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Endstation Dönerbude?

Taverne Imbiss, Dönerbude und Gasthaus in der Schwanthalerstraße: ein Beispiel gelungener Integration?
Foto: Özel. Dieses Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

26. Februar 2009
Von Suzan Gülfirat
Von Suzan Gülfirat

Erstmals hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung mehrere Faktoren aus den Bereichen Bildung, Arbeit, Akademiker, Selbstständige, Ehepartner zusammengefasst, um auf die genannten Fragen Antwort geben zu können. Was verursacht Integration oder verhindert sie? Ein Index zur Messung von Integration (IMI) soll jetzt helfen, Integrationsprozesse besser zu verstehen.

Die Messung der Intergration

Demnach schneidet die türkische Wohnbevölkerung in fast allen Bereichen am schlechtesten ab. Sie sind häufiger arbeitslos, am schlechtesten gebildet und gehen seltener Mischehen ein als andere Bevölkerungsgruppen.

Selbst die Hausfrauenquote - knapp 50 Prozent - wurde ermittelt, weil diese Frauen lange Zeit am wenigsten die Möglichkeit hatten, Deutsch zu lernen. Viele andere Frauen finden sich unter den 61 Prozent „Arbeitsuchenden“. Das beste Ergebnis erreichten die türkischen Zuwanderer bei der Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen. Da liegen sie im Vergleich mit anderen Migrantengruppen im Mittelfeld. Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit stehen sie nicht wesentlich schlechter da als andere Migrantengruppen. Ein Kriterium ist auch die deutsche Staatbürgerschaft und eine bikulturelle Ehe.

„Mit Hilfe der Studie ist es jetzt einfacher geworden zu bewerten, wie gut bestimmte Migrantengruppen in der einheimischen Gesellschaft angekommen sind“, sagte am Montagabend Reiner Klingholz auf einer Diskussionsveranstaltung in der Heinrich-Böll- Stiftung. Damit von Anfang an keine Missverständnisse entstehen, nannte er diese Studie „Ungenutzte Potenziale.“ Der Bericht seines Berlin-Institutes für Bevölkerung und Entwicklung sollte einen Überblick  „zur Lage der Integration in Deutschland“ sein, aber trotzdem folgte der Veröffentlichung wieder eine kontroverse Integrationsdebatte.

Türkische Zuwanderer am wenigsten intergriert

Herausgekommen ist, dass die Zuwanderer aus der Türkei, gemessen an Einheimischen und anderen Migrantengruppen, am wenigsten integriert sind. „Mein Ziel war, eine demografische Entwicklung der Gesellschaft zu erstellen“, betonte Klingholz. Die Diskutanten auf dem Podium waren außerdem Özcan Mutlu, der bildungspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin, Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland, und Klaus Bade, der Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Der Moderator Ralf Fücks bezeichnete sie als „erprobte Kämpfer auf diesem Gebiet“. Etwa 200 Gäste hörten interessiert zu, wobei der Saal so voll war, dass noch Stühle geholt werden mussten. Kaum war die Runde eröffnet, begann auch schon eine lebhafte Debatte.

Viel Lob und viel Kritik

 „Warum soll ein Moslem einen Christen heiraten? Auch bei Katholiken und Protestanten hat es lange gedauert, bis sie geheiratet haben“, sagte zum Beispiel der Berliner bildungspolitische Sprecher der Grünen Özcan Mutlu. Er selbst ist mit einer Türkin verheirat und konnte vielleicht deshalb die Mischehe als Indikator nicht nachvollziehen. Klaus Bade lobte zunächst die Studie: „Sie liest sich gut“, sagte er. Dem Institut sei es gelungen, eine Infrastruktur der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zusammenzufassen und nach neuen Wegen zu suchen. Was die wissenschaftliche Stichhaltigkeit mehrerer Ergebnisse betrifft, hatte er dennoch einiges zu bemängeln. „Vergleicht man die Hausfrauenquote mit der deutschen Arbeiterschicht, gleichen sich die Türken an.“ Auch die gewählten Indikatoren seien assimilatorische Kriterien.

Auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland hat die Studie nicht durchweg verworfen. Eine Reihe der Ergebnisse bereiteten ihm Sorgen, sagte Kenan Kolat, der mit der stellvertretenden Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Dilek Kolat verheiratet ist. Er kritisierte jedoch, dass die Studie bei Weitem nicht so differenziert sei wie die Sinus-Studie, die im Jahre 2007 unter dem Titel „Lebensweltanalyse“ die „Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland 2007" beleuchtete. Diese sei milieuorientierter und berücksichtige viel mehr die soziokulturelle Faktoren.

Am heftigsten kritisierte die Studie Özcan Mutlu. Er warf Reiner Klingholz vor, das Thema den Medien vor die Füße geworfen zu haben. „Die Veröffentlichung hätte in einem anderen Rahmen stattfinden müssen“, kritisierte er den Wissenschaftler. Noch zwei Wochen nach der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse erschien auf der Titelseite der „Hürriyet“ ein Foto von Reiner Klingholz. Die türkische Boulevardzeitung bezeichnete ihn in riesigen Lettern als den „Stempler von Berlin“. Er habe es geschafft, alle Türken als nichtintegrierte Wesen abzustempeln, urteilte das Blatt. Die türkischstämmigen Diskustanten kritisierten außerdem, dass bei der Studie um assimilatorische Indikatoren ginge.

 20 Prozent aller Deutschen mit Migrationshintergrund?

Jedes Jahr wird in Deutschland ein repräsentativer Teil der Bevölkerung nach verschiedenen Kriteri en befragt (Mikrozensus). Ingesamt erfasst der Mikrozensus 800 000 Menschen. Seit 2005 wird unter anderem auch die Frage nach der nationalen Herkunft der Eltern gefragt. Diese vier Jahre alten Daten wertete das Berlin-Institut jetzt erstmals anhand des eigens entwickelten Integrationsindex aus.

Untersucht wurden die Daten der Aussiedler, der Bevölkerung aus der Türkei, der weiteren Länder der 25 Staaten der EU, diese Unterteilt in Südeuropa und ehemaliges Jugoslawien. Die anderen Herkunftsgruppen sind der Nahe und der Fernosten, Afrika und die einheimische Bevölkerung. Fragen nach der eigenen Herkunft, der Herkunft der Eltern und dem Einwanderungsjahr sind nur einige der Fragen, anhand derer der „Migrant“ ermittelt wird. Bei Mischehen wird nach der Anzahl der Kinder geschaut, um die entsprechende Quote zu ermitteln. Demnach haben fast 20 Prozent der heute in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund.

 „Die Medien sollen mehr positive Beispiele zeigen“, forderte zum Schluss eine einheimische Buchautorin. Die Grünen-Politikerin und ehemalige Berliner Bildungssenatorin Sybille Volkholz meinte, dass die Indikatoren nicht zwangsläufig zur Assimilation führen müssen. Tatsächlich lassen sich mit dieser Studie Erfolge und Schwachpunkte der bestehenden Einwanderungs- und Integrationspolitik herausfiltern, wie Klinholz betonte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bleibt dennoch unklar, wer den Index zur Messung von Integration benutzen und wem er nutzen wird.

Die Diskussion ging draußen im Foyer noch lange nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung weiter.