13. Mai 2008
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Hinsichtlich der gender-relevanten gesellschaftlichen Arrangements können Konsequenzen des Grundeinkommens im wesentlichen in politische, kulturelle und ökonomische Auswirkungen unterschieden werden.
Gender-politische Konsequenzen
- Chancen: Ein neuer, geschlechtergerechter Gesellschaftsvertrag?
Das Grundeinkommen könnte ein erster wichtiger Baustein in einem umfassenderen Projekt zur Erneuerung und Verbesserung des Sozialen in unserer Gesellschaft sein. Bereits die Debatte über die Frage, mit welchem politischen Anspruch in unserer Gesellschaft Mindeststandards zum Leben sichergestellt werden könnte, bietet die Chance, die Wahrnehmung von Armut, Reichtum und soziale bzw. gesellschaftliche Teilhabe zu verändern. Mit dem positiven Bild von aktiven BürgerInnen, die sich auf verschiedene Weise in die Gesellschaft einbringen, fördert die Grundeinkommens-Diskussion ein breiteren Bewusstsein veränderter sozialer und politischer Zusammenhänge und damit eine emanzipatorische Entwicklung innerhalb der Gesellschaft.
Die Aufwertung auch anderer Arbeits- und Lebensstile neben der Erwerbsarbeit könnte also ein neues Verständnis sozialer Bedürfnisse und solidarischer Pflichten der Gesellschaft nach sich ziehen, was dem Ausbau sozialer Infrastruktur, der verbesserten sozialen Teilhabe und mehr sozialer Fürsorge zu Gute käme. Ein solcher, praktisch erneuerter Gesellschaftsvertrag wäre ein bedeutender Schritt hin zu mehr allgemeiner Gerechtigkeit und damit auch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Im Gegensatz zu manchen heutigen Sozialsystemen, die Männer besser stellen und Frauen strukturell benachteiligen (wie z.B. das britische Sozialsystem), würde ein Grundeinkommen die Situation für Frauen wohl zumindest verbessern. - Risiken: Re-Privatisierung von Familienarbeit und Schwächung des Sozialstaats
Die größte Befürchtung ist die, dass angesichts begrenzter Ressourcen und hoher Staatsausgaben für das Grundeinkommen hohe Kürzungen im Bereich der Sozialen Infrastruktur erwartbar wäre, die auch mit der Verstärkung traditioneller Rollenbilder und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung moralisch begründet werden könnten. Für Frauen könnte sich ein sozialer Druck ergeben, aufgrund der nicht mehr vorhandenen Notwendigkeit der Erwerbsarbeit die Familienarbeit anzunehmen, weshalb z.B. Kinder wieder mehr zu Hause betreut werden könnte. Dies wäre ein ungeheurer frauen- und bildungspolitischer Rückschlag. Ein weiteres Problem des Grundeinkommens liegt darin, dass es alle BürgerInnen gleich behandelt und - zumindest ohne weitere begleitende sozialpolitische Maßnahmen ausgestattet – nicht mehr auf individuelle Bedürfnisse, Lebenslagen oder Probleme eingeht. Dadurch können neue Ungerechtigkeiten erzeugt, Abhängigkeiten übersehen, Notlagen negiert werden, die vorher vielleicht sozialstaatliche Unterstützung gehabt hätten. Dies gilt insbesondere für Alleinerziehende, Schwangere oder ärmere Frauen. Zudem wäre es denkbar, dass immer mehr öffentliche Daseinsvorsorge in das Bürgerschaftliche Engagement verlagert würde, mit negativen Auswirkungen auf die Stabilität solcher Angebote selbst, aber auch mit negativem Beschäftigungswachstum im Öffentlichen Dienst und bei den typischen „Frauenberufen“, also in Pflege, Bildung und Betreuung.
Gender-kulturelle Konsequenzen
- Chancen: Geschlechtergerechtere Arbeitsteilung, Auflösung traditioneller Rollenerwartungen, mehr Entscheidungsfreiheit und Eigenständigkeit
Ein positiver kultureller Aspekt des Grundeinkommens wäre die Möglichkeit, dass sich die geschlechterspezifische Arbeitsteilung auch dahingehend verändert, dass mehr Männer Familienarbeit übernehmen und Erwerbs- und Versorgungsarbeit gerechter verteilt wird, da Familien weniger vom Erwerbseinkommen (traditionellerweise des Mannes) abhängig wären und das Familienmodell des „Alleinernährers“ ohnehin immer stärker in den Hintergrund tritt. Das Grundeinkommen hat also – entgegen den oben genannten Befürchtungen – auch das Potenzial, Männern und Frauen mehr Entscheidungsfreiheit in der Ausgestaltung ihrer Arbeitsbiographie zuzugestehen. Frauen, die Familienarbeit leisten, gelten oft als „Ressource“ des beruflichen Erfolgs ihrer Ehemänner – ohne immer an diesem Erfolg teilhaben zu können oder gar eigenen Erfolg als Quelle von Respekt und Selbstwertgefühl erlangen zu können. Eine durch das Grundeinkommen gegebene größere Entscheidungsfreiheit könnte Frauen helfen, aus diesem „Erwerbsschatten“ ihrer Partner/ Ehemänner zu treDie Risiken im Bereich politischer Kultur liegen vor allem in den oben bereits erwähnten Punkten: Hier sind die Gefahr der Verstärkung traditioneller Geschlechterrollen, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und des steigenden sozialen Drucks insbesondere auf Frauen, Hausfrau zu werden oder bleiben, zu nennen.ten. Ob diese Chance auch so emanzipatorisch genutzt wird, ist eine andere Frage. Mit der Aufwertung nicht-erwerbsförmiger Arbeit könnten zudem ein neuer Arbeitsbegriff und die Anerkennung des „Sozialen“ auch im Erwerbsarbeitsbereich zur Geltung kommen. Aufgrund der Fixierung auf Erwerbsarbeit als einzige „vollwertige“ Arbeit setzt sich bisher die Erkenntnis, dass ArbeitnehmerInnen auch Eltern, Geschwister, Freunde sind und ein „Leben neben der Erwerbsarbeit“ haben – Stichwort: Work-Life-Balance – erst allmählich durch. - Risiken: Verstärkung traditioneller Rollenbilder & geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung
Die Risiken im Bereich politischer Kultur liegen vor allem in den oben bereits erwähnten Punkten: Hier sind die Gefahr der Verstärkung traditioneller Geschlechterrollen, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und des steigenden sozialen Drucks insbesondere auf Frauen, Hausfrau zu werden oder bleiben, zu nennen.
Gender-ökonomische Konsequenzen
- Chancen: Bessere Arbeitsbedingungen v.a. im Niedriglohnbereich, Entbürokratisierung und mehr Risikoabsicherung gerade für Unternehmerinnen, Entwicklung eines anti-patriarchalen Wirtschaftssystems
Unter günstigen politischen Rahmenbedingungen wie z.B. der parallelen Einführung von Mindestlöhnen könnte das Grundeinkommen Verbesserungen im Niedriglohnsektor mit sich bringen. Unattraktive Arbeit müsste zu besseren Bedingungen angeboten und/oder besser bezahlt werden, was weitreichende Konsequenzen für die ungleiche Verteilung von Erwerbs- und Versorgungsarbeit hätte: Da die Mehrzahl der im Niedriglohnbereich Beschäftigten Frauen sind, könnten diese auch stärker berufstätig werden, was zu „Neuverhandlungen“ über die Aufteilung von Familienarbeit führen könnte. Zudem könnten positive ökonomische Folgen auch eine Erleichterung von Investitionen und Selbständigkeit sein, weil die unternehmerische Freiheit grundlegend finanziell abgesichert ist. Auch dies könnte insbesondere Frauen, die ggf. nach einer längeren Erwerbspause als selbständige Unternehmerinnen tätig werden möchten, den Einstieg in die Erwerbsarbeit erleichtern.
Auf einer abstrakteren Ebene könnte das Grundeinkommen aber auch als „monetäre Sichtbarmachung“ allgemeiner Abhängigkeiten im Rahmen der sozialen Strukturen der Gesellschaft interpretiert werden, wie die Publizistin Antje Schrupp (Grundeinkommen 2006, Grundeinkommen 2005) vorschlägt: dieser Gedanke könnte zu einer Veränderung des androzentrischen Wirtschaftsbegriffs führen, da er verdeutlicht, dass das in der Ökonomie bis dato vorherrschende Paradigma von Leistungsdruck, Konkurrenz und Vereinzelung als gesellschaftliche Basis nicht funktioniert. Es könnte ein – auch volkswirtschaftlich – „ehrlicher“ und humaner Wirtschaftsbegriff entstehen, wenn die Ressource der Familien- und Versorgungsarbeit mit „berechnet“ würde. Die Aufwertung von bisher eher typischer „Frauenarbeit“ eröffnete demnach Wege zu anti-patriarchalem Wirtschaften und zu einem geschlechtergerechten Leistungsbegriff. - Risiken: Lohndumping, Festschreibung der Diskriminierung am Arbeitsmarkt
Die Kehrseite der Konsequenzen des Grundeinkommens bei ungünstigen Rahmenbedingungen betreffen auch vor allem den weiblich geprägten Niedriglohnsektor: die Gefahren bestehen in einem zunehmenden Lohndumping, da Arbeit nicht mehr existenzsichernd sein muss (dies „übernimmt“ ja das Grundeinkommen). Gerade für Alleinerziehende oder getrennt lebende Frauen wäre dies problematisch, wenn das Grundeinkommen nur knapp zur minimalen Existenzsicherung ausreicht, aber beispielsweise die Familie auf zusätzliches Einkommen angewiesen ist. Schlechtere Arbeitsbedingungen und geringere Löhne würden vor allem Frauen hart treffen. Der Fortschritt weiblicher Beteiligung an Erwerbsarbeit wurde bisher gewissermaßen auch durch die Festschreibung von Benachteiligung wie geringerer Löhne und schlechterer Arbeitsbedingungen für Frauen „erkauft“, wie die grüne Politikerin Astrid Rothe-Beinlich formulierte. Das Grundeinkommen könnte diese Benachteiligung besonders bei niedrig entlohnter und gering abgesicherter Erwerbsarbeit verschärfen.