Für Gleichberechtigung muss immer gekämpft werden

31. Juli 2008
Von Susanne Klingner

Von Susanne Klingner

Die Aufregung der letzten Wochen um einen „neuen“ Feminismus hat zwei Seiten: eine gute und eine nicht so gute. Sehr gut: „Feministin“ ist kein Schimpfwort mehr, Feminismus ein öffentliches Thema und damit raus aus seiner Nische in den Gender Studies und politischen Zirkeln. Schlecht: Das Thema wurde so lange in die mediale Mangel genommen, dass für die Öffentlichkeit nicht viel mehr übrig bleibt als ein paar griffige Schlagwörter – wie „neoliberaler Alphamädchenfeminismus“, „Generationen¬–“ oder „Zickenkrieg“, „Ekelporno“ oder auch „Wellness–“ bzw. „Girlie-Feminismus“. Das ist sehr schade, weil die Debatte so meilenweit an dem vorbeiging, was beispielsweise uns, den Autorinnen von „Wir Alphamädchen“ am Herzen lag – Feminismus als einen Schritt zu mehr Frauensolidarität, mehr Freiheiten und Möglichkeiten für Frauen, Feminismus als kritische Auseinandersetzung mit der Frage „Wie leben wir eigentlich und wollen wir so leben?“

Stattdessen wurde beispielsweise immer wieder gefragt „Brauchen wir denn überhaupt einen neuen Feminismus?“ Für mich persönlich spielt das Attribut „neu“ überhaupt keine Rolle – auch wenn ich als Vertreterin dieses „neuen Feminismus“ geführt werde. Für mich braucht es Feminismus zu allen Zeiten. Nur leider stand der Feminismus in den letzten Jahren in einer einsamen Ecke und die meisten Frauen meiner Generation waren davon überzeugt, sie seien bereits emanzipiert und müssten deshalb nicht für ein gleichberechtigtes Leben kämpfen. Doch Gleichberechtigung wird nie zur Selbstverständlichkeit – oder nicht so schnell – das Erreichte muss immer und immer wieder verteidigt werden.

Vielfalt für ein gemeinsames Ziel

In den vergangenen Jahren beispielsweise haben wir gesehen, dass eine Debatte um das Aussterben der Deutschen plötzlich die Rolle der Frau wieder in ihren Grundfesten erschüttern kann. Der „neue“ Feminismus ist eine Reaktion darauf. Er verfolgt weiterhin das alte Ziel „Gleichberechtigung“. Nur versuchen junge Feministinnen, neue Formen für sich zu entdecken oder alte weiterzuentwickeln. Denn jede Zeit hat und braucht ihre eigene Sprache, dem kann sich auch der Feminismus nicht entziehen. Wer junge Menschen erreichen will, muss auch ihre Sprache sprechen. Da ist ein Weblog vielleicht die bessere Wahl als eine Demo in der Innenstadt. Doch im Idealfall gibt es tausend verschiedene Formen des Engagements nebeneinander – Musik, Bücher, Demos, Theaterstücke, Eingaben an den Bundestag, Kongresse, Kunst und Performances – und im Idealfall werden diese von Feministinnen und Feministen aller Generationen gemacht, geschrieben, veranstaltet.

Wenn wir überlegen, was heute angemessene und wirksame Formen und Inhalte des Feminismus sein könnten, bleibt es natürlich nicht aus, sich mit der Arbeit der Vorkämpferinnen zu beschäftigen oder diese auch mal zu kritisieren. Das kann nur produktiv sein, denn wer die Vergangenheit hinterfragt und dabei auch auf Missverständnisse, Irrwege oder Fehler stößt, kann viel Wertvolles für die Gegenwart finden. Natürlich müssen auch wir jungen Frauen unsere eigenen Fehler machen, aber wir können auch aus den Fehlern der Generationen vor uns lernen. Einen Generationenstreit sehe ich darin nicht. Ein angeblicher Streit macht sich nur als Aufhänger eines Medienbeitrags besser als ein realer Dialog.

Generation im Wandel, auch mit wandelnden Geschlechterrollen

Glücklicherweise scheint das Thema aber interessant genug, um sich in den Redaktionen festzubeißen. Der Sturm der ersten Wochen legt sich langsam und trotzdem verschwindet das Thema nicht von der Nachrichten-Agenda. Jetzt folgen die nachdenklicheren Beiträge, die ernsthaften Auseinandersetzungen zu den Rollen der Geschlechter. Wenn wir diese Debatte lebendig halten können, werden alle davon profitieren, vor allem meine Generation und die nachfolgenden. Weil wir – Frauen und Männer – gerade dabei sind, unsere eigenen Bedingungen zu formulieren: wie wir leben wollen, welche Rollen Familie, Kinder, Job, Freunde, Geld und Freizeit spielen sollen.

Aber wir werden auch gesellschaftliche Solidarität wiederentdecken – trotz aller Individualisierung. In den Generationen vor uns galt noch das Prinzip „Du musst dich durchboxen, um etwas zu erreichen, zur Not gegen alle anderen. Jeder ist sich selbst der nächste.“ Langsam erkennt meine Generation allerdings, dass sich gemeinsam mit anderen viel mehr erreichen lässt, dass es nicht glücklich macht, gegen alle anderen zu kämpfen und dass es noch eine Menge neben Maloche und Karriere gibt. Auch im Feminismus wird und muss es diese Solidarität geben, unter Feministinnen und Feministen unterschiedlicher sozialer oder ethnischer Herkunft, Religion oder Hautfarbe oder auch nur mit unterschiedlichen Ansichten in einzelnen Fragen.

Feminismus sollte eine Selbstverständlichkeit sein

Die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter sollte alle Gesellschaftsschichten und –gruppen durchdringen, sollte so selbstverständlich wie Demokratie und Menschenrechte sein. Dafür muss sich auch die Politik einsetzen. Zuallererst muss sie in allen Gesetzen und Regelungen die Geschlechter wirklich gleichstellen. Heute wird noch immer eine unterschiedliche Rollenverteilung in Beziehungen angenommen – und durch Einrichtungen wie das Ehegattensplitting auch finanziell gefördert. Der antiquierte Muttermythos muss aus unserer Gesetzgebung verschwinden, damit sich auch kulturell und auf breiter gesellschaftlicher Ebene etwas ändert. Beispielsweise ist es nicht zeitgemäß, dass im Grundgesetz der Mutter die Hilfe der Gesellschaft zugesichert wird, dem Vater aber nicht. Das widerspricht der Politik von Ursula von der Leyen fundamental. Da sollte der Staat auch in den Grundrechten seine Haltung formulieren.

Abseits der Familienpolitik muss die Politik dafür sorgen, dass Frauen in der Wirtschaft bessere Chancen bekommen. Norwegens Initiative für mehr Frauen in den Vorständen wäre auch eine gute Idee für Deutschland. Denn all die freiwilligen Selbstverpflichtungen haben rein gar nichts geändert an den Machtverhältnissen in deutschen Unternehmen. Solch ein Zwang zu Frauen in den Führungsetagen würde natürlich erst einmal einen ohrenbetäubenden Aufschrei auslösen, aber was soll’s – wenn es anders nicht geht? Und wer schreit denn heute empört, dass es eine beinahe 100-Prozent-Quote für Männer in den Aufsichtsräten gibt?

In den Köpfen muss sich was ändern

Für eine wirkliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind auf allen Ebenen noch viele Anstrengungen nötig. Mein Eindruck ist, dass meine Generation eine Generation ist, die diese Anstrengungen auf sich nehmen will, weil die Angst vor einem Rückschritt zu groß geworden ist. Wir sehen zwar, dass in den letzten hundert Jahren wahnsinnig viel für die Freiheit von Frauen erreicht wurde, dass aber eine mindestens genauso lange Strecke noch vor uns liegt. Vielleicht nicht so linear wie in früheren Zeiten, in denen klar war, die Gesetze A bis Z müssen beseitigt oder geändert werden, sondern auf verschlungenen Pfaden. Jetzt geht es darum, etwas in den Köpfen der Menschen zu ändern.

Im Kopf des Personalvorstandes, der heute noch denkt, ein Mann muss von seinem Gehalt eine Familie ernähren, eine Frau verdient nur etwas dazu – und ihm deswegen mehr zahlt als ihr. Im Kopf des Vaters, der sich für seine Kinder nicht wirklich verantwortlich fühlt, aber auch im Kopf der Mutter, die denkt, sie könne „das mit den Kindern“ viel besser als ihr Mann. Im Kopf einiger Konservativer, die denken, Frauen würden „ihren Dienst an der Gesellschaft verweigern“, wenn sie keine Kinder kriegen. Im Kopf des Richters, der nach einer Vergewaltigung milde urteilt, weil die Frau „ja nicht ganz unbeteiligt war, in diesem aufreizenden Outfit“. Im Kopf der Werbemenschen und Redaktionsmitglieder, die die gleichen, sexistischen Klischees von Frau und Mann immer und immer wieder reproduzieren.

Das alles werden wir in meiner Generation nicht mehr abschließend schaffen, deswegen ist es auch wichtig, jetzt schon den Gleichheitsgedanken in die Köpfe der Kinder zu kriegen. Und wir sollten ihnen auch gleich noch die Geschichte der Emanzipation mit auf den Weg geben – weil sie so lernen, dass Gleichberechtigung nie selbstverständlich ist, sondern dass jede und jeder Tag für Tag dafür kämpfen muss.

Susanne Klingner, 30, lebt als freie Journalistin und Autorin in München. Sie ist Gründerin des feministischen Weblogs www.maedchenmannschaft.net und hat im Frühjahr 2008 gemeinsam mit Meredith Haaf und Barbara Streidl das Buch „Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht“ veröffentlicht.