Zu beobachten ist daher, dass Rufe nach expertokratischen Lösungen der Krise lauter werden und demokratische Entscheidungen mehr und mehr Kommissionen, Sachverständigen und Politikberatern überlassen werden. Ebenso flirten so manche Politologen gar mit der Durchsetzungsfähigkeit autokratischer Systeme.
Angesichts gigantischer ökonomischer Modernisierungsprogramme von Regimen wie China, die weiterhin ohne Rücksicht auf Umwelt- und Lebensqualität durchgedrückt werden, ist dies fragwürdig. Doch der gegenteilige Schluss, dass sich liberal-demokratische Systeme bei der Abwendung der dramatischen Klimafolgen besser bewähren, ist empirisch auch nicht belegt.
Was also trifft zu? Viele Fragen und eine echte Forschungslücke, die die Grüne Akademie in ihrer dritten Sommerakademie mit neuen Impulsen und Antworten füllen konnte. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten diskutierten ihre Mitglieder zwei Tage lang über den Zusammenhang und das Zusammenwirken von Demokratie und Ökologie.
PANEL I (am Abend des 25.6.2010)
Ökologie - mehr als eine Randfrage für die Demokratie?
Vielleicht lag es am maroden Charme der Hörsaalruine des pathologischen Museums, vielleicht am heißen Klima außerhalb des Backsteinbaus der Berliner Charité - die Endzeitszenarien, mit denen Christoph Möllers seinen Vortrag eröffnete, schienen jedenfalls an diesem Abend nah: 2033 die ersten Malariafälle in Süddeutschland, der Hamburger Hafen nicht mehr schiffbar, der europäische Luftraum aufgrund von Verschmutzung gesperrt. Was passiert dann mit unserer Demokratie?, fragte der Professor für öffentliches Recht an der Humboldt Universität und Autor von „Demokratie – Zumutungen und Versprechungen“.
Die Krise und ihre Handlungsoptionen für die Demokratie
Möllers Antwort blieb zunächst vage: Aus keiner Krise lasse sich für die Demokratie etwas von selbst ableiten, so der Rechtsphilosoph, sondern stets nur verschiedene Handlungsoptionen. Auch historische Reminiszenzen gäben keinen Aufschluss über zwingende demokratietheoretische Lösungen, wie man etwa an den sehr unterschiedlichen politischen Antworten der USA im Gegensatz zu Deutschland auf die Weltwirtschaftskrise 1932 sehen könne.
Die zweite Frage, die Möllers stellte, betraf die Klimaproblematik selbst. Ist der drohenden ökologischen Krise seitens der Politik grundsätzlich anders zu begegnen als anderen Problemen? Möller verneinte dies: Es sei nicht weiterführend, dem ökologischen Problem einen Sonderstatus im demokratischen Diskurs einzuräumen. Vielmehr sei es nicht anders wie die Finanzkrise, Fragen der Biopolitik oder Schuldenbegrenzung zu behandeln. Die Ableitung seiner Begründung machte Möllers an vier Kategorien fest. Er bezeichnete sie als „Anfechtungen“, die die Demokratie als Lösungsinstrumentarium grundsätzlich in Frage stellen könnten:
Drei Anfechtungen für die Demokratie, die keine sind
Ist die Klimafrage eine existenzielle Anfechtung? Bezüglich dieser ersten Kategorie wählte Möllers eine relativierende Position. Ab wann man beginne, Probleme als existenziell zu bezeichnen, sei eine Frage des Blickpunktes und der sozialen Vermittlung. Schon heute kämpften, je nach Betrachtungsstandort auf dieser Welt, viele Menschen mit lebensbedrohlichen Problemen wie Hunger, Dürren und Krankheiten. Die möglichen Folgen der Klimakatastrophe seien somit längst nicht für alle Menschen neu. Ihnen eine höhere existenzielle Bedrohung zuzuschreiben, sei daher nur in einem nationalen Kontext berechtigt.
Als zweite Anfechtung bezeichnete Möllers die temporalen Effekte der Klimakrise, die schleichend und nicht linear verliefe. Er fragte daher, ob wir grundsätzlich andere Zeitstrukturen bräuchten als diejenigen der Demokratie, die dem Legislaturzyklus unterworfen ist. Auch hier konnte Möllers nur Gegenargumente finden: Der seit den 70er Jahren geführte Nachhaltigkeitsdiskurs bewiese etwa, dass Demokratie grundsätzlich fähig sei, in langfristigen Zyklen zu funktionieren. Legitimationstheoretisch ergäben sich zudem Probleme, wenn man heute für Betroffene entscheide, die noch gar nicht existierten. Ein weiteres Gegenargument sei epistemologischer Natur, hänge also an der Frage, wie Wissensaneignung und Wissensverarbeitung in der Demokratie zustande komme. Möllers sprach sich dabei gegen eine Reform des Wahlzyklus aus, da sowohl häufiger als auch seltener Wählen Dilemmata darstellten. Schließlich verwies er darauf, dass in der politischen Praxis der deutschen Umweltpolitik ohnehin langfristige Entwicklungen und Trends über alle Parteienkoalitionen hinaus bestünden.
Als dritte Anfechtung bezeichnete Möllers die Frage, ob die Demokratie mehr auf Expertenwissen und -einfluss angewiesen sei. Ganz grundsätzlich bezweifelte er dabei die gängige Lesart, die auf der einen Seite einen wissenschaftlichen Konsens (etwa dem Kausalzusammenhang zwischen CO2-Ausstoß und Erderwärmung) verorte und auf der anderen Seite das Fehlen einer befriedigenden politischen Reaktion darauf vermisse. Generell sei die Grenze, wo Verwissenschaftlichung ende und politisches Handeln beginne, schwer zu ziehen. Selbst aus der „Einsicht in die Notwendigkeit“ folge letztlich keine eindeutige Handlungsstrategie, die von Experten zu entscheiden sei. So stelle sich bei der Erderwärmung beispielsweise die normative Frage, ob man heute mehr in den Versuch sie aufzuhalten oder aber in den Katastrophenschutz investieren solle.
Die internationale Anfechtung durch Demokratisierung
Als vierte und einzig gültige Anfechtung für die Demokratie beurteilte Möllers die internationale Dimension des Klimaproblems, aus welcher sich zwei Unterfragen ergäben. Können Demokratien tatsächlich erfolgreicher, weil responsiver, auf Umweltprobleme reagieren als autoritäre Regime? Für Möllers ist dies nicht eindeutig zu beantworten, da belastbare empirische Daten fehlten und eine Vergleichbarkeit schwierig sei. Um allein nur die Klimagesetzgebung von Nationalstaaten zu vergleichen, müssten neben der unterschiedlichen Betroffenheit von der Katastrophe auch Abhängigkeiten wie fiskalische Spielräume berücksichtigt werden.
Anlass, an der Demokratie und ihrer grundsätzlichen Lösungsfähigkeit zu zweifeln, gebe jedoch die zweite Unterfrage: Sie bezieht sich auf die Formen, die sich seit den 90er Jahren in der internationalen Gemeinschaft zur Lösung des Klimaproblems etablierten. Die Zeit des bürokratischen „Institution Buildings“ wie etwa unter der Clinton-Regierung, so Möllers, sei vorbei. Statt direkten Formen der Zusammenarbeit der G8, etwa beim Kyoto-Protokoll, erlebten wir eine Vervielfältigung der Macht- und Koalitionsstrukturen hin zu G20. Kopenhagen habe eindrücklich gezeigt, dass neuere Demokratien wie Brasilien heute in der Lage sind, eine Einigung zu verhindern, weil sie völlig andere Prioritäten in Bezug auf ökologische Fragen setzten als die EU. Gerade die (eigentlich positiv zu beurteilende) Demokratisierung der Welt verhindere damit internationale Lösungen. In seinem Fazit sprach Möllers sich dafür aus, international für eine radikalere und einheitliche europäische Position in Sachen Klimapolitik einzutreten. Eine Europäisierung sei, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, der einzige erfolgversprechende institutionelle Pfad.
Plädoyer für die Demokratie
Einen weiteren Blick auf die Frage, ob die ökologische Krise wirklich demokratisch zu lösen sei, warfen im Folgenden Petra Dobner, Politikwissenschaftlerin und Autorin des Buches „Wasserpolitik“ und die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms.
Dobner widersprach Möllers Einschätzung und bezeichnete die ökologische Krise sehr wohl als Problem, das sich von bisherigen unterscheide. Gleichzeitig stimmte sie ihm zu, dass es nicht durch expertokratische Lösungen zu bewältigen sei. Zunächst müsse man definieren, was unter einem ökologischen Problem zu verstehen sei. Allein auf dem Feld der globalen Wasserpolitik, die Dobner für ihr Buch untersuchte, zeigten sich die vielfältigen Dimensionen eines Problems, das zur Analyse in Wissens-, Zeitprobleme etc. unterteilt werden könne. Da Wissensaneignung jedoch ein permanenter Prozess sei, tauge der Ruf nach expertokratischen Lösungen nicht. Vielmehr sei Wissensaneignung ebenso wie die daran anschließende Umsetzung in politisches Steuerungswissen eine demokratische Kernfrage. Da die Demokratie sich am Gemeinwohl orientiere, sei sie als Verfahrensform am besten geeignet, sogar alternativlos. Dobner forderte, der Versuchung zu widerstehen, scheinbar effizientere Alternativen zu bevorzugen.
Kulturwandel als Antwort
Zunächst ging auch Rebecca Harms in ihrer Keynote auf das Problem des Nichtwissens ein. Was auf uns zukommt, sei ungewiss. Sie fühle sich vom breiten Konsens in der Wissenschaft jedoch bestätigt, die Klimakatastrophe ernst zu nehmen. Zudem erschien sie ihr aus der Betrachtung unserer Lebensverhältnisse plausibel, denn wir lebten über unsere Verhältnisse und verbrauchten zu viel von begrenzten Rohstoffen.
Inwiefern ein Staat nun seine Bürger und die Industrie einschränken dürfe, sei ein ernstzunehmender Diskurs um den Freiheitsbegriff. Die Böll-Stiftung habe ihn zuletzt am Beispiel der Edison-Glühbirne erhitzt geführt, erinnerte Harms. Dennoch halte sie die Penetranz, mit der die Freiheitsfrage angesichts ökologisch orientierter Politik gestellt werde, für falsch. Denn bei der Klimakrise handele es sich vor allem um ein Gerechtigkeitsproblem: Der Schaden werde hauptsächlich in den Ländern eintreten, die nicht zu den Hauptverursachern gehörten. Daher läge die Hauptlast, entsprechend ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten zu handeln bei den Verursacherländern. Wie in Kopenhagen nun zu fordern, die Anderen müssten mehr tun, sei unfair.
Am Beispiel der Ölkatastrophe um den Bohrturm „Deepwater Horizon“ zeigte Harms auf, warum die Diskussion und die Übersetzung, die Politik eigentlich leisten sollte, falsch laufe: Statt über Details zu streiten, müsste die Politik auf einen Kulturwandel drängen. „Die Ölkatastrophe sollte ein Boykottaufruf jedes Einzelnen gegen sich selbst sein, nicht zur Tankstelle zu fahren, “ sagte Harms. Politik müsse endlich die Umkehr zum „weniger ist mehr“ auf kluge Art schmackhaft machen. Abschließend lobte sie die Grünen, die es als erste geschafft hätten, mit dem Begriff des Green New Deals ökologische Ideen mit volkswirtschaftlicher Modernisierung zu verbinden.
Diskussion: Grüne Aktionen statt Verharmlosungsstrategie
Die offene Diskussion unter der Moderation von Willfried Maier im Anschluss entzündete sich vor allem an Christoph Möllers These, ökologischen Problemen sei kein Sonderstatus im demokratischen Diskurs einzuräumen. Die meisten Redebeiträge befürworteten eine Position, die der Klimakrise eine existenzielle Dimension und damit einen herausragenden Status unter anderen Problemen zuwies. Begründet wurde dies mit einer genaueren Unterscheidung der Analyseebenen: Wohlfahrtsstaatliche Probleme wie Armut oder Ungleichheit, so ein Teilnehmer, basierten im Gegensatz zum Klimaproblem weiterhin auf einem Wachstums- und Fortschrittsmodell. Die ökologische Krise stelle den expansiven Wachstumsgedanken der Menschheit jedoch generell in Frage. Für ihre Lösung sei daher mit der Marktlogik zu brechen. Auch Anne Ulrich wies darauf hin, dass unsere Ressourcen fressende Lebensweise keine rein demokratische Entscheidung sei, sondern mit Marktmechanismen erklärt werden müsse.
Weitgehend Konsens bestand auch darin, an der Demokratie als Verfahrensform festzuhalten. Sie müsse jedoch durch neue Formen ergänzt werden. Ansätze dafür lägen in der Aktivierung der Bürger. Ein Teilnehmer kritisierte Möllers Vortrag als eine postmoderne Verharmlosungsstrategie und forderte eine radikalere Politisierung angesichts des Klimaproblems und einen neuen grünen Aktivismus.
Eine konkrete Antwort, wie eine Radikalisierung der grünen Position aussehen könnte, gab Rebecca Harms. Die Europapolitikerin erklärte aus dem internationalen „Klimazirkus“ aussteigen zu wollen, da er keinerlei verbindliche Lösungen mehr beabsichtige. Um glaubwürdig zu bleiben, müsse man Lösungen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene vorantreiben. Möllers bezeichnete eine solche Rückzugsgeste als „symbolische Politik“, wollte ihre Vorbildfunktion aber nicht leugnen.
Dieter Rulff äußerte als einer der wenigen eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Demokratie. Sie habe gezeigt, dass sie das Klimaproblem nicht löse, sagte Rulff. Deshalb müsse man Abschied vom Gedanken einer Präventionspolitik nehmen. Politik werde erst wieder in der Katastrophe selbst gemacht, so seine Prophezeiung.
PANEL II (am Vormittag des 26.6.2010)
Welche institutionellen Antworten entwickeln Demokratien im Umgang mit der klimapolitischen Herausforderung? Und warum wir einen ökologischen Rat brauchen.
Ging es beim ersten Panel am Vortag mehr um die diagnostische Perspektive, wie Klimapolitik und Demokratie sich zueinander verhalten, widmete sich das zweite Panel unter der Moderation von Lothar Probst Ideen und Ansätzen, wie das Klimaproblem institutionell und/oder demokratisch zu lösen sei. Thomas Saretzki, Politikprofessor mit Lehrstuhl an der Universität Lüneburg, gab im ersten Teil seines Powerpoint-Vortrags einen beeindruckenden Überblick über den Forschungsstand zur Umweltperformanz von Demokratien. Im zweiten Teil erörterte er die Frage, wie politisches Handeln angesichts des Klimaproblems aussehen könnte. Im Anschluss an eine kurze Diskussion legte Tine Stein, Professorin für politische Theorie an der Universität Kiel, eine Analyse des demokratischen Verfassungsstaates und Reformvorschläge für diesen vor. (Das dritte Panel am Nachmittag entfiel, weil die Anreise einiger Podiumsteilnehmer sich verzögerte.)
Klimadebatte als Indiz für Demokratieversagen
Thomas Saretzki widersprach zu Beginn seines Vortrags Christoph Möllers These vom Vortag und bezeichnete die Klimakrise als neuartiges Problem, da es ökologisch vernetzt sei und systemischen Charakter habe. Als Beweis sah er auch den hohen Mobilisierungsgrad an, den diese Krise im Gegensatz etwa zu Debatten um Biodiversität auslöse. Die aktuelle Klimadiskussion werde heute weitgehend zusammen mit der These eines Demokratieversagens geführt: entweder in ihrer ganz physischen Interpretation, dass durch die Wirkung von Umweltkatastrophen auch der Staat samt politischem System untergehe. Oder aber in einer Interpretation, die die Demokratie aufgrund ihrer Unfähigkeit bedroht sehe, die gesellschaftlichen und politischen Folgen von Umweltkrisen zu bewältigen. Saretzki verdeutlichte, dass seine folgenden Analysen auf einem Verständnis von Demokratie als „normativ geregeltes System zur Lösung von Problemen und dabei entstehenden Konflikten“ basiere. Bei der Problembearbeitung seien daher die zwei Fragen nach der Leistungsfähigkeit des Systems einerseits, und der Legitimität des Systems andererseits analytisch-normativ zu trennen. Ziel müsse sein, das politische System so umzubauen, dass es ökologisch problemlösungsfähig sei.
Was ist ökologische Problemlösungsfähigkeit?
Die Problemlösungsfähigkeit von Demokratien auf Aspekte der input-output-Legitimation zu verkürzen, sei nicht zielführend, sagte Saretzki. Es bedürfe einem erweiterten Verständnis von Problemlösungsfähigkeit. In die wissenschaftliche Analyse des Begriffs müssten Fragen nach der politischen Meinungs- und Willensbildung miteinbezogen werden. Zunächst definierte er ein „Problem“ als Differenz zwischen Soll- und Ist-Zustand. Diese Differenz müsse jedoch nicht nur beschrieben, sondern auch bewertet werden. Eine Problemdefinition sei damit immer ein normativer Prozess, der durch Meinungs- und Willenbildung bestimmt werde. Ebenso bestünden auf Ebene der „Problemlösung“, also der Beseitigung der Soll- und Ist-Differenz, jede Menge Bewertungsprobleme. Am Beispiel der Erderwärmung zeige sich, dass sowohl der Ist-Zustand verändert werden könne (durch Reduktion des CO2-Ausstoßes) aber auch der Soll-Zustand als unrealistisch aufgegeben werden könne (Abschaffung des 2°C-Zieles) . Eine Definition des Begriffs „Problemlösungsfähigkeit“ schließlich, so Saretzki, müsse noch die Möglichkeiten des politischen Systems und die Bereitschaft zur Problemlösung in die Politikfeldanalyse mit einbeziehen. In einem letzten Schritt sei zu unterscheiden, wo die ökologische Problemlösungsfähigkeit angesiedelt sei: innerhalb des politisch-administrativen Systems; in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen; und über nationale Grenzen hinweg.
Pro und Contra der demokratischen Problemlösungsfähigkeit
Hinsichtlich der ökologischen Problemlösungsfähigkeit der Demokratie existierten zwei diametral entgegen gesetzte Theorieschulen. Kurz referierte Saretzki eine Untersuchung von Payne (1995) , der Demokratien für gut geeignet hält, da sie lernfähiger und responsiver seien und die Rechte des Einzelnen stärkten, sowie freien Informationsfluss garantierten. Die Contra-Position dazu vertrete Midlarsky (1998) , der Demokratien nur eine schwache Fähigkeit zur ökologischen Problemlösung bescheinige, da sie nur schwer eigennützige Interessensgruppen und ertragsorientierte Unternehmensinteressen in Schranken verwiesen.
Umweltperformanz von politischen Systemen
Does Democracy matter?, fragte Saretzki und antwortete sogleich: Empirisch sei nicht belegt, dass Demokratien effizienter mit Umweltproblemen umgehen. Ausmaß und Richtung des gemessenen Demokratieeffektes hingen stets stark vom Forschungsdesign der Studien ab. „Die Policy-Implikationen, die auf Basis der Studien formuliert werden, reflektieren die Policy-Präferenzen der jeweiligen Forscher“, so Saretzki. Umgekehrt gelte jedoch auch: Es gibt keine empirischen Studien, die autokratischen Systemen wie China eine höhere Leistungsfähigkeit hinsichtlich ihrer Umweltperformanz bescheinigen. Bei der Problembearbeitung sei daher nicht die Gegenüberstellung von Demokratie versus Autokratie zu beachten, sondern nach einer möglichen oder nötigen „Entdemokratisierung von Demokratie“ zu fragen. Diese könne sowohl in einer größeren Kompetenzzuweisung an den Markt und die Wissenschaft, als auch in der Einschränkung der demokratischen Mitbestimmung liegen. Entscheide man sich jedoch gegen eine Entdemokratisierung, gelte es unterschiedliche Modelle einer Demokratisierung zu skizzieren.
Von der ökologischen Maßnahme zur Strategie
Politisches Handeln erfolge heute nicht mehr entlang der klassischen Begriffe wie Maßnahmen, Pläne und politische Programme. Der Schlüsselbegriff für handlungsorientierte Politikkonzepte sei heute die Strategie. Insbesondere in der Umwelt- und Klimapolitik habe der Begriff bei allen letzten Bundesregierungen Verwendung gefunden. Aufgabe der politikwissenschaftlichen Analyse sei daher, im Rahmen von Länderstudien Umweltstrategien von Regierungen zu vergleichen und zu evaluieren. Aus Zeitgründen konnte Saretzki auf derartige Vergleichsstudien nicht mehr eingehen. Er verdeutlichte jedoch am Beispiel der Klimadebatte, dass Politik sich stets für bestimmte Strategien entscheiden müsse: Die Klimadebatte werde heute weitgehend in Bezug auf Klimaschutz (mitigation) geführt. Allerdings sei strategisch auch die Klimaanpassung (adaptation) ein Option. Entscheide man sich für das Ziel Klimaschutz (Reduktion des CO2-Ausstoß) erfordere dies ein vollkommen anderes Maßnahmenbündel als das Ziel der Klimaanpassung, die die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft bei einer Erwärmung steigern will. Maßnahmen seien demnach immer von der strategischen Zielbestimmung abhängig.
Diskussion: neuer politischer Strategiebegriff
Der Strategiebegriff wurde in der kurzen Debatte im Anschluss aufgegriffen. Zunächst kamen jedoch Nachfragen zur Verfasstheit der Demokratie und Umweltperformanz. Wie demokratisch funktionieren unsere Organisationen tatsächlich?, fragte ein Teilnehmer, dem der Begriff der Marktmacht in Saretzkis Vortrag fehlte. Marktgiganten wie Monsanto organisierten heute Mehrheiten. Das Problem sei demnach nicht die Demokratie, sondern die defizitäre Demokratie, die zu sehr von der Ökonomie bestimmt sei. Saretzki entgegnete, dass auch eine derartige Dynamik zur Entdemokratisierung (mehr Macht an Markt) letztlich auf Entscheidungen im politischen System selbst beruhte.
Eine weitere Rückfrage betraf die Umweltperformanz von Demokratien und ob bestimmte Faktoren, wie etwas mehr Plebiszite, ein höherer Protestantenanteil in der Gesellschaft etc. sie befördern. Erneut verwies Saretzki auf die unzureichende empirische Datenbasis, die zudem einen „mixed evidence“ aufzeige: Etwa bescheinigten einige Studien föderalen Systemen und Mehrparteiensystemen eine höhere Umweltperformanz. Andere Studien dagegen hielten zentral organisierte Systeme für leistungsfähiger. Hier sei ein großer Forschungsbedarf.
Zuletzt wurde noch der Strategiebegriff diskutiert, dessen bisherige Verwendung in entweder militärhistorischem oder betriebswirtschaftlichem Kontext problematisiert wurde. Statt Freund-Feind-Kategorien oder einem Denken in Kosten-Nutzen-Kalkülen, so Saretzki, müsse „politische Strategie“ begrifflich neu definiert werden. Dem Einwand, dass eine Strategie nur symbolische Politik befördere, weil sie im Gegensatz zur Sofortwirkung einer Maßnahme Ergebnisse erst für die Zukunft verheiße, widersprach Saretzki. Strategie eigne sich als Begriff, da er eine klare Ziel-Mittel-Relation habe und intuitives, situatives Handeln unterbinde.
Den Blick auf die Grünen richtete zuletzt eine Teilnehmerin, die sich fragte, mit welchen politischen Strategien Verhaltensweisen und Einstellungen bei den Bürgern verändert werden können. In den vergangenen Jahrzehnten sei es etwa gelungen, das Erziehungsverhalten von Eltern gegenüber ihren Kindern zu erneuern. Heute werde wesentlich offener erzogen, Gewalt sei geächtet. „Welche Lehren können wir daraus für das Umweltverhalten ziehen und wie diese übertragen?“, fragte sie. Für die Grünen müsse es darum gehen, positive Anreize für Verhaltensänderungen zu schaffen. Ebenso sollten sie Informationen so vermitteln, dass sie stets einen Bezug zum Verhalten des Einzelnen schaffen.
Kritik und Reform der Demokratie
Im zweiten Teil des Panels stellte die Politikprofessorin Tine Stein Überlegungen zu möglichen institutionellen Reformen des Systems an. Zunächst lieferte sie eine Diagnostik zum Zustand des demokratischen Verfassungsstaates in seinen verschiedenen Ausformungen (repräsentative, pluralistische und konstitutionelle Demokratie) . Im zweiten Teil untersuchte sie dann Systemalternativen sowie Therapievorschläge. Dabei vertrat sie die These, dass der Verfassungsstaat in Bezug auf das ökologische Problem sein Versprechen nicht einhalte: nämlich die demokratische Mehrheit wirksam zu mäßigen und die politische Vernunft auf nachhaltige Lösungsvorschläge zu konzentrieren. Sie belegte ihre These bei allen drei Formen:
Die repräsentative Demokratie kranke aufgrund des Wettbewerbs an einer Gegenwartspräferenz, da heutige Kosten mehr als zukünftige gefühlt würden. Daher fänden in der Wettbewerbsdemokratie nachhaltige, zukunftsfähige Politikangebote keine Mehrheit.
Die pluralistische Demokratie dagegen sei zwar grundsätzlich in der Lage, den Sachverstand in der Gesellschaft abzurufen. Jedoch hätten die einzelnen Interessensverbände nicht die gleiche Macht. Etwa könnten Umweltverbände im Gegensatz zu Gewerkschaften keine systemrelevanten Leistungen (Arbeit) verweigern. Für institutionelle Reformen sei daher zu bedenken, wie die Stellung ökologischer Verbände gestärkt werden könne.
Die institutionelle Demokratie schließlich, so Stein, verankere den Freiheitsschutz rechtlich, schütze so aber auch vor politischer Regulierung. Freiheitliche Grundrechte fungierten daher als Bollwerk gegen Umweltschutz, wie man am Beispiel der USA sehen könne. Eine institutionelle Reform dieses Modells müsste verschiedene Freiheitssphären unter ökologischen Aspekten neu austarieren.
Systemalternativen jenseits der Öko-Diktatur?
In einem kurzen historischen Rückblick kritisierte Stein alle bisherigen Systemalternativen als zu stark ideologisch oder gar totalitär und erinnerte an Modelle einer Öko-Diktatur von Herbert Gruhl und Robert Heilbronner. Für interessant befand sie jedoch das transzendental anmutende Öko-Regime von Rudolf Bahro: Bahro bezeichnete die ökologische Krise als eine Krise des menschlichen Ichs, das versuche die Begrenztheit der eigenen Existenz durch maßlosen Konsum zu überwinden. Westliche Demokratien seien daher zu Systemen verkommen, die nur noch die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse organisierten. Gegen diese ökonomisch dominierte Sphäre setzte Bahro die wahrhaft politische (die ökologische civitas terrena) . In ihr herrsche eine grundsätzliche Fähigkeit zur eigenen Geistigkeit. Institutionell wollte Bahro sie in einem „House of the Lord“ verankert sehen – einer Kammer, die langfristige, übergeordnete Interessen kenne und diese gegenüber dem Unterhaus, das von materialistischen Bauchinteressen geleitet werde, verteidige.
Aufgrund seiner totalitären Konzeption stellten Bahros Ideen keine Systemalternative, so Stein. Jedoch könnten systemimmanente Reformvorschläge in einer weniger radikalen Form daraus abgeleitet werden. Möglich wäre etwa, ein starkes Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, das sich gegen ökonomische Interessen wendet und auf ökologische Verantwortung zielt - etwa indem eine ökologische Grundrechtsschranke und die Berücksichtigung von zukünftigen Generationen im Gesetz festgeschrieben werden.
Die Idee des Ökologischen Rates
Neben inhaltlichen müssten jedoch auch prozedurale Reformen in der politischen Willens- und Entscheidungsbildung initiiert werden. Im Rückgriff auf Bahros Vorschlag eines „House of the Lord“ sprach sich Stein für einen „Ökologischen Rat“ aus, der jedoch nicht als „Club der Erleuchteten“ fungieren dürfe. Ein Öko-Rat, wie er auch im Hinblick auf eine Reform des Institutionensystems der EU diskutiert wurde, stelle vielmehr eine „Reflexionsschleife“ dar, die es erlaube für teurere, aber zukunftsfähigere Lösungen zu werben. Stein plädierte dafür, den Ökologischen Rat mit einem suspensiven Vetorecht auszustatten, so dass er einmalig Gesetze und Verordnungen an den jeweiligen Normsetzer zurückverweisen könne. Er sei jedoch nicht mit den demokratischen Gewalten gleichzusetzen. Als „Konsultative“ könnten die einzelnen ökologischen Räte mit ihrer „gutachterlichen Kompetenz“ ein Gegengewicht zur Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes bilden.
Ferner sollten in einem ökologischen Staatswesen auch verstärkt plebiszitäre Elemente berücksichtigt werden, auch um bürgerliches Engagement jenseits des Staates zu befördern. Ebenso sprach sich Stein für ein stärkeres Verbandsklagerecht aus, das Umweltorganisationen mehr Drohpotenzial verschaffe.
Diskussion: Skepsis gegenüber rigiden Reformen
Sowohl eine Erweiterung des Verbandsklagerechts sowie der Vorschlag eines Ökologischen Rates in Anlehnung an Bahro wurden in der abschließenden Diskussion kritisch bewertet.
Eine Umweltverband-Aktivistin wies darauf hin, dass in der Praxis Verbandsklagen etwa gegen einen Flughafenausbau oft zu einer Delegitimierung der Verbände führten. Jenseits der acht Prozent Grünen-Wähler fehle die Unterstützerbasis. Willfried Maier sah darin einen wichtigen Lernprozess für Verbände: Sie müssten lernen, die Klage-Waffe geschickter als Drohgebärde einzusetzen. Kritisch äußerte er sich auch gegenüber den prozeduralen Reformvorschlägen von Tine Stein: Volksbegehren und -entscheide hätten kaum zur Selbstaufklärung der Bevölkerung beigetragen. Eher zeigten sie eine Tendenz zum populistischen Hochschaukeln der jeweiligen Debatte. Als Gegenbeispiel verwies er auf direkte Demokratieformen in der Schweiz, wo durch eine engagierte Informationspolitik und längere Fristen tatsächlich mehr Aufklärung der Bürger gelungen sei.
Interessant war auch Hubertus Buchsteins Hinweis, dass sich in den letzten 20 Jahren nur diejenigen institutionellen Reformen in der Demokratie durchgesetzt hätten, die auf weniger rigide Methoden setzten. Er appellierte für ein „House of Lots“, einem breit aufgestellten, informellen Gremium, das jedoch kein neuer Veto-Player sein dürfe. Davon gebe es in der Demokratie genug.
Ähnlich argumentierte auch Christoph Möllers, der den Zeitfaktor zu Bedenken gab: Eine weitere Kammer würde das Zeitproblem, das hinsichtlich der ökologischen Probleme bestehe, nur verschärfen. Grundsätzlich müssten institutionelle Reformen eher auf eine Beschleunigung der Lösungsprozesse abzielen.
Stein wollte diesen Einwand in ihrem Fazit nicht gelten lassen. Der Vorteil eines Ökologischen Rates bestünde darin, dass er eine politische Basis für verantwortlichere Lösungen organisieren könne. Historisch sei die Demokratie als Erfolgsgeschichte immer an den ökonomischen Bedingungen gehangen. Wie sie sich jedoch entwickle, wenn die Luxusrate in der Bevölkerung sinke, sei ungewiss. Um ihren Erhalt zu sichern, so Stein abschließend, seien institutionelle Reformen daher unbedingt nötig.