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Gemeinsam mit Juan Carlos oder "Mockus Presidente"? - Stimmen aus Kolumbien vor der Wahl

Wahlkampf für den grünen Präsidentschaftskandidaten Antanas Mockus in Popayán im Südwesten Kolumbiens.
Foto: Katrin Planta

26. Mai 2010
Von Katrin Planta
Von Katrin Planta

Drei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen am 30. Mai ist es in Kolumbien spannend wie selten zuvor. Schon bei meiner Ankunft wird aus meinem Urlaubsbesuch bei Freunden eine politische Reise voller Überraschungen. Noch kurz vor meinem Abflug verkündete ich im Brustton der Überzeugung, dass ein Präsident Antanas Mockus zwar ein schöner Traum, aber eben nur ein Traum bleiben wird. Bei meiner Ankunft in Bogotá werde ich schnell eines Besseren belehrt, eine grüne Welle rollt durch die Hauptstadt. Kundgebungen in der historischen Innenstadt, über eine halbe Million Fans auf Facebook (Stand 23.05.2010: 680.000), Menschen aller Milieus rennen mit Mockus- Armbändchen durch die Stadt. Auch am Handgelenk meiner Freundin Cristina baumelt ein grünes Bändchen. Strahlend streckt Sie mir den „Mockus Presidente“-Schriftzug  entgegen und erklärt euphorisch, dass ihr Kandidat gewinnen wird. Ich bin erstaunt. Bei meinem letzten Besuch führten wir noch lange Streitgespräche über die „Erfolge“ der Regierung Uribe.

Kometenhafter Aufstieg des grünen Kandidaten

Angefangen hat der kometenhafte Aufstieg des Präsidentschaftskandidaten Mockus nur wenige Wochen vor der ersten Wahlrunde. Der ehemalige Bürgermeister von Bogotá lag im März noch bei abgeschlagenen 3 Prozent. Ein viel besseres Ergebnis als bei seinem letzten Anlauf zur Präsidentschaftswahl im Jahr 2006, als er gerade einmal 1,2% der Stimmen erhielt, wurde von niemandem erwartet. Mit der Ernennung von Sergio Fajardo zum Kandidaten für die Vize-Präsidentschaft stieg seine Popularität Mitte April jedoch schlagartig auf 20%, um ihn nur einen Monat später mit 38% auf die Spitzenposition zu katapultieren. Während Mockus in den großen Städten - und vor allem in der Acht-Millionen-Stadt Bogotá - durch Bekanntheit punkten kann, hat Fajardo in den letzten zwei Jahren ausgiebig die Provinz bereist und ist auch in ländlichen Gegenden bekannt. Ob das aber reicht?

Wahlkampfteams für Mockus im ganzen Land

Nach ein paar Tagen in Bogotá verreise ich in den Südwesten des Landes, nach Popayán, der „weißen Stadt“, die als UNESCO Weltkulturerbe nach einem Erdbeben 1983 komplett restauriert wurde. Die rund 200.000 Einwohner starke Stadt liegt 3 Busstunden von Cali entfernt im Department Cauca. Dieses ist umgeben von den Regionen Narino, Putumayo und Valle del Cauca, alle bekannt für den Coca-Anbau, den Drogenhandel und nicht zuletzt die Verbreitung von bewaffneten Gruppen. Ein Mitarbeiter des Bürgermeisteramts erzählt mir, dass er bereits zweimal für ein paar Stunden verschleppt worden sei. Einmal von der Guerilla, einmal von den Paramilitärs. Die hätten gewollt, dass er öffentliche Aufträge an sie abgebe. Am Tag meiner Ankunft wird im Norden des Departments ein fünfjähriger Junge bei Kämpfen zwischen Armee und der FARC-Guerilla getötet. Der öffentliche Transport kommt ins Stocken, die Guerilla hat Busfahrern mit „Strafen“ gedroht, wenn sie die Gegend bedienen. Beweis für die fortdauernden bewaffneten Auseinandersetzungen sind die vielen Vertriebenen in Popayán. Mehrere hundert Familien leben in den armen Vororten der Stadt. Ob und wen sie am kommenden Sonntag wählen?

In der Wahlkampfzentrale von Mockus herrscht hektische Betriebsamkeit. Ich habe mich kaum vorgestellt, da habe ich schon ein Mockus T-Shirt an, Mockus-Poster und -Kalender zum Verteilen in der Hand und bin eingeladen, an der „Mockus Presidente“-Fahrradtour am selben Nachmittag teilzunehmen. Bevor ich nach draußen bugsiert werde, kann ich aber doch noch fragen, wie die Popularität des Kandidaten denn außerhalb der Stadtmauern aussieht. Ja, das sei schwierig, gibt der Wahlkampfbeauftragte zu. In den Dörfern sei Mockus nicht sehr bekannt – aber das Team arbeite daran.

Die Entscheidung der Anderen respektieren

Zurück in Bogotá begleite ich Cristina zusammen mit ihrer Tante zur Näherin. Wir plaudern über ein bevorstehendes Familienfest, die neue Mode und wie man richtig die Strasse überquert. Respektvolles Verhalten im Straßenverkehr hätten sie ja vom Bürgermeister Mockus gelernt, sagt Cristinas Tante. „Aber Erziehung ist nicht alles“, sagt sie auch. Dann zeigt sie mir ihr Armbändchen „Gemeinsam mit Juan Carlos“. Es wäre schon etwas komisch, dieses Jahr würden Cristina und sie für verschiedene Kandidaten stimmen. Aber das wichtigste ist ja, dass man die Entscheidung des Anderen respektiert. Nichte und Tante nicken einvernehmlich.

Marta, die Näherin, sieht das anders. Sie ist sehr wütend, auf Santos, Uribe, die Korruption, die Abhörgeschichten des Geheimdienstes, die Verwicklung dutzender Politiker in die so genannte „parapolítica“. Sie schimpft auch über die falschen Versprechungen, die Guerilla militärisch besiegen zu können, die  erneut steigende Unsicherheit in einigen großen Städten, und die Enthüllung der „falsos positivos“, Hunderter vom Militär getötete Zivilisten, die die Regierung lange als „im Kampf erschossene Rebellen“ verkauft hat. Am Anfang versucht Cristinas Tante noch zu widersprechen. Am Ende bringt sie nur noch ein schwaches „Martita, wir wollen doch nicht streiten“ raus. Doch Martita ist nicht mehr zu bremsen. Diejenigen, die Santos wählen würden, brächten das Land bewusst in die Katastrophe. Wir treten den Rückzug aus dem Schneidersalon an. Marta folgt uns bis zum Fahrstuhl. Eine letzte Geschichte muss sie noch loswerden. Den Wächter des Gebäudes habe man schon bestochen. Wenn er nicht für Santos stimme, würde es in der nächsten Wahlperiode keine Sozialleistungen für seine Familie mehr geben. Unten auf der Strasse schüttelt Cristinas Tante den Kopf: „Das glaube ich nicht.“

Mockus’ Programm: Gegen Korruption und für den Rechtsstaat

Die vorausgegangen Parlamentswahlen im März 2010 haben jedoch deutlich gemacht: Korruption und Wahlfälschung sind in Kolumbien gang und gäbe. Auch das erklärt den Stimmenzuwachs von „Saubermann“ Mockus. Viele Kolumbianer erhoffen sich von ihm ein „Großreinemachen“ mit dem schmutzigen Politikgeschäft. Mit seinem Anti-Korruptions- und Rechtsstaats-Diskurs hebt er sich deutlich ab von den Skandalen der letzten Jahre. Während die Regierung Uribe es im Ausland geschafft hat, Kolumbiens Image aufzupolieren, sind viele Bürgerinnen und Bürger im Land von acht Jahren Uribismus erschöpft. Zwar hat der Präsident weiterhin hohe Beliebtheitsquoten, die Grenzen seiner ausschließlich auf Sicherheit fixierten Politik sind vielen jedoch deutlich geworden. Mockus ist es gelungen, sich als eine Alternative zum Establishment zu präsentieren, ohne den Wählern Angst vor einem Linksruck zu geben. Der Mix aus Uribismus-müden Mittelschichtlern, intellektueller Elite und jungen Leuten, die über elektronische Medien in Eigenregie für Mockus mobil machen, könnten Mockus tatsächlich ins höchste Amt der Republik befördern.

Wahlkampfstrategien des Gegenkandidaten Santos

Doch Gegenkandidat Santos sieht dem nicht tatenlos zu, seine Wahlmaschinerie ist längst angesprungen. Eine neue Wahlkampfeinheit widmet sich ausschließlich der Eroberung des Netzes. In einem Video erklärt Santos die Jugendlichen zu seinen „Soldaten im Internet“, wo sie ihn über facebook, twitter, Hi5 und flickr unterstützen sollen. Zudem hat sich der Kandidat den Venezolaner J.J. Rendón als neuen Wahlkampfberater angestellt – trotz dessen zweifelhaften Rufes. Der selbsternannte König der Gerüchte verkauft diese auf seiner Website unter dem Stichwort „Gerüchte-Klinik“ als „Präventivsystem zur Korrektur destabilisierender Situationen“. Ob er es  mit diesen Schachzügen schaffen wird, neue Wähler für Santos zu rekrutieren oder die rund 9% Unentschlossenen ins Boot der „U“ (Partido Social de la Unidad Nacional) zu bringen?

Patt vorhergesagt

Am Pfingstsonntag, dem offiziellen Wahlkampfschluss aller Parteien, sagt die „letzte große Umfrage“ (realisiert von Ipsos Napoleón Franco für den Fernsehsender RCN, die Radiosender La FM y RCN Radio und die Wochenzeitschrift Semana) ein Patt der Kandidaten vorher. Dann würde es am 20. Juni in der Stichwahl einen final Showdown zwischen Mockus und Santos geben. Bis dahin ist nur eines klar  – es bleibt spannend, und es wird knapp.



Katrin Planta ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Berghof Conflict Research. Ihre Forschungsinteressen umfassen Verhandlungsprozesse und Grauzonen zwischen Krieg und Frieden, Bürgersicherheit und Gewalteindämmung, den Wiederaufbau nach Friedensabkommen und den Zusammenhang von Konflikt und Entwicklung.