Heinrich Bölls "Mit diesen Händen"

Sie befinden Sich in "Kapitel 3: Die Nachkriegszeit (1945 - 1951)".

Annemarie Böll arbeitet in ihrem Beruf als Mittelschullehrerin an der Realschule Severinswall und sichert damit die Existenz der Familie mit den Söhnen Raimund (1947), René (1948) und Vincent (1950).

"Mit diesen Händen", Text von 1947

"Mit diesen Händen, die abends das Kreuzzeichen auf die Stirn deines Kindes zeichnen, hast du den Abzug des Maschinengewehrs um jene entscheidenden Millionstel Millimeter verrückt, sodaß er die Stirne anderer und Unschuldiger zerschmettere. Mit diesen Händen hast du die Kippen der Neger aufgelesen, hast du viele, viele Brote zerschnitten und gegessen und viele viele tausend Male den Suppenlöffel zum Munde geführt...

Mit diesen Händen hast du die schmierigen Gläser in rumänischen Kneipen und die sauberen Gläser in flämischen Kneipen zum Munde geführt, mit diesen Händen hast du manchen Aperitif in dich hineingeschüttet und manche Flasche Wein an den Hals gehalten...

Mit diesen Händen hast du die Schuhe von einer schwarzen Russenleiche gezogen, da deine zerfetzt waren, mit diesen Händen hast du in den Taschen der Toten nach Machorka gesucht, da der Hunger dir den Bauch auftrieb...

Mit diesen Händen hast du den Stacheldraht angefaßt, dich schmerzhaft ins Fleisch schneidend, hast dir die Finger blutig gerissen, weil dein ganzer Körper vor Hunger schrie, wenn drüben die Eiersuppe mit Benzin übergossen und vernichtet wurde.
Mit diesen Händen hast du manches tiefe Loch in die dunkle russische Erde gegraben, hast du in tiefster Dunkelheit gierig und hastig das Kochgeschirr mit Suppe oder Kaffee zum Mund geführt, mit diesen Händen hast du den Leutnant ins Gesicht geschlagen, eine Minute bevor er fiel...

Diese Hände haben geschachert, du hast den Stoff der Hose oder des Mantels, die du verscheuern wolltest, damit prüfend und preisend berührt und hast die Geldscheine mit diesen Händen in Empfang genommen...
Viel, viel Geld ist durch diese Hände gegangen, Geld für die Straßenbahn und für Tabak und Schnaps. Du hast mit diesen Händen Geld zum Schwarzmarkt gebracht, alles mit diesen Händen.

Mit diesen Händen hast du nicht den, sondern die Faust in der Tasche gehalten, mit diesen Händen hast du die Portieren zu vornehmen Hotels und zu düsteren Kneipen geöffnet, du hast diese Hände im Atlantik gewaschen und in den Fluten der Schwarzmeeres. Viele haben diese Hände empfangen und wenig gegeben.

Du hast die Erde zerbröckelt damit und hast dir ein Stück deines Hemdes damit abgerissen, weil die Hose voll war. Du hast Urlaubsscheine damit gefälscht und hast falsche Namen damit geschrieben, um Butterbrote oder Zigaretten auf trostlosen Bahnhöfen zu erschleichen. Diese Hände haben unzählige Zigaretten gedreht aus russischem Tabak, deutschem Tabak, aus Kippen und aus feinstem amerikanischen Tabak. Diese Hände hast du millionenmal gewaschen und immer wieder waren sie sauber, rein und unschuldig und kein Mensch hat sich gefürchtet, sie anzufassen, obwohl du tödliche Granaten damit in den Trichter des Werfers gesteckt hast.

Du hast damit Papierkügelchen zum Pult des Lehrers geschossen, hast sie an dem ewig lädierten Füllfederhalter beschmutzt und zu einer Zeit, die du nicht mehr kennst, hast du die Brüste deiner Mutter damit berührt, du hast die Schulmappe damit umklammert, von vielerlei Blut waren sie befleckt, schwarz von geronnenem Blut, das die Poren verstopfte, Blut von ihm, oder Blut von dir, sie waren wie Metzgerhände, diese Hände, die dein Kind abends im Spiel mit seinem unschuldigen Mund berührt, wenn du das Zeichen des Kreuzes auf seine Stirn zeichnest."

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