Am 7. Mai 2009 fand in Prag der lange geplante Gipfel zur Östlichen Partnerschaft statt. Die EU möchte mit diesem Projekt ihre Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) in Richtung Osten intensivieren. Allerdings ist die Europäische Union in der tschechischen Hauptstadt mit ihrer B-Mannschaft aufgelaufen. Zehn der 27 Länder ließen sich nicht von ihren Spitzenrepräsentanten vertreten, die Herren Sarkozy, Brown, Berlusconi und Zapatero blieben genauso zu Hause wie beispielsweise der litauische Ministerpräsident oder sein luxemburgischer Kollege. Italien schickte den Wohlfahrtsminister, die Österreicher hatten überhaupt kein Kabinettsmitglied übrig, sondern entsandten den EU-Botschafter zum „Gipfel“. Deutlicher hätte man die Schwierigkeiten, die die EU um Umgang mit ihrer östlichen Nachbarschaft hat, nicht illustrieren können.
Schon als die Osterweiterung der EU, die dann 2004 bzw. 2007 stattfand, sich abzeichnete, war klar, dass die neuen Mitglieder auch neue Nachbarn mitbringen, mit denen man ebenfalls umgehen musste, um den gesamten Kontinent zu einer Zone der Stabilität und Prosperität zu machen. Auch klar war allerdings, dass die bis dahin angewandte Methode, nämlich den Partnerstaaten die EU-Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen und schließlich auch zu gewähren, an ihr Ende gekommen war. Die EU hat den Sprung von 12 auf 27 Mitglieder innerhalb von zwölf Jahren noch nicht verkraftet. Ihre institutionelle Reform ist nicht unter Dach und Fach, geschweige denn eingespielt. Die Union führt außerdem Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei, hat Mazedonien zum Kandidaten auf die Mitgliedschaft ernannt und den anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien, nämlich Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, implizit auch Kosovo, und darüber hinaus Albanien eine generelle Beitrittszusage gegeben. Damit ist die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union erschöpft, wenn man von Ländern wie Island, das bereits Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums und damit des EU-Binnenmarktes ist, einmal absieht.
Um den anderen Staaten im Osten des Kontinents ein Angebot zur Zusammenarbeit zu machen, hob die Europäische Union im Jahr 2003 die Europäische Nachbarschaftspolitik aus der Taufe. Ihr Ziel ist es, die Partner eng, aber unterhalb der Mitgliedschaftsebene, an die Europäische Union zu binden. Der damalige Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, fasste dieses Konzept in dem Slogan „Everything but institutions“ zusammen, womit eine weitestgehende Annäherung an die EU gemeint, eine Teilhabe an den Entscheidungsmechanismen aber ausgeschlossen ist.
Die Europäische Nachbarschaftspolitik war gedacht für die Staaten des östlichen Europa, ins Leben gerufen wurde sie dann jedoch auch für die Länder am südlichen Ufer des Mittelmeers. Mit denen betrieb die EU bereits seit 1995 den sogenannten Barcelona-Prozess. Dennoch bestanden die Mittelmeerländer in der EU darauf, die Partner von der anderen Küste in die ENP einzubeziehen, da sie Angst hatten, die EU könnte sich zu stark auf den Osten fokussieren.
Im Ergebnis war weder die Europäische Nachbarschaftspolitik nach Osten, noch die in Richtung Süden erfolgreich. Dennoch wurde ein erster Versuch der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die beiden Ansätze mit der sogenannten ENP-Plus zu entkoppeln, im Vorfeld von den Partnern erstickt. Erst als der französische Präsident Sarkozy im Juli 2008 eine „Union für das Mittelmeer“ aus der Taufe hob, um Europas Engagement im südlichen Mittelmeerraum zu stärken, war auch der Weg für eine gesonderte Politik in Richtung Osten frei.
Auf der Basis eines polnisch-schwedischen Vorschlags beschloss die Europäische Union 2008, eine Östliche Partnerschaft ins Leben zu rufen. Die Adressaten dieser Initiative sind die östlichen ENP-Länder Ukraine, Republik Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und auch Belarus, das in der ENP vorgesehen war, dort aber wegen der innenpolitischen Verhältnisse in Minsk nicht einbezogen wurde. Russland, mit dem die EU eine „strategische Partnerschaft“ pflegt, die allerdings bislang kaum Resultate gezeitigt hat, ist kein Zielland der Östlichen Partnerschaft. Von Fall zu Fall will man Russland allerdings anbieten, an konkreten Projekten mitzuwirken, eine Offerte, die in Moskau niemanden fasziniert hat.
Im Prinzip ist die Östliche Partnerschaft die Fortsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik in größerer Intensität. Die Beziehungen der Partnerstaaten mit der EU sollen bilateral und multilateral entwickelt werden. Dabei bietet man den Ländern eine neue Form von Assoziierungsabkommen an, die auch zu einer umfassenden Freihandelszone und damit der Teilnahme am Binnenmarkt führen sollen. Den Staaten werden Unterstützung zum Ausbau ihrer Verwaltungskapazitäten sowie zur Verringerung der sozialen Disparitäten im Land angeboten. Auch auf dem Gebiet der Energiesicherheit und des Energietransits soll es zu einer engen Zusammenarbeit kommen.
Im Bereich der multilateralen Kooperation sind mehr Abstimmung untereinander sowie regelmäßige Treffen auf Spitzen-, Außenminister- und Expertenebene vorgesehen. Die Diskussion soll auf vier „Plattformen“ geführt werden, die sich mit der Entwicklung von Demokratie und guter Regierungsführung, mit wirtschaftlicher Integration und Annäherung an die EU-Standards, mit Energiesicherheit sowie mit mehr Kontakt zwischen den Menschen befassen werden.
Die Abschlusserklärung des Prager Treffens enthält zudem die Überlegung, ein gemeinsames Parlament zu etablieren. Es bleibt allerdings völlig unklar, wie dieses Parlament zusammengesetzt werden und vor allem, was es beschließen soll. Auch ein zivilgesellschaftliches Forum der Östlichen Partnerschaft ist geplant.
Die kritische, in der Ukraine, in Moldova und in Georgien häufig gestellte Frage nach einer Mitgliedschaftsperspektive wird ausgeklammert. Die Entwicklung der Östlichen Partnerschaft finde unabhängig von den Erwartungen der Partnerländer in Bezug auf ihre künftigen Beziehungen mit der EU statt, heißt es ein wenig gedrechselt in der am 7. Mai verabschiedeten Prager Deklaration. Nebulös liest sich auch die Formulierung zu der wichtigsten Forderung der Partnerländer, nämlich der Abschaffung des Visumzwangs für Reisen in die EU. Da sind Schritte im Hinblick auf eine vollständige Visumfreiheit als „langfristiges Ziel“ für einzelne Partnerländer ins Auge gefasst, wenn die Bedingungen für eine gut geführte und sichere Mobilität gegeben sind. Wann diese Konditionen erfüllt sind, liegt im Auge des europäischen Betrachters, nach schnellem freien Reisen klingen die Formulierungen allerdings nicht.
Die Europäische Union will den Prozess der Östlichen Partnerschaft mit zusätzlichen finanziellen Mitteln unterstützen. Bis 2013 sollen über die 12 Mrd. Euro hinaus, die insgesamt für die ENP (also auch die nach Süden) vorgesehen sind, weitere 350 Mio. Euro für den Osten eingesetzt werden.
Mittlerweile haben die ersten Treffen im Rahmen der thematischen Plattformen stattgefunden und es wird versucht, die vorgesehenen „Vorzeigeprojekte“ auf die Schiene zu bringen. Für eine Bewertung ist es zu früh, da seit dem Mai 2009 wenig Zeit verstrichen ist. Hinzu kommt, dass die EU sich in einer Phase der Neuaufstellung befindet, die durch die Neuwahl des Europäischen Parlaments, das Auslaufen des Kommissionsmandats sowie die Unsicherheit über das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags (und der eventuellen Implementierung seiner Bestimmungen im institutionellen Bereich) gekennzeichnet ist. Die schlechte Spitzenpräsenz bei dem lange im Voraus vereinbarten Gipfel zeigt, dass die Östliche Partnerschaft in der EU nicht als Priorität aufgefasst wird. Die Partnerstaaten sind in schlechter Verfasssung. In der Ukraine findet seit längerer Zeit ein Funktionsstreik der politischen Elite statt, Georgien ist durch den Krieg mit Russland und die daraus resultierenden innenpolitischen Friktionen für Präsident Saakaschwili geschwächt, Moldau ist weiterhin das ärmste Land Europas, weit von politischer Stabilität entfernt und darüber hinaus durch einen Sezessionskonflikt behindert und Armenien und Aserbaidschan befinden sich nach wie vor im Kriegszustand miteinander. Die Kontakte mit Belarus können sich auf Grund der innenpolitischen Repression in diesem Land nur vorsichtig entwickeln.
Ein Erfolg der Östlichen Partnerschaft ist dennoch nicht ausgeschlossen, allerdings nur, wenn einige Bedingungen erfüllt werden:
- Die Europäische Union muss diesen Politikansatz insgesamt ernst nehmen und die Mitgliedsländer müssen ihn vertreten. Dies betrifft auch den erleichterten Zugang zum Binnenmarkt, der oftmals gerade auf landwirtschaftlichem Gebiet, in dem die Partnerländer Produkte liefern könnten, beschränkt wird.
- Die osteuropäische und südkaukasische Region wird durch Sezessionskonflikte (Abchasien, Südossetien, Transnistrien, Berg-Karabach, bald eventuell auch Krim) paralysiert. Die EU muss die Konfliktresolution zum Schwerpunkt ihrer Tätigkeit machen, weil nur so die Voraussetzungen für eine Entwicklung der Partnerstaaten gegeben ist.
- Die EU sollte den Partnern eindeutig klar machen, dass sie auf absehbare Zeit keine Aussicht auf EU-Mitgliedschaft haben, dass die besonderen Beziehungen im Rahmen der ENP und der Östlichen Partnerschaft mithin die Alternative zu normalen Drittstaatenbeziehungen sind. Solange man in den Partnerstaaten hofft, mit Zurückhaltung mehr, und das heißt eine Beitrittsperspektive, herausholen zu können, werden sie nicht hinreichend kooperativ sein – wie wir das bei der Ukraine ja auch erleben. Die „strategische Ambivalenz“, d.h. das Inaussichtstellen der Mitgliedschaft, obwohl wir dieses Versprechen nicht einlösen können, ist das Gegenteil von Strategie.
- Die Ergebnisse der Östlichen Partnerschaft müssen für die Bevölkerung in den Partnerländern sichtbar und spürbar sein. Dazu muss man sich auf wenige Punkte konzentrieren und deren Wirkung für die Bevölkerung im Auge haben. Hierzu gehört auch eine schnelle Abschaffung des Visumregimes, zumal Fachleute in der EU sich einig sind, dass der tatsächliche Migrationsdruck von den Partnerländern gering ist, der Widerstand gegen die Visaliberalisierung bzw. –freigabe also vor allem innenpolitische Gründe hat – was uns in Deutschland ja 2005 ausgiebig vorgeführt wurde.
- Die Östliche Partnerschaft braucht eine Erfolgsgeschichte. Nach Lage der Dinge könnte die in der Republik Moldau geschrieben werden, da das Land auf Grund seiner geringen Größe der EU einen ausreichenden Mitteleinsatz ermöglicht. An dem Wein und den Nüssen, die die Moldauer in die EU exportieren können, wird der europäische Agrarmarkt nicht kaputt gehen.
- Die EU muss parallel ihr Verhältnis zu Russland weiter entwickeln. Ohne Moskau sind die Probleme in Europa nicht zu lösen – leider zurzeit auch nicht mit ihm. Dieser Zustand dient weder den Russen noch der EU noch den Partnern.
Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte ist Leiter der Europäischen Akademie Berlin.