Von Dragoslav Dedovic, Büro der Heinrich-Böll-Stiftung Südosteuropa, Belgrad, Serbien
„Kosovo ist Serbien“ – unter diesem Slogan organisierte die serbische Regierung am 21. Februar eine Großdemonstration in Belgrad. Der Protest sollte die Ablehnung der am 17. Februar erklärten Unabhängigkeit des Kosovo unterstreichen. Eine beeindruckende Menschenmenge versammelte sich vor dem alten jugoslawischen Parlament im Zentrum Belgrads. Deutsche Quellen sprechen von 200.000, serbische Politiker von 350.000 Demonstranten. Dies sei „die größte Menschenversammlung in der Geschichte der Stadt“ gewesen, verkündete die nationalistische Serbische Radikale Partei (SRS).
Versteckte Drohung gegen das Kosovo
Politiker, Künstler und Sportler heizten die Menge mit Beschwörungen an, forderten, das Kosovo müsse serbisch bleiben. Ungewöhnlich leidenschaftlich sprach Ministerpräsident Vojislav Kostunica vom Kosovo als eine identitätsstiftende Konstante in der serbischen Geschichte. Seine Rede offenbarte seine ideologische und politische Nähe zum Chef der Radikalen, Tomislav Nikolic. Dieser sprach nach ihm und schickte giftige Worte westwärts. Ausdrücklich lobte er Russland, Griechenland, Spanien und alle „wahrheitsliebenden Nationen“, die das Kosovo nicht anerkennen. Eine seiner Äußerungen klang wie eine versteckte Drohung: „Zwingen Sie uns nicht, dass wir so eine Großdemonstration auch im Kosovo organisieren.“ Der Ministerpräsident der bosnisch-herzegowinischen Entität Republika Srpska, Milorad Dodik, ließ seinen serbisch-nationalen Gefühlen in Belgrad freien Lauf. Die Republika Sprska werde das Kosovo nie
anerkennen, Serbien bleibe das Vaterland der bosnischen Serben.
Einer fehlte bei dieser Versammlung: Präsident Boris Tadic war zu Besuch in Rumänien, obwohl seine Demokratische Partei (DS) die Großdemonstrationen formell mitunterstützt hatte. DS-Minister waren nicht unter den Rednern. Tadics Quadratur des Kreises – gleichzeitig ein serbisches Kosovo und ein europäisches Serbien zu beschwören – läßt ihn in den Augen vieler Anhänger schwach aussehen: Die große politische Bühne in der serbischen Hauptstadt überließ Tadic seinem nationalistischen Koalitionspartner Kostunica sowie Kostunicas Rechtsaußen-Reservepartner Nikolic.
Demonstranten zünden US-Botschaft an
Nach den politischen Ansprachen zogen die Demonstranten zum Tempel des Heiligen Sava, wo die serbische Kirche ein „Gebet für die Rettung der Kosovo-Serben“ zelebrierte. Die anschließende Rede des Bischofs Amfilohije, die Nummer eins in der Kirchenhierarchie, war ein vor monumentaler Kulisse gut performter Kirchensegen für einen harten Kosovo-Kurs. „Entweder leben Serben in Freiheit oder sie sterben für die Freiheit“, mahnte er.
Hunderttausende Demonstranten waren am Donnerstagabend in ganz Serbien unterwegs. Unter ihnen befanden sich Gruppen jugendlicher Hooligans, die sich vor der US-Botschaft versammelten und diese später anzündeten. Medienberichten zufolge fanden Sicherheitskräfte am nächsten Morgen eine verkohlte Leiche im Gebäude der US-Botschaft, die bislang noch nicht identifiziert werden konnte. Jugendliche attackierten außerdem die Deutsche Botschaft sowie Vertretungen von Kroatien, der Türkei und Großbritanniens. Bei den Auseinandersetzungen zwischen gewalttätigen Demonstranten und der serbischen Polizei wurden rund hundert Menschen verletzt. Unbekannte plünderte mehrere Geschäfte im Zentrum von Belgrad.
Politisch turbulente Zeiten für Serbien
Während sich das Kostunica-Lager auf milde Verurteilungen und Appelle beschränkt, auch viel Verständnis zeigt für die Kosovo-Frustration, wird der zweite Mann der Serbischen Radikalen Partei, Aleksanda Vucic, wesentlich deutlicher: „Für euch Journalisten waren damals die Menschen Helden, die 2000 während der sogenannten Demokratischen Revolution das Parlament angezündet haben. Und heute bezeichnet ihr die jungen Menschen als Hooligans, die gegen den Raub eines Teils ihres Landes Gewalt anwenden.“
Vesna Pesic von der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) beschuldigte in einem Fernsehinterview die Regierung, die Gewalt geduldet oder sogar mitorganisiert zu haben. Tatsächlich waren die diplomatischen Vertretungen der westlichen Länder nicht ausreichend polizeilich gesichert, obwohl es in den vergangenen sieben Tagen mehrmals zu Ausschreitungen gekommen war. Auch schritt die Polizei nicht sofort ein. Die Appelle von Staatspräsidenten Tadic, die Demonstranten mögen Ruhe bewahren, wirkten eher hilflos als entschlossen. Serbien stehen politisch turbulente Zeiten bevor.