Interview mit dem brasilianischen Waldschützer Almir Surui

Lesedauer: 6 Minuten

Almir Surui: “Solange es irgend geht, werde ich weiter machen”

5. Mai 2008

Im Februar 2008 war Almir Surui, Mitglied der indigenen Surui-Gemeinschaft im südlichen Amazonasgebiet, Gast der Heinrich-Böll-Stiftung beim Entwicklungspolitischen Forum „Klima und Wandel in Amazonien“ in Berlin. Als Vertreter der COIAB (Coordenacao das Organizacoes Indigenas da Amazonia Brasileira – Koordination der Indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonasgebietes) präsentierte er auf der Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung die Anliegen der indigenen Bevölkerung und forderte eindringlich einen nachhaltigen Schutz des Amazonaswaldes ein. Dieser fiel in den vergangenen Jahren in großen Teilen der illegalen Holzwirtschaft und der Soja-Agro-Industrie zum Opfer.

In seinem Dorf verwirklicht Almir Surui mit internationaler Unterstützung mehrere Aufforstungsprojekte, die auf eine nachhaltige Bewirtschaftung der Flächen und eine Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Gemeinschaft abzielen. Sein Engagement kollidiert jedoch mit den Interessen der so genannten „Holzmafia“ und verschiedener Agrarunternehmer, die die abgeholzten Flächen für den Anbau von Soja nutzen wollen. Nach seiner Rückkehr von der Berliner Amazonienkonferenz in sein Dorf im Bundesstaat Rondonia erhielt der Waldschützer und Gründungsmitglied der regionalen grünen Bewegung nun Todesdrohungen. Mit ihm sprach Annette von Schönfeldt, Leiterin des Lateinamerika-Referats der Heinrich-Böll-Stiftung, am 2. Mai 2008 in Sao Paolo.


Annette von Schönfeldt: Almir Surui, was genau ist nach Ihrer Rückkehr nach Brasilien geschehen?

Almir Surui: Noch bevor ich in Brasilien ankam, hatte meine Familie von massiven Drohungen gegen mich gehört. Nachdem meine Verwandten diesen Gerüchten nachgegangen sind, bestätigten sich die Drohungen: Sie sollen von der Holzmafia kommen, mit der leider auch ein Teil meines Volkes zusammen arbeitet. Diese Drohungen sind sicher nicht unmittelbar auf meine Teilnahme an der Konferenz zurückzuführen, aber darauf, dass ich viel im Ausland unterwegs bin und mich für den Waldschutz ausspreche. Sie richten sich gegen mich und meine Familie.

Noch an demselben Tag, an dem ich aus Deutschland zurückkehrte und davon erfuhr, wurde meine Telefonleitung durchgeschnitten. Kurz darauf, am 25. März, traf ich mich mit mehreren Führungspersönlichkeiten der Surui-Gemeinden und fragte sie, was es mit den Drohungen auf sich hat. Sie berichteten mir von dem starken Druck der Holzmafia. Außerdem gäbe es Leute in der Gemeinschaft, die behaupteten, ich verdiene im Namen der Surui im Ausland viel Geld. Einige Surui wandten sich auch an die Bundespolizei und erklärten, ich verdiene viel Geld in ihrem Namen. Die Antwort der Behörde soll gewesen sein, dass ich zu den meist überwachten Personen gehöre und dass es keine Unregelmäßigkeiten festzustellen seien.

Annette von Schönfeldt: Wie erklären Sie sich dieses Verhalten einiger Ihrer Gemeindemitglieder?

Almir Surui: Ich setze mich für den Waldschutz ein, weil ich es für den einzigen möglichen Ausweg für unser Volk halte. Wenn jemand Unrecht hat, dann sind das meine Gemeindemitglieder und zwar aufgrund ihrer Geschäfte mit der Holzmafia. Ich habe versucht, ihnen meinen Standpunkt zu erklären und auch dass es mir nicht ums Geld geht, sondern um unseren Wald. In diesem liegt unsere Zukunft. Sie schwiegen und haben zugesagt, mich in Ruhe zu lassen.

Ich habe in meiner Gemeinde ein großes Aufforstungsprojekt. Manche meinten, sie brauchten auch solche Projekte. Dafür müssen sie aber erstmal aufhören, Bäume zu fällen. Nicht einmal, wenn ich viel Geld hätte, wäre es sinnvoll, dieses direkt an die Gemeindemitglieder auszuzahlen. Es geht schließlich darum, Initiativen aufzubauen, die Einkommen schaffen.

Annette von Schönfeldt: Und die Holzwirtschaft?

Almir Surui: Sie sehen, dass ich mit meinen Ideen an Einfluss gewinne, und dass sie an Einfluss verlieren – ihre illegalen Geschäfte sind also in Gefahr.

Annette von Schönfeldt: Wie reagiert die Politik in Ihrem Bundesstaat darauf, dass Sie selbst mit dem Tod bedroht werden und ein sinnvolles Projekt nun gefährdet ist?

Almir Surui: Die Basis der Bundesregierung von Rondonia sind die Holzhändler, Großgrundbesitzer und Sojagroßbauern, die unmittelbaren Druck ausüben. Aus diesem Grund ist zum Beispiel mein privates Konto gesperrt worden. Das Geld für das Aufforstungsprojekt unserer Assoziation läuft natürlich nicht über mein privates Konto weiter, sondern über das Konto der Organisation.

Der Gouverneur selbst hat auch keinerlei Interesse an Themen wie Umwelt, Umweltschutz, Waldschutz oder an den Indigenen und ihren Freunden. Die Regierung glaubt nicht daran, dass der geschützte Wald eine Lösung für die Entwicklung der Region sein kann. Und es gelingt ihnen, einen Teil unserer Bevölkerung davon zu überzeugen. Wir stehen dafür, dass wir unsere Region nur entwickeln können, wenn unser Wald erhalten bleibt und wir zu einer nachhaltigen Entwicklung kommen, in der wir auch zum Klimaschutz beitragen: Unser Wald garantiert unsere Lebensqualität. Die Politiker glauben, dass wir abholzen müssen, um zu wachsen, um Fleisch und Soja zu produzieren. Unsere Wachstumskonzepte sind verschieden, aber die Macht haben sie.

Annette von Schönfeldt: Und wie gehen Sie persönlich mit dieser Gefährdung um?

Almir Surui: In unserem Bundesstaat Rondonia macht sich derjenige, der die Natur, den Wald und damit die Zukunft schützen will, nur Feinde. Man muss schon sehr überzeugt sein und auch mehr als ein dickes Fell haben, um seine Positionen hier weiter zu vertreten. Umweltschützer zu sein ist nicht leicht, vielmehr ist es gefährlich. An viele von den hier Umgebrachten erinnert sich niemand, weil sie nicht über ihren Ort hinaus bekannt wurden.

Solange es irgend geht, werde ich weiter machen. Ich glaube, dass das der einzige mögliche Weg ist, der Zukunft hat. Und ich möchte, dass meine Kinder, meine Enkel und deren Kinder immer noch als Volk leben können, dass mein Volk weiter seine Kultur und Sprache behalten kann und in Harmonie mit dem Wald lebt. Und nur darum geht es mir. Ginge es mir nur ums Geld, hätte ich schon längst aufgegeben. Unterstützung bedeutet für mich mehr als Geld. Das Geld ist zwar auch wichtig, aber als Instrument, um diese Ziele zu erreichen. Aber für eine nachhaltige Entwicklung sind auch andere Dinge wichtig: Solidarität, die Chance, die eigenen Ideen zu verbreiten und Verbündete zu finden.

Annette von Schönfeldt: Wie kann eine sinnvolle Unterstützung, auch aus dem Ausland, für Sie in dieser Situation gestaltet werden?

Almir Surui: Um solchen Drohungen zu begegnen, ist unter anderem die Öffentlichkeit wichtig. Wenn es öffentliche Aufmerksamkeit für die Situation in Rondonia und auch für meinen Fall gibt, kann weniger schnell Dunkles geschehen. Es hat bereits eine Initiative mit Briefen an den Gouverneur in Deutschland gegeben. In London habe ich jetzt für „Economist“ ein Interview geben können. Ich hoffe, dass all dies dazu beitragen wird, mehr Transparenz und Sicherheit in der Region zu schaffen.

Mittelfristig wird mir jedoch meine Arbeit die größte Sicherheit bieten: Wenn meine Projekte Erfolg haben, wird sich die Situation ändern. Wir planen mit unserem Vorhaben für die nächsten 50 Jahre, in denen wir die Lebensbedingungen für unser Volk deutlich verbessern wollen: in den Bereichen Gesundheit, Bildung, nachhaltige Produktion und Zertifizierung dieser Projekte. Unser Land umfasst 250 000 Hektar. Wir versuchen zu beweisen, dass wir – auch wenn wir unsere eigene Kultur erhalten – Geld verdienen und uns weiter entwickeln können.

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