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„Die Politik ist zu nah an den Banken“

Wer hat in der Euro-Krise die Zügel in der Hand? Sind es die vielzitierten gesichtslosen Märkte? Sind es die Banken, die angeblich zu groß sind, um scheitern zu dürfen, oder ist es die Politik, die seit nunmehr vier Jahren gegen immer neue Notlagen ankämpft? Wie kann die Politik Märkten und Banken Regeln setzen? Um diese Fragen drehte sich die Diskussion beim sehr gut besuchten Jour Fixe am 6. November, den die Heinrich-Böll-Stiftung alle zwei Monate mit der tageszeitung (taz) gemeinsam veranstaltet. 

Wie sehr diese Akteure miteinander verzahnt sind, machte Gerhard Schick, Bundestagsabgeordneter und Finanzexperte der Grünen, deutlich. Das Kernproblem der Krisenstaaten in der Euro-Zone sei ein Zuviel an Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Aber um die heutige Krise zu verstehen, müsse man zu den Anfängen, zu der 2008 ausgebrochenen Bankenkrise, zurückgehen, sagte er. In verschiedenen Ländern gab es unterschiedliche Ursachen: In den USA, in Irland und Spanien waren allzu freigebig Immobilienkredite gewährt worden, und als die Immobilienblase platzte, blieben die Banken auf den Krediten sitzen. In Griechenland und Zypern hingegen gerieten die Banken in Probleme, weil sie sehr viele Staatsanleihen im Portfolio hatten, die womöglich nicht mehr bedient werden konnten. Die zuvor minimalen Risiken von Staatsanleihen waren plötzlich beträchtlich geworden. Die Folge: Staaten, Fonds und Privatanleger trennten sich vorsorglich von Staatsanleihen der Krisenländer – und verschärften damit deren Schwierigkeiten noch, indem es zu einer Art Käuferstreik kam. 

Dorothea Siems, Wirtschaftsredakteurin bei der „Welt“, sah es ähnlich. Sie beschrieb eine Art Herdentrieb, mit dem zunächst große Fonds, dann aber auch Privatanleger, ihr Kapital in Länder mit günstigeren Anlagebedingungen fließen lassen, es aber beim Anflug von Schwierigkeiten auch ebenso schnell wieder abziehen. Dies könne man nicht als Spekulation verurteilen, sondern es sei legitim. Dabei, ergänzte Jens Berger, Mitarbeiter des wirtschaftspolitischen Blogs „Nachdenkseiten“, müsse sich jeder, der etwa sein Erspartes in Island angelegt hatte, bewusst sein, dass ein höherer Zinssatz auch ein höheres Risiko bedeute. „Das ist Marktwirtschaft, so sieht das aus.“

Entlastung für die Steuerzahler

Doch wie soll man mit Banken umgehen, die sich verspekuliert haben? Das wollte Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der taz, die die Diskussion leitete, als nächstes von den Podiumsgästen wissen. Soll man sie pleitegehen lassen, wie es in den USA mit Lehman Brothers geschah, oder sie für viele Milliarden retten, wie in Deutschland mit der IKB und der Hypo Real Estate, oder wie in Irland, wo 100 Milliarden Euro dafür aufgebracht wurden? 

Schick hielt dies für eine falsche Alternative. Die Frage sei, wie man in Not geratene Banken so stabilisiere, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler möglichst wenig belastet würden. Der Kollaps einer Bank habe bislang schwer zu kalkulierende Folgen, da es noch gar keinen geregelten Mechanismus für eine Bankenpleite gebe, fügte er hinzu. Schick kritisierte das in Europa praktizierte Verfahren, die Schulden der Banken dem Staat und damit letztlich dem Steuerzahler aufzubürden. Damit werde das Problem nur verlagert. Er halte es für sinnvoller, wenn die Investoren solcher Banken für die Schulden einstehen müssten. Auch Siems verlangte, dass es endlich ein Insolvenzrecht für die geordnete Abwicklung von Banken geben müsse. „Banken müssen genauso pleitegehen können wie ein Industriebetrieb“, sagte sie. Andernfalls könnten die Geldinstitute mit riskanten Geschäften weitermachen. 

Berger sagte, es hänge auch von der Größe einer Bank ab, ob sie überhaupt abgewickelt werden könne. Bei einem großen Institut wie der Deutschen Bank mit einer Bilanzsumme von 2.000 Milliarden Euro sei das praktisch nicht machbar. Niemand könne für eine solche Summe eine Garantie abgeben. Banken seien „eine tickende Zeitbombe, die entschärft werden muss“. Er kritisierte, dass „nichts getan wurde, um die Deutsche Bank ‚abwickelbar‘ zu machen“. Banken müssten kleiner, ihre Bilanzsummen überschaubarer, und das Kundengeschäft müsse vom Investmentgeschäft getrennt werden, nannte er als notwendige Reformschritte. 

Strengere Regeln für die Banken

Auch Schick forderte ein „Bankenabwicklungssystem“. Das nötige Instrumentarium, also einen von den Banken finanzierten Abwicklungsfonds, gebe es bisher nicht, weil man sich politisch vorerst dagegen entschieden habe. Er forderte ein Ende der Allianz von Großbanken und Regierungen und nannte es falsch, dass die Politik eher für die Interessen der Banken als für die der Steuerzahler eintrete. Siems nannte das Bankensystem Zyperns als aktuelles Beispiel. Es sei unverständlich, warum alle Europäerinnen und Europäer für dessen oft unseriöse Geschäftspraktiken geradestehen sollten. In den USA werde dies besser gehandhabt: Dort mussten im Rahmen von Obamas Finanzmarktreform im Sommer neun große Banken „Testamente“ hinterlegen, in denen geregelt ist, wie im Falle ihrer Insolvenz ein größerer Schaden für das Finanzsystem verhindert werden soll. Etwa 125 Banken haben eine Frist bis Ende 2013, das Gleiche zu tun.

Mit dem entsprechenden Instrumentarium wären also wesentlich weniger Geldhäuser „systemrelevant“, als es die Politik derzeit darstellt. Siems beschrieb die Politik in der Krise als überfordert – Entscheidungen müssten unter großem Zeitdruck und ohne die erforderliche Sachkenntnis gefällt werden. Dabei verschließe die Politik die Ohren vor dem Rat unabhängiger externer Experten. Selbst der Beirat des Finanzministeriums sei in der Krise ignoriert worden. „Die Politik ist oft zu nah an den Banken“, sagte Siems, sie unterliege dem Druck der Lobbyarbeit des Finanzsektors. Schick hat als Bundestagsabgeordneter Ähnliches erlebt: Eine Anhörung zur Bankenregulierung wurde zunächst nur mit Bankenvertretern besetzt. Ein Vorschlag der Grünen-Fraktion, wenigstens ein Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung hinzuziehen, verhallte ergebnislos. Das Problem sei, dass man aus politischen Gründen externen Rat, etwa aus akademischen Kreisen, nicht hören wolle. Man müsse bei der Finanzaufsicht Kompetenz aufbauen, die andere Expertisen liefert, als man sie von der Deutschen Bank hört, forderte Schick. Es gehe ja: In der Schweiz hatte die Finanzaufsicht, als im Herbst 2008 die UBS heftig ins Wackeln geriet, einen   fertigen Rettungsplan in der Schublade, den sie seit den ersten Krisenanzeichen im Januar erarbeitet hatte. „Wir müssen uns schon fragen, warum andere Länder besser aufgestellt sind als wir“, sagte Schick. Unabhängigen Rat liefere auch die vor einem Jahr von seinem Parteikollegen Sven Giegold (MdEP) initiierte Initiative „Finance-Watch“.

Auswege für überschuldete Staaten

Inzwischen sind nicht nur Banken in der Krise, sondern Staaten – Griechenland, Spanien, zuvor auch schon Portugal und Irland. Und es gebe noch weitere verborgene Krisenkandidaten, sagte Herrmann: Österreich mit seinen Banken, die sich in Osteuropa ‚verzockt‘ haben, oder die Niederlande mit einer großen Immobilienblase. Berger sah nur dann einen Ausweg aus der Schuldenfalle, wenn nicht mehr nur die Banken und Versicherungen Abnehmerinnen der Staatsanleihen wären – was die Politik weiter in die Abhängigkeit von der Finanzbranche drängt. Er plädierte für eine andere Form der Staatsfinanzierung, nämlich über die EZB, die für die Anleihen ein Zinsziel setzt. Die Altschulden sollten durch „Evergreen-Bonds“ abgegolten werden. Japan sei es mit einer aktiven Zentralbankpolitik gelungen, seit den 1990er-Jahren seine Überschuldung ohne Bankenpleiten abzubauen. 

Siems befürchtete, dass bei einem solchen Vorgehen der Reformdruck auf die griechische Regierung schwände, sie plädierte dafür, dass Griechenland vorübergehend aus dem Euro ausscheide. Schick trat dafür ein, für Griechenland und andere überschuldete Länder wie Portugal, Irland und Spanien den Schuldenstand auf ein Niveau zu bringen, auf dem überhaupt Fortschritte möglich sind – „sonst sind sie in einer Vergeblichkeitsfalle“. Das sei für Griechenland mit dem 1. und 2. Hilfspaket noch nicht erreicht worden. Auch die griechische Regierung hätte mehr tun können, sie hätte entschlossener ihre Steuersünder verfolgen und zur Kasse bitten müssen, anstatt nur den Haushalt zusammenzustreichen. Und, so ein Beitrag aus der Publikumsrunde am Schluss, sie hätte weniger Geld in neue Waffen investieren sollen. Allein wenn die Rüstungsverkäufe aus der Bundesrepublik rückabgewickelt werden könnten, kämen bis zu fünf Milliarden Euro in Athens Staatskasse.