„Well played“ - 3. Arabisch-iranische Filmtage der Heinrich-Böll-Stiftung

Lesedauer: 6 Minuten

Making Of

17. März 2008

Von Nouri Bouzid
Tunesien 2006
120 min
Originalsprache: Arabisch
Untertitel: Englisch

Regie: Nouri Bouzid
Buch: Nouri Bouzid
Kamera: Michel Baudour
Ton: Michel Ben Saïd
Musik: Najib Charradi
Mit: Lotfi Abdelli, Afef Ben Mahmoud, Fatima Ben Saïdane, Lotfi Dziri, Foued Litaïem
Schnitt: Karim Hammouda

Verleih Deutschland
Filmgalerie 451
Filmproduktion & Videolabel OHG
Saarbrücker Str. 24
10405 Berlin
Tel. 030.33982800
Fax 030.33982810
www.filmgalerie451.de


Inhalt
Der 25-jährige Bahta träumt von einer Karriere als Breakdancer in Europa. Doch er findet mit seinen Freunden keinen Platz, an dem sie tanzen können. Die Polizei verjagt sie immer wieder und behandelt sie als Aufrührer. Bahta hat keine Ausbildung, keinen Job und Probleme mit seiner Freundin. Die Auswanderung aus Tunesien ist auch wegen des Irakkriegs unmöglich. Seine Situation und seine Frustration machen ihn zu einem idealen Rekruten für eine Islamistengruppe. Mit Versprechungen versucht diese ihn für ihre Ziele zu gewinnen. Doch obwohl Bahta von deren Ideen fasziniert ist, kommen in ihm auch immer wieder Zweifel und Widerstände hoch. In diesen Momenten unterbricht der Schauspieler den Film mehrfach und weigert sich, weiter zu spielen. Der Film endet dramatisch.

Biografie
Nouri Bouzid wurde 1945 in Sfax (Tunesien) geboren und studierte Film am INSAS (Institut National des Arts du Spectacle et Technique de Diffusion) in Brüssel. Sein Studium schloss er 1972 mit dem Kurzfilm “Duel” ab. Nach der Arbeit als Regieassistent kehrte er nach Tunesien zurück und arbeitete beim tunesischen Fernsehen RTT. In seiner Heimat engagierte er sich in der radikal-politischen Gruppe Perspectives. Er verbrachte deswegen über fünf Jahre (1973 bis 1979) im Gefängnis. Wieder in Freiheit wirkte er erneut als Regieassistent bei tunesischen und ausländischen Produktionen mit. Sein Spielfilm-Regiedebüt “L’homme de cendres” wurde 1986 in der offiziellen Auswahl in Cannes gezeigt und erhielt mehrere Preise auf verschiedenen Festivals. Außerdem hat er die Drehbücher für folgende Filme geschrieben: “Halfaouine - l’enfant des terrasses” (Ferid Boughedir, 1990), “La nuit de la décennie” (Babaï Brahim, 1990), “Le sultan de la médina” (Moncef Dhouib, 1992), “Les silences du palais” (Moufida Tlatli, 1994), “La saison des hommes” (Moufida Tlatli, 2001)

Filmografie (ausgewählte Filme)
Duel (Kurzfilm, 1972)
L’homme de cendres (1986)
Les sabots en or (1989)
C’est Sheherazade qu’on assassine (Kurzfilm im Rahmen des Filmprojekts “La guerre du golfe… et après?”, 1991)
Bezness (1993)
Les mains dans le plat (Kurzfilm, 1993)
Bent Familia (1998)
Poupées d’argile (2002)
Making Of (2006)

Eine Geschichte vom Verführtwerden

„Making of” von Nouri Bouzid ist ein aufwändig erzählter Film im Film

Von Simone Schmollack

Breakdance ist sein Leben. Bahta ist 25, er hat keinen Job, keine Ausbildung und einen Sack voller Probleme. Aber er hat den Tanz. Doch in Tunesien, wo Bahta lebt, ist Tanzen etwas für Weicheier, für „Schwuchteln“. Aber Bahta ist widerständig und stolz und selbstbewusst, alle Anfeindungen und Hänseleien wischt er vom Tisch wie alte Brotkrümel. Er will nichts so sehr, als sich mit seinem Körper ausdrücken zu können. Dafür würde er sogar nach Europa gehen. Doch Auswandern ist undenkbar angesichts des Irakkrieges. Und ohne Geld geht sowieso nichts.

Einer wie Bahta fällt auf, immer und jedem. Auch einigen Islamisten, die Nachwuchs für ihre Gruppe brauchen. Sie sprechen Bahta an und versprechen ihm eine Zukunft, jenseits des tristen Daseins in der tunesischen Hafenstadt, sie malen ihm ein Leben aus, in dem alles seine Berechtigung hat, nur nicht das, was gerade gilt.

Einer wie Bahta ist leichte Beute für die Islamisten. Sie kriegen ihn, weil er nichts hat und so viel will. Er bekommt ein Bett für die Nacht und etwas zu essen, den Koran unter die Nase gedrückt und eine Verheißung: Ein Paradies voller Jungfrauen, wenn er nur bald als Märtyrer stirbt. Bahta ist empfänglich dafür, aber er zweifelt bis zum Schluss an der Richtigkeit dieser Ideologie. Er hört Sätze wie „Der Islam ist die gerechteste Religion“ und „Der Westen bringt schmutzige Sachen wie Tanz, Theater, Kunst, Aids und Rinderwahnsinn“. Und fragt zurück: „Und warum leben sie besser als wir?“ Aber Bahtas Kraft reicht nicht, um den Weg zurück in seine alte Welt zu finden. Er verliert den Kampf gegen die Islamisten und den Kampf gegen sich selbst.

Nouri Bouzid, 63, einer der prominentesten Filmemacher Tunesiens, hat sich mit „Making of“ auf ein Minenfeld begeben. Einen islamischer Fundamentalismus, sagen Tunesier selbst, gibt es nicht in dem nordafrikanischen Land. Trotzdem musste Nouri Bouzid einen filmischen Trick anwenden, um den Film von der heimischen Kulturkommission finanziert zu bekommen, ein Großteil des Geldes kam aus dem Ausland. Es gibt einen Film im Film. Mehrere Male steigt der Schauspieler des Bahta, Lotfi Abdelli, beim Dreh aus seiner Rolle aus. Er selbst ist Muslim und sagt: „So etwas gibt es bei uns nicht, hier ist niemand radikal. Bahta ist kein Monster, das Monster ist der Film.“ Regisseur Bouzid erklärt dem Schauspieler, dass es darum geht zu zeigen, wie junge Menschen verführt werden können und nicht darum, den Islam zu verunglimpfen. Bouzid sagt auch, dass er, Lotfi Abdelli, alles richtig mache, wenn er sich so sehr mit seiner Rolle identifiziere, dass er die Verunsicherung und die Angst seines Helden stark verinnerliche. Regisseur und Schauspieler sitzen sich gegenüber wie Lehrer und Schüler und führen genau solch ein Gespräch. Das alles nimmt die Kamera auf. Anfangs ist es irritierend, dass und wie das Making of in den Film eingewoben wurde. Am Ende ist es das spannendste Moment im Film.

Es war auch ein Experiment. Das gesamte Filmteam wusste vom Plan des Films im Film. Nur der Hauptdarsteller hatte keine Ahnung. Bouzid gab Abdelli immer nur 20 Seiten des Drehbuchs zu lesen, und der wusste nicht, worauf er sich einlässt. „Ich dachte, wir drehen ein Film über Tänzer“, sagt Abdelli beim ersten Einschub. „Aber jetzt geht es um Terrorismus.“ Das Making Of war inszeniert, die Dialoge nicht.

Für Westeuropäer mag der didaktische Ton an vielen Stellen befremdlich sein. „Ich brauche keine Erklärung“, sagt Frieder Schlaich von der Berliner Filmgalerie 451, einer der ausländischen Koproduktionen. „Wir haben viel darüber diskutiert.“ Nouri Bouzid bestand darauf, dass es einen Unterschied gibt zwischen westlicher Wahrnehmung und seinen Recherchen. Und die hätten jenes Bild ergeben, das er in seinem Film darstellt. Es gibt eine Szene auf einem Friedhof. Wie ein Mantra betet Bahtas „Lehrer“ „Weisheiten“ herunter: „Wir müssen den Westen für immer vernichten“. „Es gibt keine Macht außer der Macht Gottes.“ „Der wahre Muslim denkt täglich an den Tod.“ „Gott selbst wählt seine Weisheiten.“ Mit jedem weiteren Satz wird dem (westlichen) Zuschauer unwohler. Aber nicht, weil das Gesagte unglaubwürdig ist, sondern einfach wie eine Schicht zu viel.

Bevor „Making of“ in Tunesien im Februar 2007 in die Kinos kam, musste er erst einige internationale Preise gewinnen, insgesamt sind es 16. Während der Dreharbeiten wuchsen die staatlichen Zweifel gegenüber dem Werk, die Arbeit wurde behindert. Nouri Bouzid drehte länger als gewöhnlich an dem Film, weil die von der Kulturkommission zugesagten Gelder entweder gar nicht oder zu spät gezahlt wurden.

Alle Filme von Nouri Bouzid haben in Tunesien für Wirbel gesorgt. Der Regisseur, der Assistent bei Steven Spielberg war, hat immer Tabus gebrochen. Von 1973 bis 1979 wurde er verhaftet, weil er Mitglied einer oppositionellen Gruppe war. 2007 erhielt er den Ibn Rushd Preis für seine Leistung zum kritischen Denken in der arabischen Welt.