Wieso die Regierung als Retter versagt

3. Juni 2009
Von Ralf Fücks
Von Ralf Fücks

Die Obama-Administration schickt General Motors in die Insolvenz und übernimmt die Mehrheit an dem Konzern, die Bundesregierung fädelt die Übernahme von Opel durch ein Konsortium ein und sichert die Transaktion durch Kredite und Bürgschaften ab. Nur auf den alleroberflächlichsten Blick ist die neue amerikanische Regierung damit auf den europäischen Weg umgeschwenkt. Industriepolitik á la Washington unterscheidet sich fundamental von der Berliner Variante.

Harte Einschnitte

Einerseits geht Obama weiter: nicht nur hinsichtlich der Größenordnung staatlicher Beteiligungen und Bürgschaften, die in den tönernen Koloss General Motors gepumpt werden. Zugleich übernimmt die amerikanische Regierung mit dem Eigentum auch die Verantwortung für die Zukunft des Konzerns.

Ziel ist es, GM wieder profitabel zu machen und zu reprivatisieren. Der Staat agiert wie ein Eigentümer, der ein sklerotisches Unternehmen wieder wettbewerbsfähig machen will: Kosten werden gesenkt, Strukturen verschlankt, die Modellpalette reduziert, Tochterfirmen abgestoßen. Dahinter stehen harte Einschnitte: Mit der Insolvenz werden Aktionäre und Gläubiger zur Kasse gebeten, das Händlernetz wird reduziert, die Belegschaft verzichtet auf einen Teil ihrer Pensionsansprüche. Neun Standorte werden geschlossen, drei weitere eingemottet.

Nicht nur die amerikanischen Steuerzahler, alle Anteilseigner werden in Anspruch genommen, um den Untergang eines Konzerns zu verhindern, der einmal das Rückgrat der US-Industrie bildete.

Obama wendet sich direkt an die Arbeiter der Standorte, die jetzt abgewickelt werden, und spricht von Opfern, die sie zu bringen haben, damit Amerika auch für ihre Enkel noch Industriearbeitsplätze bieten kann.
Zugleich verschärft er die Verbrauchsnormen für Pkw und Lkw und investiert massiv in die Entwicklung von Green Cars. Kostensenkung ist kein Selbstzweck, sondern soll Mittel freimachen für Innovationen. Die Autos der Zukunft sollen nicht nur in China gebaut werden, sondern in den USA.

Die Farce, die sich in den letzten Wochen um Opel abgespielt hat, folgt einem komplett anderen Drehbuch.

Die Opel-Arbeitsplätze sind keineswegs gesichert

Leitmotiv war nicht das Ziel, das Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen, sondern der Wettlauf zwischen SPD und Union um die Palme des Opel-Retters. Eröffnet hat ihn der Kanzlerkandidat der SPD auf einer Kundgebung in Rüsselsheim. Von da an gab es kein Halten mehr.

Faktisch übernahm die Bundesregierung eine Bestandsgarantie für die (deutschen) Standorte des Unternehmens, bevor Investoren und ein Zukunftskonzept in Sicht waren. Ein Blankoscheck zu Lasten der Steuerzahler, auszustellen auf die neuen Eigentümer.

So kam ein Konsortium aus dem amerikanischen Staatskonzern GM, einer russischen Bank mit Verbindungen zu einem maroden russischen Autokonzern und einem österreichischen Zulieferer zustande, das durch sehr unterschiedliche Interessen zusammengehalten wird.

Weil sich SPD, die Landesfürsten der Union und die Kanzlerin einig waren, dass eine Insolvenz von Opel politisch zu riskant sei, konnte die Position von Magna in den Übernahmeverhandlungen nicht komfortabler sein. Die neuen Eigentümer wälzen die Risiken weitgehend auf die deutschen Steuerzahler und die Opel-Arbeiter ab, deren Arbeitsplätze keineswegs gesichert sind - wie denn auch bei einem Unternehmen, das von Überkapazitäten und kostenintensiven Strukturen geplagt wird und kontinuierlich Marktanteile in Europa verloren hat.

Die Perspektive dieses Deals reicht kaum über die Bundestagswahlen hinaus. Die Bundesregierung agiert hier nicht als Treuhänder der industriellen Zukunft der Bundesrepublik, sondern als Schutzpatron der Opelarbeiter, der Beschäftigung mit Steuermitteln kauft. Das wird nicht lange gut gehen. Am Ende zahlen die Zeche nicht nur die Steuerzahler/innen, sondern die Beschäftigten bei VW, Ford und den anderen Anbietern im Opel-Segment. Entweder ihre Unternehmen erhalten ebenfalls Staatshilfen, oder der unvermeidliche Kapazitätsabbau geht zu ihren Lasten.
 
Es ist nicht verkehrt, wenn sich die Regierung dafür einsetzt, zukunftsfähige Industrien in Deutschland zu halten. Aber weder hängt die Zukunft der deutschen Automobilindustrie an Opel, noch lässt sich diese Zukunft durch eine so strukturkonservative Bestandspolitik sichern. Vielmehr geht es darum, den unvermeidlichen Strukturwandel der Autoindustrie so zu flankieren, dass dabei zukunftsfähige Mobilitätskonzerne herauskommen.

Kein Alibi für den Einsatz von Steuermitteln

Dabei soll auch Opel eine faire Chance bekommen. Wer aber Industriepolitik mit Standortgarantien um jeden Preis verwechselt, dreht nur an der Schraube des internationalen Subventionswettlaufs. Dabei werden jene knappen Mittel verbraten, die im Innovationswettlauf gebraucht werden. Nur jene Autokonzerne werden überleben, die das Auto neu erfinden. Das betrifft nicht nur Motor, Bauweise und Nutzungskonzept, sondern die Einbettung des Automobils in einen integrierten Verkehrsverbund mit Eisenbahn und öffentlichem Nahverkehr.

Beihilfen für die ökologische Konversion der Autoindustrie – das wäre tatsächlich vorausschauende Industriepolitik.
 
Mit staatlichen Rettungsaktionen für Arcandor / Karstadt würde aus Wohltat erst recht Plage. Konnte man bei Opel noch argumentieren, dass das Unternehmen unverschuldet in den Sog des Mutterkonzerns GM geraten war und deshalb aus der Konkursmasse herausgelöst werden musste, gibt es in diesem Fall keinerlei Alibi für den Einsatz von Steuermitteln.

Karstadt ist seit langen Jahren in einer strukturellen Krise, weil es dem Konzern nicht gelungen ist, das Prinzip des Universalkaufhauses an eine radikal veränderte Einzelhandelslandschaft anzupassen – und weil die Eigentümer selbst immer mehr auf das Reisegeschäft statt auf das altgediente Stammgeschäft setzten. Thomas Cook ist profitabel, Karstadt nicht.

Für die Misere der Innenstadtkaufhäuser ist freilich nicht nur der Eigentümerkonzern verantwortlich. Die Städte haben selbst fleißig daran mitgewirkt. Sie haben wie verrückt Flächen für riesige Einkaufszentren am Stadtrand - und neuerdings auch in den Kernstädten - bereitgestellt und damit jene Überkapazitäten gezüchtet, an denen schon der klassische Fachhandel in den deutschen Stadtzentren verendet ist. Die "drohende Verödung der Innenstädte", mit der unser Außenminister jetzt den nächsten Sündenfall begründet, ist maßgeblich das Resultat einer verfehlten Stadtpolitik.
Damit jetzt staatliche Rettungsaktionen für Karstadt/Arcandor zu begründen, ist ein schlechter Witz - und kein bisschen sozial. Der Konzern hat vermögende Eigentümer, die ihr Kapital einsetzen müssen, wenn das Unternehmen gerettet werden soll.

Es ist so zynisch wie im Fall Schaeffler, wenn die Familie Schickedanz sich hinter der kleinen Verkäuferin versteckt, um Staatshilfen zu erpressen. Und im Gegensatz zu Opel gibt es eine sinnvolle privatwirtschaftliche Alternative, nämlich die Fusion von Karstadt/Arcandor mit Kaufhof/Metro.

Diese Operation wäre freilich mit einer Schließung überzähliger Häuser verbunden. Dagegen mit Steuermitteln anzugehen, ist erstens teuer und zweitens auf Dauer erfolglos.

Siehe Opel.

Der Artikel erschien am 03:06:2009 auf SPIEGEL ONLINE.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.