Ralf Fücks zur Eröffnung der gemeinsamen Tagung des Öko-Instituts und der Heinrich-Böll-Stiftung
Berlin, 26. Oktober 2005Seit die neue Heinrich-Böll-Stiftung 1996/97 ihre Arbeit aufnahm, gab es immer wieder eine intensive und fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Öko-Institut.
Das begann im Jahr 2000 mit der Studie „Energiewende 2020: Der Weg in eine zukunftsfähige Energiewirtschaft“, von Felix Christian Matthes und Martin Cames. Sie entwickelte Strategien, Instrumente und Szenarien für die Energiewende in Deutschland unter den Bedingungen des damals gerade vereinbarten Atomausstieges.
Im Jahr 2001 folgte das die Studie „Sustainability and the Future of European Electricity Policy“, von Felix Christian Matthes und Christof Timpe. Angesichts der Liberalisierung der europäischen Energiemärkte skizzierte sie Strategien und Instrumente, um ökologischen Nachhaltigkeitszielen in diesem Markt Gültigkeit zu verschaffen.
Ein weiteres Jahr darauf begaben wir uns auf die globale Ebene: „Changing Course: A Contribution to a Global Energy Strategy“ von Uwe Fritsche und Felix Christian Matthes skizzierte Elemente einer globalen Energiestrategie. Ein wichtiger Beitrag im Nachgang zum Gipfel in Johannesburg und zur Vorbereitung der Renewables 2004 in Bonn.
Das Zusammenwirken von nationaler, europäischer und globaler Ebene ist unverzichtbar, um die Herausforderung zu meistern, vor der wir durch hausgemachte Klima-veränderungen, atomare Risiken und die heraufziehende Verknappung des Erdöls stehen.
Die Bundesrepublik muss ihr globale Vorreiterrolle bei der Erschließung erneuerbarer Energien beibehalten und verstärkte Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz übernehmen – in verbesserter Wärmedämmung, im Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, in effizienteren Energiegeräten und Verbrennungsmotoren liegt auf absehbare Zeit das größte Einsparungspotential.
Die EU muss ihre Ziele für die Reduktion von CO2 und den Ausbau regenerativer Energien bis zum Jahr 2020 und darüber hinaus fortschreiben und ein effektives Monitoring installieren
Auf globaler Ebene brauchen wir eine Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls mit verbindlichen, regional differenzierten Reduktionszielen – und zwar unter Einschluss der USA und der aufstrebenden neuen Industrienationen in Asien und Lateinamerika.
Das Jahr 2005 wird in einer zukünftigen Rückschau vielleicht als energiepolitische Zäsur, als Wendepunkt in der Geschichte der Industriegesellschaft erscheinen. Das Zusammentreffen einer außergewöhnlichen Serie schwerer Stürme mit der Explosion des Ölpreises ist ein unübersehbares Menetekel an der Wand:
Der CO2–bedingte Klimawandel hat schon begonnen, und das Ende des Ölzeitalters kündigt sich an. Es bleiben wenige Jahrzehnte, um die Energiebasis der Industriegesellschaft komplett umzustellen – eine gewaltige Herausforderung an Wissenschaft, Technologie, Wirtschaft, Politik wie an die Verbraucher.
Wir können und müssen öffentlich Druck machen, damit die große Koalition nicht alles mit dem Hintern einreißt, was unter rot-grün mühsam, aber erfolgreich erstritten wurde – vom schrittweisen Atomausstieg bis zum Erneuerbare-Energien–Gesetz. Dabei bin ich nicht allzu ängstlich: Die wirtschaftliche Dynamik bei den erneuerbaren Energien ist inzwischen so groß, dass jede Regierung mit dem Klammerbeutel gepudert wäre, sie wieder abzuwürgen. Und das Energieunternehmen, das in Deutschland den Neubau eines AKW auf die Tagesordnung setzen will, muss erst noch gefunden werden. Auch die Atomenergie hat ihren Zenit schon hinter sich, daran ändern auch die Diskussionen um eine Laufzeit-Verlängerung für die bestehenden AKWs nichts. Trotzdem ist das eine ernste Frage, weil jede Laufzeitverlängerung auch die Risiken verlängert, die mit der Atomenergie verbunden sind, und weil damit die Menge des Atommülls weiter wächst, für den es keine gesicherte Entsorgung gibt.
Dass wir mit der „Energiewende“ in Deutschland relativ weit vorangekommen sind, ist auch ein Verdienst des Öko-Instituts. Mit seiner ersten Energiewende-Studie hat es vor 25 Jahren einen Stein ins Wasser geworfen, der seitdem immer weitere Kreise gezogen hat. Und diesen Anspruch der Entwicklung wissenschaftlich fundierter, handlungs-orientierter Alternativen hat das Institut seither immer wieder eingelöst.
Die Karriere des Projekts „Energiewende“ lag aber auch darin begründet, dass die wissenschaftlichen Impulse ihren politischen Akteur in Gestalt der Grünen gefunden haben: Der Aufstieg der Grünen zu einer eigenständigen politischen Kraft ist eng mit dieser Idee und ihrer praktischen Umsetzung verbunden.
Wir freuen uns, dass das Öko-Institut seine Jubiläumstagung gemeinsam mit der Heinrich Böll Stiftung ausrichtet und nehmen das auch als Bestätigung für die produktive Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren. Wir werden diese Tradition sicher auch in Zukunft fortsetzen. Für die Stiftung stehen im kommenden Jahr zwei Themenkreise im Zentrum unserer energie- und umweltpolitischen Arbeit: Klimaschutz und Atomenergie. 2006 ist der 20. Jahrestag des atomaren GAUs von Tschernobyl – das ist für uns Anlass, die Auseinandersetzung mit der Atomenergie neu aufzunehmen. Die große Herausforderung besteht darin, die Verminderung der CO2-Emissionen mit dem Ausstieg aus der Atomenergie zu verbinden, statt den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Dafür brauchen wir auch weiterhin breite und starke Allianzen zwischen Wissenschaft und Politik und einen langen Atem für die zweite Halbzeit der „Energiewende“.