Politische Dreiecksverhältnisse

Lesedauer: 5 Minuten

19. März 2008
von Ralf Fücks

So schnell sind noch keine Vorschusslorbeeren verwelkt: Die große Koalition, mit viel Wohlwollen der Medien gestartet, hat ihren politischen Kredit bereits gründlich verspielt. Kein Wunder, dass die Spekulationen über alternative Regierungsmehrheiten wieder ins Kraut schießen. Angesichts der Auszehrung der beiden vormaligen „Volksparteien“, die  gerade noch 60% der Wählerstimmen und 50% der Wahlberechtigten auf sich vereinigen, ist auf Bundesebene eine Mehrheit für Schwarz-Gelb oder Rot-Grün nicht in Sicht. Also wendet sich die politische Phantasie wieder den Dreierkoalitionen zu: Jamaika, Ampel oder Volksfront? Betrachtet man die aktuellen Umfragen, scheint ein flotter Dreier vielen Bürgern gar nicht mehr so abwegig zu sein:  Auf die Frage, welche Koalition noch am ehesten die anstehenden Probleme in Deutschland richten kann, nannten vor einem Jahr noch 52 Prozent die große Koalition, aktuell sind es lediglich noch 33 Prozent. Auf Platz zwei folgt mit 21 Prozent eine Koalition aus Union, FDP und Grünen. Die Ampel aus SPD, FDP und Grünen favorisieren  17 Prozent. Am wenigsten Zutrauen findet eine Linkskoalition aus SPD, PDS und Grünen mit 12 Prozent. Bemerkenswert ist, dass allein die Grünen in allen politischen Kombinationen auftauchen, und tatsächlich sind Alternativen zur großen Koalition ohne sie kaum denkbar.

Sind das mehr als Zahlenspiele? Jede nüchterne Betrachtung zeigt, dass keine dieser Dreierkoalitionen heute über ein hinreichendes Maß an politischen, kulturellen und personellen Gemeinsamkeiten verfügt, um die regierende Koalition auf dem Weg eines konstruktiven Misstrauensvotums oder von Neuwahlen ablösen zu können. Es gehört zum Grundkurs Politik, dass rechnerische Mehrheiten noch lange keine politischen Mehrheiten sind. Aber was nicht ist, kann noch werden. Dafür lohnt ein zweiter Blick auf die Erfolgsbedingungen von Dreierbündnissen. Es gibt dafür in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik nur ein Beispiel: die Bremer Ampelkoalition Anfang der 90er Jahre. Gestartet als ambitioniertes Pilotprojekt, brach sie kurz vor Ende der Legislaturperiode über den Dauerkonflikt um Stadtentwicklung, Naturschutz und Gewerbeflächenpolitik auseinander. Es folgten vorzeitige Neuwahlen, bei denen die FDP aus der Bremer Bürgerschaft flog, während die Grünen ihr bestes Ergebnis erzielten und doch in der Opposition landeten, weil eine  gerupfte und gespaltene SPD ihr Heil in einer großen Koalition suchte. Nicht gerade ein ermutigendes Beispiel, aber doch eines, aus dem sich einige Schlussfolgerungen ziehen lassen.
Erstens: Eine Koalition, die nicht den gemeinsamen Erfolg sucht, ist zum Scheitern verurteilt. In Bremen herrschte vor allem zwischen Grünen und FDP mehr Konflikt als Kooperation. Auf zentralen Politikfeldern verfolgten beide entgegengesetzte Ziele, die nicht durch Kompromisse überbrückt werden konnten. Je länger, desto mehr ging es um die Frage, wer sich gegen wen durchsetzt. Nicht die durchaus vorzeigbaren Ergebnisse der Koalition prägten die öffentliche Wahrnehmung, sondern der interne Dauerkonflikt.
Zweitens: Für den Erfolg einer solchen Allianz braucht es ein personelles Zentrum, das in der Lage ist, Konflikte konstruktiv zu lösen und den Karren zu ziehen. Kumpanei ist nicht nötig, aber ohne ein Mindestmaß an Vertrauen geht es nicht. Das gilt für das Kabinett wie für die Fraktionen. Auch die rot-grüne Koalition war alles andere als konfliktfrei und hatte böse Turbulenzen zu überstehen. Aber sie hielt, so lange Schröder, Fischer und noch ein paar andere entschlossen waren, die Koalition über alle Klippen zu ziehen.
Drittens: In einer „Ampel“ ist die SPD im strategischen Vorteil, da sie die beiden kleineren Koalitionspartner gegeneinander ausspielen kann. Das gilt vice versa natürlich auch für die CDU in einer „Jamaikakoalition“. Es ist deshalb umso wichtiger, dass FDP und Grüne in einer solchen Konstellation auch miteinander bündnisfähig sind.
Es ist unschwer zu erkennen, dass eine solche Erfolgskonstellation zur Zeit zwischen FDP und Grünen nicht besteht. In zentralen Fragen, an denen das Selbstverständnis beider Parteien hängt, gibt es heftige Differenzen. Das gilt für die Rolle des Staates wie für die internationale Verantwortung Deutschlands, aber auch für konkrete Weichenstellungen vom Atomausstieg bis zur Steuerpolitik. Eine FDP, die zunehmend nationale Nabelschau betreibt und sich gegen friedenssichernde Einsätze der Bundeswehr in fernen Ländern ausspricht, liegt nicht nur mit den Grünen über Kreuz. Sie ist überhaupt nicht regierungsfähig. Ähnliches gilt für die ewige Litanei von Steuersenkungen. Das erfreut vermutlich einen Teil der Wählerschaft der FDP, ruiniert aber auf Dauer die öffentliche Infrastruktur, das ohnehin unterfinanzierte Bildungs¬wesen und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Für die Grünen gehören die öffentlichen Institutionen – Kindergärten, Schulen und Universitäten, Sozialversicherungen und öffentliche Verkehrsmittel, Theater und Museen – zum Kern der sozialen Demokratie. Von der FDP ist dazu nichts zu hören außer dem Ruf nach Privatisierung. Die Grünen fordern neue, ambitionierte Ziele im Klimaschutz – bei der FDP herrscht umweltpolitisch Fehlanzeige. Die Gemeinsamkeiten, die man im Hinblick auf Bürgerrechte und eine liberale Zuwanderungspolitik erhoffen könnte, wiegen diese Gegensätze nicht auf. Auch personell ist das Klima zwischen beiden Parteien unterkühlt, von den Spitzen bis zur Basis.
Also abhaken und vergessen? Wer die große Koalition nicht verewigen will, darf eine Jamaika- oder Ampelkoalition nicht von vorneherein abschreiben, zumal die Alternative einer rot-rot-grünen Koalition eher abschreckend als motivierend ist. Aber der Weg zu einer solchen Allianz führt nur über harte Auseinandersetzungen in der Sache. Es sind drei große Reformwerke, die es lohnen könnten, an einer Koalition mit Grünen und FDP zu arbeiten: erstens die Verbindung von Ökologie und wirtschaftlicher Dynamik im Projekt einer grünen Marktwirtschaft; zweitens eine groß angelegte Offensive für Bildung und Wissenschaft; und drittens eine moderne, weltoffene Einwanderungsgesellschaft. Es könnte sein, dass für diese Reformen lagerübergreifende Koalitionen förderlich sind. Ob sie auch zustande kommen, steht auf einem anderen Blatt.

Ralf Fücks ist Vorstand der grün-nahen Heinrich Böll Stiftung. 1991-1995 war er Senator für Umwelt und Stadtentwicklung in der Bremer „Ampelkoalition“.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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