Für einen nachhaltigen Weg aus der Wirtschafts- und Schuldenkrise: Zur Zukunft der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik
Die Europäische Union erlebt seit 2008 ihre größte Wirtschafts- und Finanzkrise. Verschuldung und die Krise im Finanzsektor stellen die Europäische Union und die Eurozone vor enorme Herausforderungen. In den unter Druck geratenen Staaten wächst die Unzufriedenheit über Sparmaßnahmen und Reformen. In den Geberländern unterstützen immer weniger Menschen die Hilfspakete. Mittlerweile ist zudem offensichtlich geworden, dass sich Europa langsamer als manche andere Weltregion von der Wirtschaftskrise erholt, und durch den globalen Strukturwandel die ohnehin notwendige wirtschafts- und sozialpolitische Anpassung noch schwieriger wird. Europa verliert wirtschaftlich an Gewicht – und dadurch an Kraft, die Welt mitzugestalten.
Die Krise ist gleichwohl Bedrohung und Chance. Sie hat klar gezeigt, wie sehr die Staaten in der Europäischen Union voneinander abhängen. Seit 2008 ist eine politische Dynamik entstanden, die noch kurz zuvor undenkbar war. Um die andauernde Krise zu bewältigen und ähnliche Krisen in Zukunft zu verhindern, müssen die Mitgliedstaaten die Regeln für das gemeinsame Handeln überarbeiten und das Verhältnis von Markt und Staat neu bestimmen. Die Notwendigkeit, europäische Solidarität neu zu denken und neu zu gestalten, ist gewachsen.
Um aus der Krise herauszukommen, braucht die EU gerade in Zeiten schwacher Solidaritätsgefühle mehr konkrete Solidarität. Die Währungsunion ist, wie sich jetzt deutlich zeigt, ohne fiskal- und wirtschaftspolitische Abstimmung nicht machbar. Ohne verbindliche, gelebte Solidarität wird der Euro nicht überleben, ist Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit der EU in Gefahr. Um die EU zu stärken, sind folgende Maßnahmen notwendig:
- Die EU muss ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik so abstimmen und überwachen, dass Mitgliedsländer sich nicht mehr bewusst unsolidarisch verhalten können. Dafür braucht sie dauerhafte Mechanismen, durch die eine Überschuldung vermieden werden kann. Um die Märkte zu beruhigen und Spekulationen abzuwehren, muss über den jetzt vereinbarten Europäischen Stabilisierungsmechanismus hinausgegangen werden. Die EU braucht gemeinsame europäische Anleihen für eine Staatsverschuldung von bis zu 60 Prozent des BIP.
- Der europäische Finanzbinnenmarkt muss strikter beaufsichtigt werden. Dazu ist ein europäisches Bankenstatut für grenzüberschreitend tätige Banken notwendig, das von einer EU-Behörde direkt durchgesetzt wird. Die europäischen Aufsichtsbehörden sollten darüber hinaus Zuständigkeiten für den Verbraucherschutz bekommen.
- Ungleichgewichte im Euroraum müssen rasch und dauerhaft ausgeglichen werden. Es kommt jetzt darauf an, den Krisenländern Wachstumschancen zu eröffnen. Dafür bietet der Green New Deal die richtigen Ansätze. Ökologische Innovation und sozialer Teilhabe sind die Grundlage für ein künftiges, nachhaltiges Wachstum Europas.
- Sozialer und ökologischer Fortschritt müssen im Zentrum der europäischen Integration stehen. Dazu müssen die Sozialsysteme nicht vereinheitlicht werden, sondern es sollen Mindeststandards etwa bei Löhnen oder der sozialen Sicherung eingeführt werden. Angesichts der demographischen Entwicklung muss die soziale Sicherung generationen- und geschlechtergerecht sein.
- Die Einnahmen- und Ausgabenstruktur der EU muss überprüft werden. Kompetenzen sollen dann auf die europäische Ebene verlagert werden, wenn dies der Gemeinschaft nützt und ihre Handlungsmöglichkeiten vergrößert. Wo dies nicht der Fall ist, sollten zugunsten der Vielfalt Europas die Kompetenzen auf der lokalen oder nationalen Ebene angesiedelt bleiben.
- Die EU muss ihre Außenvertretung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik besser abstimmen, damit sie nach außen hin geschlossen auftreten kann. Geschieht dies nicht, wird die Union weiter an internationalem Einfluss verlieren.
Für eine sozial und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft: Zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU
Die Landwirtschaft steht weltweit vor der Herausforderung, Nahrungsmittel für eine stark wachsende, zunehmend urbane Weltbevölkerung produzieren und ländliche Armut reduzieren zu müssen. Der Klimawandel, knapper werdende Ressourcen, erodierende oder ausgelaugte Böden und weltweit instabile Märkte für landwirtschaftliche Produkte machen dies umso schwieriger.
Eine Landwirtschaft, die Umwelt und Klima schützen und die biologische Vielfalt erhalten will, muss auf europäischer Ebene ansetzen. Europäisches Handeln hat klare Vorteile (1) bei Zielen mit grenzüberschreitendem oder globalem Charakter, (2) bei Problemen, die zwar regional oder national sind, für die aber in den betroffenen Ländern keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen (z.B. der Erhalt ländlicher Räume in ärmeren Regionen) sowie (3) in Bereichen, die sich stark mit anderen bereits integrierten Politikfeldern wie dem EU-Binnenmarkt oder der internationalen Handelspolitik überschneiden.
Die Agrarpolitik der EU ist lange schon weitgehend vergemeinschaftet. Jedoch diente die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) bislang überwiegend der inneren Selbstbehauptung der EU. Ihre wichtigsten Ziele waren, die Produktivität zu ¬steigern, Versorgung und Einkommen abzusichern und allgemein für Stabilität zu sorgen. Die GAP hat dadurch sowohl in der EU als auch in den Ländern des Südens erheblich zu sozialen und ökologischen Problemen beigetragen und widersprach häufig den Zielen der EU in der Entwicklungs-, Umwelt- und Klimapolitik.
Die Agrarpolitik der EU muss grundsätzlich neu ausgerichtet werden. Neues Leitbild muss eine sozial und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft sein. Eine zukunftsgerichtete Agrarpolitik hat nicht nur die Aufgabe, Nahrungsmittel zu produzieren, sie muss auch Kulturlandschaften pflegen, öffentliche Güter bereitstellen, dezentral Energie erzeugen, lebendige ländliche Räume schaffen und für ausreichende Einkommen sorgen. Diese Ziele darf die EU nicht auf Kosten ihrer Handelspartner in anderen Regionen verfolgen. Die EU muss mit anderen Ländern fairen Handel treiben, muss mit ihnen gleichberechtigt zusammenarbeiten, nur so können die Entwicklungsländer ihre Bevölkerung versorgen und ihre Ökosysteme schützen. Ernährungssicherheit und das Recht auf Nahrung, die nachhaltige und schonende Ressourcennutzung europa- und weltweit sind Prioritäten einer solchen Landwirtschaft.
Instrumente für eine neue Gemeinsame Agrarpolitik sind:
- ökologisch korrekte Preise, das heißt Preise, die die Folgen der Landwirtschaft auf das Klima berücksichtigen;
- öffentliche Zuschüsse für ökologische und andere gesellschaftliche Leistungen;
- Stärkung der Erzeuger innerhalb der Vermarktungskette, damit für landwirtschaftliche Produkte angemessene Preise erzielt und abhängig Beschäftigte angemessen bezahlt werden können;
- eine europäische Agrarhandelspolitik, die nicht auf immer mehr Exporte setzt und die den Import von besonders umwelt- und klimaschädlichen Produkten senkt und zwar durch Normen für Nachhaltigkeit und durch Vereinbarungen mit den Herkunftsländern.
Für ein Europa der Erneuerbaren Energien: Zur Zukunft der Europäischen Klima- und Energiepolitik
Die Folgen des Klimawandels, Ressourcen- und Migrationskonflikte, der weltweit steigende Energiebedarf und der Super-GAU in Fukushima – all das zeigt, dass unser Energiesystem grundlegend umgebaut werden muss. Eine ressourcenschonende, nachhaltige Klima- und Energiepolitik muss die Energieversorgung langfristig sichern, in Erneuerbare Energien ein- und aus der Atomenergie aussteigen.
Diesen Herausforderungen muss sich die europäische Klima- und Energiepolitik stellen. Zwar ist die Energiepolitik bislang wesentlich Sache der Mitgliedsländer, dennoch hat es sich die EU verbindlich zum Ziel gesetzt, bis 2050 ihre Emissionen an Klimagasen um 80 bis 95 Prozent zu senken. Bei den erneuerbaren Energien hinkt die Union bislang aber ihren Möglichkeiten deutlich hinterher. Ein Teil der EU-Länder setzt weiterhin auf Atom, Kohle und Gas, und es gibt zum Teil sehr unterschiedliche Ansätze, die Energiemärkte zu regulieren. Dies erschwert eine stimmige europäische Energiepolitik.
Die Europäische Union muss die klima- und energiepolitischen Herausforderungen unserer Zeit als Chance begreifen. Um ein nachhaltiges, starkes und wettbewerbsfähiges Europa zu schaffen, ein Europa, das bis 2050 seine gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen bezieht, sind gemeinsame Anstrengungen unerlässlich. Aufgrund seiner Größe, seiner klimatischen und geologischen Gegebenheiten hat Europa entscheidende Vorteile. Diese Potentiale müssen gemeinsam ausgeschöpft und kostengünstig genutzt werden, damit sich Europa mit Innovationen am Markt durchsetzen kann.
Eine nachhaltige europäische Klima- und Energiepolitik würde nicht nur einer bezahlbaren, verlässlichen und umweltverträglichen europäischen Energieversorgung dienen, sie könnte auch zu einem Identifikationsprojekt für Europa werden und der EU zu neuer politischer und wirtschaftlicher Dynamik verhelfen. Die drei Eckpfeiler eines solchen Projekts sind Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung:
- Eine „Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien“ (ERENE) könnte die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die EU bis 2050 ihre Energieversorgung vollständig auf Erneuerbare Energien umstellt. Dazu müssen die Vorteile der dezentralen Erzeugung und Nutzung von örtlichen erneuerbaren Energievorkommen mit den Vorteilen eines europäischen Verbundnetzes kombiniert werden.
- Damit mehr Energie eingespart werden kann, muss die EU verbindliche Ziele vorgeben, die dann im Rahmen nationaler Aktionspläne für Bereiche wie Gebäude, Transport und Industrie umgesetzt werden können.
- Um die Energieeffizienz zu steigern, muss die EU die notwendigen Rahmenbedingungen setzen, zum Beispiel zur Förderung der energetischen Gebäudesanierung, hoch-effizienter Produkte und Autos. Mit dynamisch verschärften EU-Effizienzstandards und Kennzeichnungen für energieverbrauchende Geräte kann die EU dazu beitragen, die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Märkte zu erhalten bzw. voranzutreiben.
- Die Nachbarschafts- und Außenpolitik der EU muss klimapolitischen Grundsätzen folgen. In Nachbar- sowie in Entwicklungsländern muss eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik gefördert werden, die sich auch vor Ort positiv auf die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedingungen auswirkt. Dafür bedarf es einer europäisch koordinierten und kohärenten Politik in der Nachbarschafts-, Außen-, Entwicklungs- und Handelspolitik.
Für eine „Agenda der Öffnung“: Zur Zukunft der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik
Weltweite Umbrüche und neue Mächte stellen das europäische Wertesystem von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zunehmend in Frage. Europa verliert demographisch, wirtschaftlich und politisch an Bedeutung. Die Auflösung der Blöcke macht es für Europa immer schwieriger, beständige Allianzen zu bilden. Und die Frage, wie in einer immer bevölkerungsreicheren Welt mit begrenzten Ressourcen der Wohlstand aufzuteilen ist, birgt viel Sprengstoff.
Die EU hat gezeigt, dass Nationalstaaten, deren Verhältnis zueinander lange von blutigen Kriegen geprägt war, solche Gegensätze erfolgreich überwinden und eine Gemeinschaft bilden können, deren Kern gemeinsame universelle Werte sind. Zugleich hat die EU aufgrund ihrer unvollständigen Staatlichkeit keine außenpolitische Macht, die der großer Nationalstaaten vergleichbar wäre. Eine gemeinsame Außenpolitik der EU gibt es bislang allenfalls ansatzweise. Oft wirkt die EU zerstritten und kann sich auf kein gemeinsames außenpolitisches Handeln einigen.
Dabei wäre die EU mit ihrem erprobten, stark vernetzten System in besonderer Weise geeignet, in einer auf vielen Ebenen eng vernetzten Staatenwelt erfolgreich zu agieren. So kann die EU als Staatenbund neuen Typs, als gelebtes Beispiel für überstaatliche Zusammenarbeit und geteilte Souveränität, für Demokratie und Menschenrechte ganz wesentlich dazu beitragen, dass sich die Welt im Geiste internationaler Zusammenarbeit entwickelt.
Damit dies gelingt muss die EU eine „Agenda der Öffnung“ entwickeln. Beschränkt sie sich darauf, die von ihr entwickelten und gelebten Werte als Insellösung nur zu sichern, statt auf ihre universelle Geltung hinzuarbeiten, wird sie über kurz oder lang in der Bedeutungslosigkeit versinken – einer Bedeutungslosigkeit, die auch die eigenen Errungenschaften gefährden wird. Eine neue europäische Erzählung muss davon handeln, was Europa mit der Welt teilen möchte, muss weltweite Stabilität, Freiheit und allgemeinen Wohlstand als Motive haben. Damit dies glaubwürdig gelingt, muss Europa international Verantwortung übernehmen und eine „Weltordnungspolitik“ anstreben, von der letztlich alle Staaten profitieren, weil sie gleiche Rechte und geteilte Verantwortung gewährleistet.
- Damit die Europäische Union diese Rolle spielen kann, muss sie geschlossener nach außen auftreten. Dazu muss sie vom Prinzip der Einstimmigkeit bei der Außen- und Sicherheitspolitik Abschied nehmen und gleichzeitig doppelt demokratisch, auf nationaler wie europäischer Ebene, vorgehen. Der Übergang zu Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik setzt eine erweiterte demokratische Kontrolle und Legitimation zwingend voraus.
- Auf nationaler wie europäischer Ebene müssen Innen- und Außenpolitik besser miteinander verknüpft werden. Nur so können die entscheidenden Zukunftsaufgaben der globalen Außenpolitik – Demokratie weltweit fördern, den Klimawandel eindämmen, Flüchtlingsströme auffangen und bewaffnete Konflikte verhindern – angegangen und gelöst werden.
- Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) muss der zentrale Mittler zwischen Dritt- und EU-Staaten sein. Damit das möglich wird, müssen die Zuständigkeiten des EAD auf Wirtschafts- und Handelspolitik sowie Flüchtlings- und Klimaschutz ausgedehnt werden.
- Will Europa basierend auf seinen Werten Einfluss entfalten, muss es gewillt und in der Lage sein, auch unabhängig von USA und NATO auf Krisen vor allem im europäischen Umfeld zu reagieren. Eine Außenpolitik, die in erster Linie auf die präventive, friedliche Konfliktlösung setzt, braucht, um glaubwürdig zu sein, Institutionen und Mittel um auf Krisen reagieren und Krisen verhindern zu können. Dafür müssen die „Zivilen Planziele 2010“ mit einem klaren Fahrplan versehen werden. Gleichzeitig muss mit dem Aufbau eines Europäischen Friedenskorps begonnen werden.
- Auch wenn sich die EU in erster Linie als zivile Friedensmacht versteht, muss sie ihre militärischen Fähigkeiten besser abstimmen. Voraussetzung dafür ist eine konsequente und weitreichende parlamentarische Beteiligung. Eine engere militärische Zusammenarbeit in der EU wird sich auf absehbare Zeit deutlich unterhalb einer Europäischen Armee bewegen. Doch bietet der Lissabon-Vertrag die Möglichkeit der „verstärkten Zusammenarbeit“ im militärischen Bereich. So können Aktionsgruppen gebildet werden, auch wenn sich nicht alle EU-Mitglieder an einer Mission beteiligen wollen. Damit militärische Aufgaben auf europäischer Ebene besser aufeinander abgestimmt werden können, sollte überlegt werden, etwa eine gemeinsame Zentrale für Militäroperationen in Brüssel einzurichten
Für ein neues Verhältnis der EU zu ihren Nachbarn: Zur Zukunft der europäischen Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik
Seit einigen Jahren besteht in den Mitgliedsstaaten der EU die Tendenz, die Nachbarn der EU nur als Problem wahrzunehmen. Die Beziehungen zu diesen Nachbarn, so eine weit verbreitete Ansicht, sollten sich auf Handel und die Begrenzung der Migration beschränken. Die jüngsten Entwicklungen in Nordafrika haben gezeigt: Die EU muss eine neue Nachbarschaftspolitik entwickeln. Dies gilt zuallererst für den Mittelmeerraum, aber auch für die Länder im Osten, die man bislang bewusst in einem Schwebezustand zwischen Nachbarschaft und EU-Beitritt hat hängen lassen.
Die Erweiterung der EU ist ins Stocken geraten. Grund dafür sind nicht zuletzt erhebliche Fehler bei der letzten Erweiterung von 2007, bei der die Kopenhagener Kriterien – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenrechte – vernachlässigt wurden. Innerhalb der EU ist die Bereitschaft, weitere Staaten aufzunehmen, deutlich zurückgegangen. Bei den potentiellen Kandidaten verfestigt sich der Eindruck, die EU habe das Interesse an neuen Mitgliedern verloren.
Die EU möchte mit ihrer Nachbarschaftspolitik die Beziehungen zu den Nachbarstaaten harmonisieren und um Europa herum einen „Ring von Demokratien“ aufbauen. Zudem soll der Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts durch die Aufnahme neuer Staaten erweitert werden. Die bisherige Devise der EU-Nachbarschaftspolitik war: im Süden Stabilisierung, im Osten Homogenisierung. Dass die Stabilisierungs- und Außenhandelspolitik der EU und der Mitgliedsstaaten zu Lasten von Menschenrechten und Demokratie ging, wurde dabei in Kauf genommen.
Die Europäische Union ist an einem Punkt angelangt, wo es kein „Weiter so!“ geben kann. Sie muss ihre Beziehungen zu den Nachbarstaaten neu ausrichten. Zum einen muss sie ein klares Signal an all jene Nachbarn senden, die eine reelle Chance haben, eines Tages in die EU aufgenommen zu werden. Beitrittszusagen, die permanent in Frage gestellt werden (wie im Fall der Türkei), vergiften die Beziehungen und untergraben die Glaubwürdigkeit der Union. Wir plädieren dafür, dass die EU ihr Versprechen erneuert, alle europäischen Staaten aufzunehmen, die die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllen. Dies setzt allerdings voraus, dass die EU ihre Strukturen und Entscheidungsprozesse so weiterentwickelt, dass sie mit einer wachsenden Zahl heterogener Mitgliedstaaten umgehen kann, ohne handlungsunfähig zu werden.
Gleichzeitig sollte die EU ihre Nachbarschaftspolitik konsequenter an ihren Werten ausrichten. Positive Konditionalität ist hierfür ein wichtiges Mittel und kann erfolgreich sein, wenn sie einen Schwerpunkt bei der Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Organisationen legt. In den Gesellschaften, deren politischer Kurs strittig und deren politische Kultur von europäischen Standards weit entfernt ist, sollte die EU mit Nachdruck die demokratische Zivilgesellschaft und eine pluralistische Öffentlichkeit unterstützen und durch liberalere Visaregelungen insbesondere den Kontakt zwischen jungen Menschen fördern. Es geht darum, den Nachbarstaaten vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen demokratischen und rechtsstaatlichen Entwicklung eine realistische Perspektive für zukünftige Integrationsschritte aufzuzeigen.