Sicherheit in der einen Welt

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19. März 2008
"Sicherheit" – kaum ein anderer politischer Begriff hat seit den Anschlägen des 11. September 2001 eine solche internationale Karriere erlebt. Im Namen der Sicherheit wurden Kriege zum Sturz der Taliban und der irakischen Diktatur geführt, der "Krieg gegen den Terrorismus" ausgerufen, beschloss die EU die Aufstellung global aktionsfähiger Eingreiftruppen, wurden Grenzkontrollen verschärft und Befugnisse der Sicherheitsapparate erweitert. Haben all diese Aktionen zu mehr Sicherheit geführt? Und von wessen Sicherheit ist die Rede? Es liegt auf der Hand, dass die Antwort auf diese Fragen unterschiedlich ausfällt, je nachdem, von wem sie gegeben wird.

Für den amerikanischen Verteidigungsminister bedeutet "Sicherheit" etwas anderes als für einen indischen Reisbauern, eine afrikanische Marktfrau oder einen muslimischen Jugendlichen in Europa. Sicherheit kann die Abwehr von terroristischen Anschlägen bedeuten oder die Hinderung extremistischer Staaten, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. Im Sudan geht es um den Schutz vor Völkermord, während die Bevölkerung in den Armenhäusern dieser Erde vor allem durch Hunger, Wassermangel und Epidemien bedroht wird. Die Gewalt hat viele Gesichter. Sie kann im Gewand der sozialen Not einhergehen oder in der Uniform eines Paramilitärs, sie kann das Gesicht eines Folterers haben oder eines Fanatikers, der bereit ist, über Leichen zu gehen. So mannigfaltig wie ihre Erscheinungsformen sind auch ihre Ursachen.

Daraus folgt erstens: wir dürfen nicht den Fehler machen, Sicherheit exklusiv als Sicherheit der reichen Welt zu definieren. Das wird der Vielfalt der Bedrohungen menschlicher Sicherheit nicht gerecht, und es dividiert die Völker auseinander, statt nach einem gemeinsamen Nenner zu suchen. Im Zeitalter der Globalisierung kann es keine Sicherheit nur für die wohlhabende Minderheit der Weltbevölkerung geben.

Daraus folgt zweitens: wir dürfen Sicherheit nicht vorrangig militärisch definieren. Das wird den vielfältigen Ursachen nicht gerecht, die zu gewaltsamen Konflikten führen. Militärische Macht kann notwendig sein, um Kriege zu stoppen und Völkermord zu beenden. Das war auf dem Balkan der Fall und wurde in Ruanda versäumt. Militärisches Eingreifen kann auch notwendig werden, um ein terroristisches Regime wie in Afghanistan zu stürzen, das zur Gefahr für die internationale Sicherheit wurde. Aber mit Krieg kann man keinen Frieden stiften. Das geht nur mit kluger Politik, die der Gewalt ihren Nährboden entzieht.

Präventive Kriege können keine präventive Politik ersetzen. Eine vorausschauende Sicherheitspolitik muss sich um Bildung und Arbeit für die Milliarden junger Menschen in der "Dritten Welt" kümmern, die in soziale Perspektivlosigkeit und ideologischen Extremismus abzugleiten drohen. Sie muss endlich den Kampf gegen Epidemien wie Malaria oder Aids aufnehmen. Sie muss sich das Menschenrecht auf sauberes Wasser zu eigen machen und gegen die Versteppung fruchtbarer Böden angehen. Sie muss alles daran setzen, den Klimawandel und damit seine Folgen in erträglichen Grenzen zu halten. Sie muss den Druck der reichen Länder auf die endlichen Rohstoffe vermindern und ihre Abhängigkeit vom Öl überwinden, um einen Kampf aller gegen alle um die knapper werdenden Ressourcen zu vermeiden. Und sie muss aufrichtig und konsequent für Menschenrechte und Demokratie eintreten – denn letztlich ist die Demokratie die beste Versicherung gegen Krieg und Gewalt nach Innen wie nach Außen.

Zur Förderung eines demokratischen "Regime Change" in autoritären Staaten nur soviel: Freie Wahlen und eine freie Presse, Rechtsstaatlichkeit und Organisationsfreiheit sind das gute Recht aller Völker. Insbesondere die Stärkung der Frauenrechte ist ein Schlüssel für die soziale und zivile Entwicklung.

Armutsbekämpfung, Umweltschutz, Demokratie – das sind die großen Drei einer vorausschauenden Sicherheitspolitik. Sie muss flankiert werden von einer Reform der Weltwirtschaft, die den armen Gesellschaften bessere Chancen auf Entwicklung gibt. Gleichzeitig müssen Mittel aus den Militäretats in internationale Programme für Bildung, Gesundheit und Umwelt umgelenkt werden. Das gilt für die wohlhabenden Staaten, vorneweg die USA, aber auch für zahlreiche Entwicklungsländer, deren Regierungen in Waffen statt in die Wohlfahrt ihrer Völker investieren. Die Weichen sind falsch gestellt, wenn die US-Administration mit einem Handstreich 300 Milliarden Dollar für den Irak–Krieg mobilisieren kann, aber die reiche Welt nicht einmal ein Zehntel dieser Summe aufbringt, um die Trinkwasserversorgung in den Armutsregionen des Südens sicherzustellen. Nicht zuletzt untergräbt es die sicherheitspolitische Glaubwürdigkeit des Westens, wenn Abrüstung nur für die "anderen" gelten soll.

Vorausschauende Sicherheitspolitik kann nur in einem multilateralen Rahmen des Interessenausgleichs und der Zusammenarbeit verwirklicht werden. Sie muss auf der Herrschaft des Rechts aufbauen statt auf dem Recht des Stärkeren. Dazu gehört auch die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft, Despoten in die Schranken zu verweisen und die Menschenrechte zu verteidigen. Die Berufung auf die "nationale Souveränität" darf kein Freibrief für skrupellose Regierungen sein, unbehelligt von internationalen Sanktionen Teile ihrer Bevölkerung für vogelfrei zu erklären, wie das aktuell im Sudan geschieht.

Es ist das Verdienst des vorliegenden Berichts zur Lage der Welt, die Gefährdung der globalen Sicherheit in ihren verschiedenen Dimensionen auszuleuchten und eine Politik zu entwerfen, die auf gemeinsame Sicherheit setzt. Die deutsche Ausgabe des State of the World Report 2005 wurde um zwei Gastbeiträge aus einer asiatischen und einer europäischen Perspektive ergänzt. Sie zeigen, wie dringend ein multilateraler Dialog über die "neue Weltordnung" ist, um die unterschiedlichen Sichtweisen zu überbrücken und zu einer gemeinsamen Sprache zu finden.

Wir setzen mit diesem Band die bewährte Kooperation mit dem Worldwatch Institute fort und hoffen, dass er die sicherheitspolitische Diskussion im deutschsprachigen Raum befruchtet.

Berlin, im Februar 2005

Ralf Fücks
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Klaus Milke
Stellvertretender Vorsitzender von Germanwatch

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Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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