Eröffnung der Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung
Am 13. November 1976 gab Biermann das legendäre Konzert in Köln. Drei Tage später verkündete die SED-Führung seine Ausbürgerung aus der DDR.
Schon das Konzert war ein Kracher. Die Ausbürgerung wurde erst recht zum Donnerschlag mit gewaltigem Echo im Westen wie im Osten. Spätestens jetzt wurde Wolf Biermann zu einem gesamtdeutschen Phänomen – mir fällt niemand ein, der auf beiden Seiten der Mauer die Gemüter so erhitzte wie er.
Ich erinnere mich noch gut, wie wir damals in unserer Bremer WG um den einzigen Fernseher hockten und wie die Spannung und das Hochgefühl, die über diesem Konzert lagen, in mir hoch stiegen. Es war selbst vor der Glotze ein emotionales Erlebnis.
Vom ersten Lied an ging es um die Freiheit – „nehmt euch die Freiheit, sonst kommt sie nie“-, um den aufrechten Gang, um Lebenslust und Poesie. Seine Lieder waren frech und zart, gefühlvoll und messerscharf. Und er passte in keine politische Schublade. Als antiautoritärer Linker lag er quer zum realen Sozialismus, dem er die sozialistischen Ideale als Spiegel vorhielt.
Es gibt manche politische Proklamationen im Kölner Konzert, die aus heutiger Sicht befremdlich wirken. Sie lassen sich nur erklären, wenn man versteht, dass er damals weder mit der DDR noch mit der Idee des Kommunismus fertig war. Dafür gab es Gründe. Sein Vater war als Widerstandskämpfer in Auschwitz ermordet worden, und seine Mutter hatte ihn ganz in der kommunistischen Tradition erzogen. Als er 1953 als Siebzehnjähriger von Hamburg in die DDR ging, kam sie ihm als das Land vor, in dem diese Ideale verwirklicht wurden. Es war hart, sich von dieser Illusion zu lösen. Aber noch härter war, den Glauben an den Kommunismus hinter sich zu lassen. Das ging unter die Haut. Für Biermann war der Kommunismus kein ideologisches Kostüm, das man nach Belieben an- und ablegen konnte. Er war eine Familienaffaire und eine Herzensangelegenheit. Genau das gab ihm das Selbstbewusstsein, den Machthabern im Namen von „Karl und Rosa“ (Liebknecht und Luxemburg) zu widersprechen.
In jeder Phase des Kölner Konzerts spürt man, wie er mit sich und diesem Erbe ringt. Es war in jeder Hinsicht ein Hochseilakt. Jeder, der nicht naiv war, wusste, dass Biermann auf einem schmalen Grat balancierte. Dass die SED-Oberen ihn nur ausreisen ließen, weil sie ihn los werden wollten, konnte man vermuten, aber nicht wissen. Es war klar, dass er sich keinen Maulkorb verpassen ließ, und zugleich durfte er den Bogen nicht überziehen, wenn er nicht jede Chance auf Rückkehr verspielen wollte. In seinen Worten: „man muss zu weit gehen, aber nicht zu weit zu weit“. Dumm nur, dass es andere sind, die diese Grenze definieren – damals in der DDR, heute in China und anderswo.
Es war kein Zufall, dass Biermann das Konzert mit „So oder so – die Erde wird rot“ eröffnete und sich dabei auf Marx berief: die Menschheit findet entweder einen Weg zum Kommunismus oder sie versinkt in Barbarei. Gleichzeitig baute er eine Strophe ein, in der er den Fall der Mauer prophezeite; und er berief sich auf Rosa Luxemburgs Kritik der roten Diktatur in Russland, um die erstarrten Zustände in der DDR bloßzustellen. Diese Ambivalenz zieht sich durch das ganze Konzert – zum Beispiel kritisiert er den Ausschluss von Reiner Kuntze aus dem DDR-Schriftstellerverband und verteidigt seine Schriften als „die reine Wahrheit“, setzt sich aber politisch weit von ihm ab.
Genauso faszinierend wie dieser politische Hochseilakt war der Gestus dieses Auftritts. Da trat einer selbstbewusst, geistreich und schlagfertig vor die 8000 Zuhörer und eine Batterie von Fernsehkameras, der gerade nach 11 Jahren Auftrittsverbot sein erstes öffentliches Konzert in der Nikolaikirche in Prenzlau gegeben hatte. Er kokettierte mit seinem Muffensausen; er redete mit dem Publikum und riss Witze, als wäre es eine vertraute Runde in einer Ostberliner Wohnküche.
Die Leute waren begeistert. Es war vermutlich der bessere Teil der westdeutschen Linken, den DKP-Genossen war Biermann ja ein Graus. Die Grundstimmung im Saal war links, Marx, Rosa Luxemburg, Brecht und Commandante Che Guevara, die Idole des Sozialismus als Kronzeugen gegen den realen Sozialismus, das war die Klaviatur, auf der Biermann souverän spielte.
Das Konzert schlug jedenfalls enorme Wellen, und es dauerte nicht lange, dann schlug das Imperium Ost zurück. Die Ausbürgerung Biermanns sollte einschüchtern und Ruhe schaffen. Sie bewirkte das Gegenteil: einen Sturm der Entrüstung auf beiden Seiten der Mauer. Die SED hatte alle Hände voll zu tun, um den Aufruhr zu bändigen.
Die Causa Biermann wurde für die Intellektuellen und Künstler der DDR zu einem Lackmustest, wo sie selbst standen: „which side are you on“, wie es in einem alten amerikanischen Gewerkschaftslied heißt. Es waren viele, die sich nicht einschüchtern ließen, jedenfalls viel mehr, als die Honeckers und Mielkes erwartet hatten.
Zwar bekamen sie die Lage wieder in den Griff, auch mit Hilfe der linientreuen Beamten, der opportunistischen Professoren und der Dichter mit der feuchten Hand - aber zu einem hohen Preis: zahlreiche Schriftsteller, Schauspieler und Musiker kehrten der DDR den Rücken. Zurück blieb ein Riss zwischen Staatsmacht und dem aufrechten Teil der Intellektuellen, der mit den Jahren nur noch tiefer wurde. Es spricht einiges dafür, dass jener November im Jahr 1976 der Anfang vom Ende der DDR war, das im November 1989 besiegelt wurde.