leben gewinnt nicht durch seine Länge, sondern durch seine Tiefe, durch seinen Inhalt an Wert. Wenn wir die Biografie einer Person lesen, bewerten wir sie nicht aufgrund der Dicke des Bandes, sondern der Reichhaltigkeit seines Inhalts.“, sagte einmal Jiřina Šiklová. Über ihr eigenes Leben werden sicher noch viele sowohl dicke, als auch inhaltlich reichhaltige Bücher geschrieben werden.

Jiřina wurde am 17. Juni 1935 in Prag geboren, studierte an der Karlsuniversität Geschichte und Philosophie und unterstützte dort 1965 die Gründung des Fachbereichs Soziologie. Als Dissidentin unterzeichnete sie die Charta 77 und organisierte den geheimen Transport verbotener Exilliteratur zwischen der Tschechoslowakei und dem Westen, wurde deshalb Anfang der 1980er Jahre inhaftiert und auf internationalen Druck nach einem Jahr entlassen. Es wurde der Sozialwissenschaftlerin daraufhin verboten, akademisch tätig zu sein, sie musste als Reinigungskraft in der Bibliothek der Karlsuniversität und im Krankenhaus arbeiten.

Nach 1989 baute Jiřina einen neuen Lehrstuhl für Soziale Arbeit an der Karlsuniversität in Prag auf, den sie bis 2000 leitete. In ihrer Wohnung entstand die erste Genderbibliothek in der Region. 1991 gründete sie die bis heute tätige Nichtregierungsorganisation Gender Studies, bis heute eine strategische Partnerin des Prager Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, und setzte Gender Studies als Fach und Thema an Universitäten durch. Wir blicken auf zahlreiche gemeinsame Projekte und eine bereichernde Zusammenarbeit zurück, die Jiřina maßgeblich geprägt hat.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs engagierte sie sich in vielen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens und unterstützte die tschechischen Grünen als Kandidatin für die Europawahl 2009 sowie für die Wahl zum tschechischen Abgeordnetenhaus 2010.

Jiřina setzte sich immer für die Achtung der Menschenwürde und die Wahrung der Menschrechte ein. Sie kämpfte für eine gerechtere Gesellschaft, Geschlechterdemokratie und Vielfalt. Mutig erhob sie ihr Leben lang ihre Stimme gegen jede Form von Hetze und Diskriminierung von Minderheiten. Ganz im Sinne von Heinrich Böll lebte sie nach dem Grundsatz: „Einmischung erwünscht.“

Wir werden ihren klaren analytischen Blick, ihr Engagement und ihren Humor sehr vermissen und uns immer in Dankbarkeit an sie erinnern.

 

Dr. Ellen Ueberschär, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Adéla Jurečková, Büroleiterin Heinrich-Böll-Stiftung, Prag

Eva van de Rakt, Büroleiterin Heinrich-Böll-Stiftung, Brüssel

Milan Horáček, ehemaliger Bundestags- und Europaabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen, erster Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag